Unglückliches Ereignis?
Zu Rüdiger Safranskis Monografie „Goethe und Schiller. Geschichte einer Freundschaft“
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Beschreibungen der Freundschaft zwischen Goethe und Schiller haben schon eine längere Tradition. Nicht selten finden sich geradezu unfreundliche Worte über diese Freundschaft. Angefangen von einem „schmerzhaften Erleidnis“ Schillers aus der Goethe’schen Perspektive bis hin zu den vermeintlichen Schmähungen Goethes durch Schiller. Nimmt man jedoch ihren Briefwechsel zur Hand, wird man eines Besseren belehrt. Selten finden sich so eindringliche Zeugnisse für eine Freundschaft auf einem so hohem sprachlichem und intellektuellem Niveau. Dies wird wohl auch einer der Ausgangspunkte gewesen sein, von denen sich Rüdiger Safranski seinen beiden Protagonisten genähert hat.
Wenn Safranski seine Monografie beginnt, oder besser, wenn er zu dem längeren Gedankenspiel ansetzt, das die Freundschaft der beiden Wahl-Weimarer wieder auferstehen lässt, ist doch mehr von einem „glücklichen Ereignis“ die Rede als von dekonstruierenden Ambitionen. Er lässt an diesen Vorgaben zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Zweifel aufkommen. Es geht ihm um die Freundschaft, um das Außergewöhnliche, um eine besondere Sternstunde der Kultur- und Geistesgeschichte. Und diese hat eine bewegte Vorgeschichte. Diesen Vorspielen widmet sich Safranksi auf fast einhundert Seiten differenziert und detailliert, bis zu jenem beinahe fast legendären Treffen am 20. Juli 1794 in Jena. Dem Leser stehen bis zu diesem Zeitpunkt Lebensweg und Charakter beider Protagonisten vor Augen und er kann sich von der Problematik dieser Begegnung ein Bild machen.
Schiller hatte zu diesem Zeitpunkt ein finanzielles Problem. Sein Jahreseinkommen an der Universität in Jena belief sich auf zweihundert Taler – Goethe hingegen war vom Herzog im benachbarten Weimar mit dem zehnfachen Jahresgehalt ausgestattet worden. Also musste Schiller weitere Einnahmequellen finden und plante, bei Cotta ein neues Literaturblatt herausgeben, die „Horen“. Vierhundert Taler sollte er als Herausgeber dafür erhalten – und natürlich musste das Projekt kommerziell erfolgreich werden. Dafür benötigte man unter anderem auch Goethe. Eine Einladung zur Mitarbeit wurde am 13. Juni 1794 versandt. Vier Wochen später traf man sich. Dem Treffen folgte ein zweiwöchiger Aufenthalt Schillers in Weimar. Man begann gemeinsame Projekte zu planen und die Grundlage für eine Freundschaft zu legen. Safranski behält hier vor allem auch die Gemeinsamkeiten im Auge, verweist weniger auf die Konflikte und problematischen Randbedingungen, etwa Schillers vollständige Ignorierung von Goethes Beziehung zu Christiane Vulpius. Trotzdem verbindet eine Gemeinsamkeit die Dioskuren, die über allen Widrigkeiten zu stehen scheint: „Die beiden Regionen – Idee und Erfahrung, Freiheit und Natur, Begriff und Vieldeutigkeit – zusammenzuführen, war ihr gemeinsames Ideal. Sie selbst und noch mehr die Nachwelt nannten es – das Klassische.“
Nicht dass Safranski heterogene Fakten verschweigt oder gar versucht, eine „schönere“ Geschichte der Freundschaft zu schreiben. Auch Randdetails werden erwähnt, wenige Sätze gibt es zum jeweiligen Verhältnis zum Religiösen oder zu anderen Besonderheiten der Freundschaft. Auch erliegt er nicht den zahlreichen Anekdoten und Bonmots, die von den beiden Dichtern überliefert sind, sondern schreitet zügig voran. Was man sich vielleicht gewünscht hätte, um das Buch noch vollständiger zu machen als es bereits ist, wäre etwa eine Erläuterung zu ihren gemeinsamen literarischen Positionen, mit denen Goethe und Schiller die Literatur um 1800 revolutionieren. Oder warum Johann Joachim Winckelmann nicht aus ihrer Beziehung wegzudenken ist. Doch solche Kritik verfehlt Safranskis Intentionen. Im gelingt es dafür immer wieder, an den entscheidenden Stellen des Buches, wenn vielleicht doch eine Frage auftaucht oder die Fakten den nicht so kenntnisreichen Leser verwirren könnten, prägnant die erläuterten Sachverhalte zusammenzufassen, etwa wenn es um die kreative Zusammenarbeit der beiden Literaten geht: „Schiller schrieb, als er nach Jena zurückgekehrt war: Es wird mir Zeit kosten, alle die Ideen zu entwirren, die Sie in mir aufgeregt haben, aber keine einzige, hoffe ich, soll verloren sein. Und Goethe antwortete: Wir wissen nun, mein wertester, aus unsrer vierzehntägigen Konferenz: daß wir in Prinzipien einig sind und daß die Kreise unsers Empfindens, Denkens und Wirkens teils koinzidieren, teils sich berühren, daraus wird sich für beide gar mancherlei Gutes ergeben.“
Es ist nicht der Blick des Wissenschaftlers, der Safranski leitet, und es wäre auch nicht richtig, ihm dies vorzuwerfen. Er betreibt eine unterhaltsame Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf hohem Niveau. Es geht ihm um Vermittlung, um eine „fröhliche Wissenschaft“, die auf Trivialitäten verzichtet und ein klares Bild von dem zu vermittelnden Gegenstand hat und dieses an den Leser weitergeben kann. Ebenso wie in seinen Büchern zu Schiller, über die Romanik oder über Nietzsche gelingt es Safranski auch hier, die Bedeutsamkeit seines Themas zu vermitteln. Er greift auf eine Vielzahl von Quellen zurück, ohne dass dies den Lesefluss hemmen würde. Man wird nach der Lektüre von Safranskis „Freundschafts-Buch“ wohl nicht umhin können, einen Blick auf den Briefwechsel der Dioskuren zu werfen. Schön, wenn das Buch mit seiner hohen Vermittlungs- und Erkenntnisleistung zu solcher Lektüre anregen kann. Ja, auch diese Monografie ist ein „Glückliches Ereignis“.
|
||