Fische und Flugreisende sind kein Widerspruch

Im Roman „Flughafenfische“ von Angelika Overath bleibt alles im Fluss und dennoch spannend

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn Fluggäste über die Ziehharmonika-Schläuche aus einer Maschine in einen Flughafen kommen, hat das optisch eine gewisse Ähnlichkeit mit plötzlich auftauchenden Fischschwärmen. Wasser- und Luftgäste lassen sich also gut vergleichen, können sich gegenseitig etwas abgewinnen. Dies beweist Angelika Overath in ihrem Roman „Flughafenfische“.

Das Spiel mit sensibler Beobachtung, Assoziationslust und klug gesetzten Kontrasten gelingt der Autorin so gut, dass man vergisst, wie unwirtlich Flughäfen gemeinhin sind. Vielmehr steigert die Erzählweise die Neugier auf jede Szene, obwohl sie erwartungsgemäß lediglich vom konkreten Warten und von vagen Gedankenspielen um Möglichkeiten in Vergangenheit und Zukunft erfüllt ist. Ein Riffaquarium in einer Flughafen-Halle dient als Dreh- und Angelpunkt für die Entlarvung von Denk-Schemata, als Quelle der Metaphern, die den Anstoß geben, neue Räume zu betreten und – versuchsweise – zu ergründen.

Das Unbestimmte wird mehrfach manifest: Die renommierte Magazin-Fotografin Elis weiß nicht, wie sie mit ihrer Müdigkeit umgehen soll. Irgendwie muss sie das unvorhergesehene lange Warten auf einen Anschlussflug überbrücken. Sie befindet sich in einer Übergangssituation, denn ihre berufliche Leidenschaft scheint ein wenig abgenützt, ihre Beziehung zu einem Piloten war im Sande verlaufen. Nebenan im Raucher-Refugium sinniert ein Biochemiker darüber, dass seine Frau sich aus der Ehe verabschiedet, und vergegenwärtigt mit jedem Gedankenfetzen das Vakuum, das ihn in Kürze zu umfangen droht.

Dagegen ist der Aquarist Tobias Winter nicht in einer solchen existenziellen Übergangssituation. Er „trotzt“ mit seinem 200.000-Liter-Meerwasserbecken dem Transit, tut umsichtig seine Pflicht in der intimen Kenntnis der Fische und ihrer Bedürfnisse. Dabei zeigt er sachgerechte Hingabe, ist stolz auf seine mit Geduld erworbene Kompetenz – auch wenn er das nicht ohne gravierenden Anlass aussprechen würde. Wie im Flughafen-Prospekt ausgelobt, gibt er Wissbegierigen gerne Auskunft, bevor sie wieder ihren ausgetüftelten Reiseplänen folgen, weil die Anzeigentafeln sie zur Pünktlichkeit rufen.

Doch auch bei Tobias ist unterschwellig ein Sehnen spürbar, für das ihm der passende Resonanzboden zu fehlen scheint. Er fühlt sich als „Hausmeister seines Meeres“ und gleichzeitig als „Widerstand in den Wogen der Weltenfahrer“. Er analysiert Reisende, sammelt und klassifiziert ihre Müdigkeiten, nimmt Ströme wahr, die „insgeheim durch diesen geographischen Punkt“ laufen. Es geht hier um Verbundenheit und Vereinzelung, um Flüchtigkeit und Vertrautheit.

Mehr als drei Protagonisten braucht das Buch nicht, um zu veranschaulichen: Alles ist im Fluss und wird auch im Fluss bleiben – egal, wie ausdrucksschwach oder knisternd der Augenblick scheint. Es kann trotzdem zu einer berührenden Begegnung kommen – wie der zwischen Elis und Tobias. Deren Qualität hängt wiederum nicht davon ab, welche Perspektive das Schicksal für die beiden bereithält. Allein die gegenseitige Wachsamkeit ist es wert, sich in das jeweils Andere des Anderen im Hier und Jetzt zu vertiefen.

Die mehrfach preisgekrönte Journalistin Angelika Overath weiß, wie gut es Texten bekommt, sie mit Überraschungen zu würzen, mit Unerwartetem Nahrung für die Lust am Weiterdenken zu bieten. Beeindruckend vermittelt sie die Stille, die als Grundmelodie mitten im lärmenden Transit dominiert und damit sensiblem Nachspüren einen Raum schafft, der Freiheit atmet und inspiriert. Es ist der zweite Roman der Autorin. Ein Auszug wurde bei den Tagen Deutschsprachiger Literatur in Klagenfurt bereits mit dem „Ernst-Willner-Preis“ ausgezeichnet.

Titelbild

Angelika Overath: Flughafenfische. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2009.
173 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783630873077

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