Von Czernowitz nach Klagenfurt

Gedichte von Georg Drozdowski in einer Auswahl

Von Christa HagmeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christa Hagmeyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein kaum bekannter Dichter der Bukowina soll dem Versinken entrissen werden – der Rimbaud Verlag fügte den in Czernowitz geborenen Georg Drozdowski (1899 – 1987) zu einer größeren Reihe deutsch schreibender Autoren aus diesem Raum. Herausgeberin des jüngst erschienenen Lyrikbandes ist Helga Abret, die bis zum Jahr 2005 als „Professorin für Neuere deutsche Literatur“ an der Universität Metz in Frankreich tätig war. Sie erarbeitete zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen über Verlagswesen und Publizistik im Wilhelminischen Deutschland, zur fantastischen Literatur und Science-Fiction, sowie allgemein zur Literatur des 20. Jahrhunderts. Es ist verdienstvoll, dass sie sich neben etablierter Namen auch immer wieder unbekannter Autoren annimmt. Abret will damit nicht graduelle Unterschiede nivellieren, ihr Anliegen ist vor allem, eine interessante Dichterperspektive im Zusammenhang mit dem historischen, gesellschaftlichen und literaturgeschichtlichen Kontext vorzustellen. Als Beigabe zu der Gedichtauswahl von Georg Drozdowski enthält der Band ein Nachwort der Herausgeberin, das zweiundvierzig Seiten umfasst. Hierin erinnert sie nicht nur die geschichtlichen Zusammenhänge und das kulturelle Leben der einst viersprachigen Bukowina, sie erläutert auch die Gedichte, die aus den elf Lyrikbänden Drozdowskis ausgewählt wurden.

Drozdowski wuchs als Kind polnisch- und französischstämmiger Eltern weniger binational, sondern vor allem in der altösterreichischen Tradition auf. Literarisch interessiert fand Drozdowski schon in jungen Jahren in Czernowitz Anschluss an eine Gruppe deutsch schreibender jüdischer Autoren. In der „Zwischenkriegszeit“, als die Bukowina Rumänien zugesprochen war, versuchte er sich auch selbst als Autor von Theaterstücken, Gedichten und Prosatexten; beruflich war er in einer Bank tätig.

Das vielfältige kulturelle Leben in der Bukowina, insbesondere bereichert durch die deutschsprachige Blütezeit, fand ein jähes Ende, als nach dem Hitler-Stalin-Pakt die Rote Armee im Norden einmarschierte und wurde unter deutscher Besatzung vollends zerschlagen. Die Existenz Vieler wurde zerstört. Während Drozdowskis jüdische Freunde Opfer von Zwangsarbeit und Deportation wurden und dies nur zum kleinen Teil überlebten, wurde Drozdowski 1940 als „Volksdeutscher“ ins Reich „heimgeholt“ und kam über Zwischenstationen in Schlesien und Lodz nach Wien, wo er 1942 heiratete. Der Krieg führte ihn als Oberfeldwebel nach Kroatien und schließlich in britische Gefangenschaft. Danach lebte er vierzig Jahre in Kärnten, war in Klagenfurt als Kulturredakteur, Autor und Übersetzer tätig und engagierte sich für das dortige literarische Leben. Durch seine Publikationen bekam er auch noch nach vielen Jahren Verbindungen zu Autoren aus Czernowitz, die in der ganzen Welt verstreut waren. Aufgrund seiner literarischen Verdienste erhielt Drozdowski 1958 den Nikolaus-Lenau-Preis und 1968 den Professorentitel verliehen.

Zwar sollte ein literarisches Werk nicht vorrangig mit der Vita eines Autors abgeglichen werden, in diesem Fall ist es aber interessant, wie Drozdowski im Vergleich zu anderen Autoren das Erlebte und die Reflexion der Gegenwart in sein Werk einfließen ließ. Natürlich unterscheidet sich seine Befindlichkeit von der jüdischer Autoren, da diese die Schrecken der Shoah verkraften mussten und in ihrem Menschsein fundamental erschüttert wurden. Wohl ist bei Drozdowski Trauer über den Verlust der Heimat zu finden, diese münzt er aber in ein Bedürfnis des Bewahrens um. Die Gedichte über die Bukowina machen diese Bilder noch einmal sichtbar. Von so manchen in Pathos sich ergehenden Autoren unterscheidet er sich, indem er dem Formwillen und der Themenvielfalt den Vorzug gibt.

Seine Naturlyrik kann auch ortsneutral gelesen werden. Der Dichter war jedoch nicht nur rückwärtsgewandt, er nahm auch Stellung zu seiner Gegenwart, sorgte sich um die Zukunft der Erde, was in eine „Menetekelpoesie“ einfloss. Weitere Sparten seiner dichterischen Auseinandersetzung sind Selbstreflexion, religiöse Themen und die Positionierung innerhalb der Literaturentwicklung. Eher ist jedoch vom Widerstand gegen jeden Trend zu reden: „Zeitüberholt. / Bist du noch immer Lied? Summst noch die Melodie, / die jeder andere mied […]“ oder „Ich mache nicht mit, wenn die Sprache gefoltert wird[…]“. Weiterhin leistete er sich das Reimschema und behielt auch im freien Vers einen strengen Rhythmus bei, dem er so manches Mal die Syntax opferte („Damals noch führte / die Hand mich der Mutter“).

Der rhythmische Zwang zeitigte dabei viele Wortschöpfungen, die eine Bilderverdichtung erzeugen: „langsamt die Quelle ihr Spiel“ oder „stundenstet – ausblicksversunken – scheibenentlang“. Seine Naturlyrik wird teilweise durch eine Personifizierung der Dinge aufgebläht: „Der vollen Sonne heiße Sommerhände … Es küßt kein Wind das keuchende Gelände, das Wiesenantlitz und die Wipfelhand … Im Arm des Waldes schläft ein Vogelschlag“. Nicht dass Drozdowski dies nicht bemerkt hätte, er rechtfertigt sich in einem anderen Gedicht „Welt, die ich wie im Spiele mir erbaut“. Da scheint es ihm auch legitim, wesenhaft zu übertreiben – „Halm, der sich als Baum fühlt, ein Tautropf spielt Teich“ – oder alle Dinge als Symbole zu sehen, deren Chiffren zu entschlüsseln wären.

Zu den Gedichten aus fast fünfzig Jahren gehört aber auch eine andere, spätere Stimmung, in der der Autor nicht nur nach seiner „Order“ fragt, sondern dem Zweifel Raum gibt, ob er seiner Aufgabe gerecht geworden sei: „Carpe diem – Du hast leicht reden, Horaz! Ich versuch es vergebens […]“. Oder in „Bilanz“: „Ich weißer Greis, / dem Eis gerann in Adern, / weiß nicht den Weg, / der mich führt […]“.

Die Erfahrung der unbeschwerten Jugendjahre im Völkergemisch des Balkans samt dem nachfolgenden Grauen – dieses Wechselbad von geistiger Weite und fanatischer Verblendung ließen den Katholiken Drozdowski bis ins hohe Alter nicht zur Ruhe kommen: „Ich spähe nach dir, allein dein Schein überblendet […] Mein Ruf ist verschwendet […] Tu dich doch auf! Oder soll ich genesen, suchend aus mir?“ Er mag auch nicht unterscheiden zwischen (Juden-)Stern und Kreuz, da doch beide schmerzen. So ist in Lehrhaftem der Suchende zu finden, und die Mahnung ist sich des eigenen möglichen Irrtums bewusst.

Drozdowski, ein Unzeitiger, bezeugt in seinen Gedichten nicht nur eigenwilliges Beharren in der Form, er verteidigt seinen Anspruch auf Freiheit gegenüber sich nicht selten überschätzenden Strömungen.

Titelbild

Georg Drozdowski: Mit versiegelter Order. Ausgewählte Gedichte 1934 - 1981.
Herausgegeben von Helga Abret.
Rimbaud Verlagsgesellschaft, Aachen 2009.
227 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783890865256

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch