Rote Tulpen
Reden von der RAF – auf Deutsch und Niederländisch
Von Daniel Krause
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBei transcript histoire ist ein Sammelband zu „nationalen und internationalen Perspektiven“ auf die Rote Armee Fraktion erschienen: „Der ‚Deutsche Herbst‘ und die RAF in Politik, Medien und Kunst“. Ein gutes Dutzend Beiträge – durchaus verschieden in Umfang und Sprachgestalt – sind unter drei Rubriken eingeordnet worden: „Internationale Aspekte der RAF-Rezeption“. („International“ meint recht besehen: niederländisch.) „Der ‚Deutsche Herbst‘ als Kommunikationsereignis“. Und: „Zeitzeugenberichte“.
Die Herausgeber: Nicole Colin, Beatrice de Graaf, Jacco Pekelder und Joachim Umlauf sind mit je eigenen Aufsätzen vertreten. Allfällige Bemühungen, die sammelbandübliche Disparatheit der Beiträge zu kaschieren, sind nicht zu erkennen. Es handelt sich recht besehen um drei Bücher in einem. Die „Zeitzeugenberichte“ können zweifellos einige Aufmerksamkeit beanspruchen. Unter anderen meldet sich Michael Buback zu Wort, dessen Fall jüngst für Schlagzeilen sorgte: In dringlichen, konzisen Worten fordert er das „Recht auf Klärung“ des Mordanschlags auf seinen Vater Siegfried ein. Die erstgenannten Rubriken zu „Internationalen Aspekten der RAF-Rezeption“ und „nationalen“, mithin deutschen, Aspekten des „Kommunikationsereignisses“ RAF bilden gleichsam ein Gegensatzpaar: Zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehen markante Unterschiede im Gespräch über den Terror.
Die Niederlande sind gewiss nicht ‚die Welt‘. Trotzdem sind sie, was die RAF betrifft, von besonderem Interesse: Erstens dienten die Niederlande RAF-Terroristen während der 1970er-Jahre als bevorzugter Rückzugsraum und phasenweise gerieten sie selber zum Kampfplatz: Wenigstens ein Polizist kam ums Leben. Zweitens wandten Regierung und Öffentlichkeit, was eigene wie fremde Terroristen betrifft, vom deutschen Modus charakteristisch verschiedene, auf De-Eskalation zielende Taktiken an. Drittens dominierte im öffentlichen Gespräch Sympathie für die gesellschaftlichen Anliegen des Linksterrorismus, vermischt mit anachronistischem germanophobem Ressentiment – bis zu besagtem Polizistenmord, der einen Stimmungsumschwung bewirkte.
Was Jacco Pekelder, Utrechter Deutschland-Historiker, über das (damals) krude entstellende Deutschlandbild der Niederländer zu berichten weiß, ist nachgerade erschreckend: „Mit Ausnahme der in den 1970er Jahren relativ bedeutungslosen Gruppe konservativer Journalisten nahm die niederländische Presse die Warnungen der RAF vor einer bevorstehenden faschistischen Machtübernahme in Deutschland durchaus ernst.“ Die These vom post- und präfaschistischen Gepräge des westdeutschen Staates lässt an DDR-Propaganda denken und scheint eine Rechtfertigung für den ‚bewaffneten Kampf‘ gegen den ‚Unrechtsstaat‘ BRD abzugeben: „Der Umgang mit der RAF in der Bundesrepublik wurde als Zeichen für die Kontinuität faschistischer Strukturen gedeutet, gegen die man sich wehren müsse.“ Mögen nachbarliche Animositäten zwischen Deutschland und den Niederlanden, heute wie damals, komödiantische und urig-folkloristische Aspekte aufweisen – bei solcherlei Wahrnehmungsstörungen vergeht dem Betrachter, gleich welcher Herkunft, das Lachen.
Zum öffentlichen Gespräch gehören die Künste. Mindestens zwei Beiträge sind literarischen Bewältigungsversuchen gewidmet: Angelika Ibrügger untersucht Heinrichs Bölls publizistisches Wirken, insbesondere den SPIEGEL-Artikel vom Januar 1972, der ein Gnadengesuch zugunsten Ulrikes Meinhofs formuliert – und maßlose Reaktionen des bundesdeutschen juste milieu auslöst. Nicole Colin vergleicht zwei zeitgenössische Theaterstücke zur RAF: Michel Deutschs „La Décennie rouge“ (2007), eine Historienrevue, dem französischen Publikum als deutschlandkundliche Propädeutik gewidmet, und Elfriede Jelineks postdramatisch-dekonstruktives, auf Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin blickendes Textgewitter „Ulrike Maria Stuart“ (2006), von Nicolas Stemann kongenial gekürzt und in Szene gesetzt.
Nicole Colins Text- und Inszenierungsanalysen zu Deutsch und Jelinek/Stemann gehören zu den dichtesten und geistvollsten Passagen des Bandes. Auch die Erwägungen Rolf Sachsses zur Zeichensprache des RAF-Logos („Pentagramm hinter deutscher Maschinenpistole unter Russisch Brot“) und Hanno Balz’ kenntnisreiche, terminologisch überinstrumentierte Einlassungen über die RAF als deutsches Medienereignis („Gesellschaftsformierungen. Die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren“) seien – ohne die übrigen Beiträger zurücksetzen zu wollen – hervorgehoben.
Die meisten Autoren schreiben gut lesbare Prosa und fassen sich angenehm kurz. Zuweilen bricht kulturwissenschaftlicher Jargon – samt kurioser Stilblüten – durch, ohne die Verständlichkeit ernstlich zu gefährden: „Die wissenschaftlichen Beiträge des vorliegenden Bandes versuchen die Möglichkeiten dieses innovativen Ansatzes interdisziplinär zu explorieren.“ Oder auch: „In diesem Sinne sind die medialen Texte zum Terrorismus nach ihrem performativen Charakter zu befragen, um analysieren zu können, durch welche Rituale der Diskurs möglicherweise die Wirkungen erzeugt, die er benennt.“
Nicht alle der Autoren sind deutsche Muttersprachler. Der niederländische Akzent ist gelegentlich unüberhörbar, doch unaufdringlich und geradezu charmant. Auch zwingen Unsicherheiten im Medium der fremden deutschen Sprache zum bedächtigen und skrupulösen Wortgebrauch, der rabulistischen Spiegelfechtereien und Eitelkeiten vorbeugt.
Besonders profitiert die Lesbarkeit von der Entscheidung, die Aufsätze mit Abstracts oder Resümees, manchmal mit beidem, zu versehen. Das mag recht didaktisch, auch unelegant scheinen, doch garantiert es Übersicht. Dergleichen Handreichungen sind umso schätzenswerter, als kaum ein Leser alle 16 Beiträge gründlich studieren wird. Angesichts der extremen thematischen Breite wird jeder seine Auswahl treffen müssen. Anders gewendet: Für jeden ist ‚etwas dabei‘, und jeder, der Belehrung sucht, wird mehrfach fündig werden.
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