Besser lesen lernen
Wielands Schriften zur deutschen Sprache und Literatur in einer Neuausgabe
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWieder einmal hat sich Jan Philipp Reemtsma für Christoph Martin Wieland (1733-1813) engagiert. Jetzt hat der Herausgeber Wielands „Schriften zur deutschen Sprache und Literatur“ in der Reihe der „Werke in Einzelausgaben“ vorgelegt. Über die schon etwas längere Geschichte der Edition berichtet der Literaturwissenschaftler in dem kenntnisreichen Vorwort. Mehrere Verlage – Franz Greno, Haffmanns und jetzt Insel – haben Ausgaben veröffentlicht, und man konnte sich scheinbar nicht auf einen Stammverlag einigen. Liegt es an Wieland? An diesem etwas schwer zu popularisierenden Autor?
Es ist eine Sammlung von Texten, die vor dem Leser liegt – ähnlich wie die der „Politischen Schriften, insbesondere zur Französischen Revolution“ (1988) –, die entweder von Wieland in seine „Sämmtlichen Werke“ übernommen worden waren, in späteren Editionen erschienen sind oder auch an abgelegenem Ort publiziert wurden. Man folgt in der Ausgabe den Editionsprinzipien der „Werke in Einzelausgaben“ und ediert nach den Erstdrucken, streng buchstaben- und zeichengetreu. Fußnoten findet man in dieser Ausgabe nur sparsam und stets nur mit den zum Verständnis notwendigen Informationen. Das macht die dreibändige Edition – neben der ansprechenden typografischen Gestaltung und der ordentlichen buchbinderischen Verarbeitung – zu einem schönen, für den Leser durchweg erfreulichen Leseerlebnis.
Es braucht nur etwas Geduld, sich auf die Lektüre auch wirklich einzulassen und die Texte zu goutieren. Das funktioniert auch dann und vor allem, wenn man sich mit den metatheoretischen Aspekten der deutschen Sprache auseinandersetzen möchte.
Den „Sprachinteressierten“ seien denn auch alle vorliegenden drei Bände „Wieland“ zur Lektüre wärmstens empfohlen. Selten findet man so originelle und gleichzeitig so individuell prägnante Positionierungen zur deutschen Sprache, zu Rechtschreibung und Orthografie. Damit ist Reemtsmas Benjamin-Zitat, wonach „Wieland […] nicht mehr gelesen“ werde, um es anschließend mit einer genaueren Rekapitulation des Benjamin-Textes zu negieren, vielleicht doch gar nicht so richtig. Zumindest ist die hier vorgelegte Ausgabe eine Schrift in die Richtung, Wieland auch außerhalb der Literaturwissenschaft lesbar zu machen.
Die Ausgabe ist in 17 Abschnitte geteilt. Die Texte wurden nicht chronologisch, sondern thematisch gruppiert. Damit ist dem an bestimmten Themen interessierten Leser ein Überblick möglich. Der detaillierte Apparat und Anhang im dritten Band bietet aber auch dem jeweils der chronologischen Ordnung folgenden Leser ausreihend Material, um eine ebensolche Ordnung herzustellen. Die Edition ist eine kritische Leseausgabe, hat aber auch einen umfangreichen wissenschaftlichen Apparat, der allen Lesergruppen entgegen kommt. Dabei wird der Textteil nicht durch störende Fußnoten „entstellt“. Der Ausgabe ist im ersten Band eine umfangreiche Einleitung vorangestellt, die Rezeptionslinien Wielands herausarbeitet, auf Benjamin und Heines „Romantische Schule“ rekurriert und auch Aspekte wie Verlag, Verleger und Buchhandel in Bezug auf die Bedeutung für die Rezeption Wielands einbezieht.
Besonders hingewiesen sei auf den Abschnitt „Die Subskribenten von Wielands Werken“, der den Textteil im dritten Band abschließt. Hier wird deutlich, das bei der Edition von Wielands „Schriften zur Deutschen Sprache und Literatur“ eine Edition vorliegt, die nicht nur neuesten editorischen Richtlinien entspricht, sondern auch in der inhaltlichen Konzeption der Auswahl der Inhalte aktuelle Forschungen über das Lese(r)verhalten mit einbezieht. Dies erweitert den Textkorpus und gibt Aufschlüsse über die Leserschaft Wielands – bis hin zu einem Panorama der Leser um 1800 – und stellt damit dem Leser wichtiges Material zur Wirkungsgeschichte des Autors bereit.
Kurz: Mit den drei Bänden der „Schriften zur Sprache und Literatur“ liegt ein wichtiger Baustein in den Werken Wielands in Einzelausgaben vor. Inhaltlich eine für Leser und Literaturwissenschaftler gleichermaßen interessante Edition, die vor allem mit ihrem inhaltlichen Schwerpunkt zur deutschen Sprache für einen Leserkreis von Interesse sein sollte, der sich professionell mit Sprache beschäftigt. Aber vielleicht sind die Argumente und Sentenzen vom „alten“ Wieland doch ein wenig zu revolutionär. In dem kleinen Text „Wie man liest“ schreibt er: „Was Wunder, wenn die Leute in einem Buche finden was gar nicht drinn ist; oder Aergernis an Dingen nehmen, die, gleich einem gesunden Getränke in einem verdorbenen Gefäße, bloß dadurch ärgerlich werden, weil sie in dem schiefen Kopf oder der verdorbnen Einbildung des Lesers dazu gemacht werden? Was Wunder, wenn der Geist eines Werkes den Meisten so lange, und fast immer unsichtbar bleibt? Was Wunder, wenn dem Verfasser oft Absichten, Grundsätzen und Gesinnungen angedichtet werden, die er nicht hat, die er, vermöge seines Charakters, seiner ganzen Art zu existiren, gar nicht einmal haben kann? Die Art, wie die Meisten lesen, ist der Schlüssel zu allen diesen Ereignissen, die in der litterarischen Welt so gewöhnlich sind.“ Am Ende schließt Wieland mit einer Feststellung, die sicherlich eine der edelsten Absichten der vorliegenden Edition vermittelt: „Mit den Autoren ist kein Mitleiden zu haben – und den Lesern ist nicht zu helfen. Aber gleichwohl wäre zu wünschen, daß die Leute besser lesen lernten.“
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