Württembergische RAF-Erben

Uta-Maria Heim macht sich in „Wespennest“ an die Vergangenheitsbewältigung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Rote Armee Fraktion ist Geschichte, ihr Akteure und Sympathisanten aber, soweit sie damals nicht umgekommen sind, leben noch heute, und sie haben noch die eine oder andere Rechnung offen. Das wird eines Tages im „Ländle“ genannten Südwesten Deutschlands offensichtlich. Man findet nämlich einen Mann erschossen auf, und die Waffe, mit der das getan wurde, gehört einem alten Kämpfer, dem roten Karle. Den hat allerdings (angeblich) der Schlag getroffen, weshalb er zwar noch denken kann (was wir, der Erzählerin sei Dank, mitverfolgen können), aber reden kann oder will er nicht mehr. Und so bleibt denn vorerst ungeklärt, wie die Waffe aus dem Haus und in die Hände eines Täters gekommen ist, der sie dann auf den Toten gerichtet hat (zu dessen Lebzeiten selbstverständlich).

Uta-Maria Heims Exkursionen ins ländliche Polit-Milieu der 1970er- und 1980er-Jahre wie der Gegenwart zeigt wenig von dem Wirtschaftswunderland im Südwesten der Republik, in dem samstags der Bürgersteig gefegt wird und ansonsten alles „beim Daimler“ arbeitet oder „für den Daimler“. Die barocke Selbstgewissheit Baden-Württembergs, die durch die Politik- und Wirtschaftsseiten der Presse wabert, kommt hier nicht einmal vor. Stattdessen öffnet Heim den Blick auf ein dem viel beschworenen Kölner Klüngel kaum nachstehendes Korruptionsgeflecht, in dem viel geregelt wird, bevor gesprochen oder gar geschossen wird. Presse, Politik, Parteien, Wirtschaft – alles ist miteinander verbunden, einander verpflichtet und hält den Apparat am Laufen.

Das hat sich lange Jahre, ja Jahrzehnte auch im linken und linksliberalen Milieu bewährt. Nun aber, nach einem Vierteljahrhundert, kochen die alten Angelegenheiten wieder hoch.

Erkennbar wird das am Opfer selbst, an Kurt-Wolfgang Oswald, genannt Ossi. Kollege Ossi, Genosse Ossi. Oswald war Polizist und zugleich aktiv in der militanten Linken, ein Polizei-Spitzel. Das können seine alten Genossen kaum glauben, und wer Ossi in welcher Behörde geführt hat, ist auch nicht ganz klar. Vor allem als herauskommt, dass er zwar mit dafür gesorgt hat, dass sich damalige RAF-Akteure in die DDR absetzen konnten, aber dass er sich nach dem Mauerfall immerhin auch auf die Suche nach ihnen gemacht hat. Aber nicht nur seine aktive Vergangenheit, auch die Gegenwart ist schleierhaft. Denn was Ossi nun, nach all den Jahren, wieder in Stuttgart wollte, bleibt erstmal offen.

Irgendwie scheint das alles mit der RAF zusammen zu hängen, mit den Verkehrs- und Stadtplanungen in Stuttgart, mit Presseskandalen und dem Tod eines Journalisten, der 18 Jahre zuvor bei einem Autounfall umkam. Wie sich das alles auflösen lässt, ist die eine Sache, wie das von Heim erzählt wird, eine andere. Denn Heim bewegt sich nicht nur einfach ins bürgerlich-linke Milieu Stuttgarts, nicht nur in dessen Geschichte, sondern sie löst in ihrer Erzählung dieses Milieu nach und nach auf. Sie benutzt dafür einen multifokalen Erzählansatz, soll heißen: Eine ungemein große Anzahl von Figuren tragen die Erzählung und Handlung.

Naheliegend haben sie einen je unterschiedlichen Blick auf das, was passiert, abhängig von dem, was sie wissen, was sie denken, was sie meinen und fühlen und mit wem sie umgehen. Dabei entsteht jedoch kein einheitliches, kein komponiertes Bild, das sich die Leser zusammenstellen können. Stattdessen inszeniert Heim eine neue, alte Unübersichtlichkeit. Die Beziehungen der Figuren zueinander bleiben offen. Ihre Vergangenheit kennen sie vielleicht selbst, aber sonst niemand. Was es auszuhandeln gibt, wird jeweils situativ geregelt. Der Zufall spielt eine große Rolle, und genauso die verschiedenen Absichten und Haltungen.

Heims Roman erhält dabei eine schillernde, kaum fassbare, und vor allem kaum nachvollziehbare Oberfläche, auf der die einzelnen Geschehnisse auftauchen und wieder verschwinden können. Kein Erzählerkommentar, kein Hinweis, rein gar nichts lässt sich dafür verwenden, das was kommt irgendwie vorherzusagen. Wenn man in Standardkrimis auf Seite 200 von 400 den Täter hat, ist er nicht der Täter. Heims Roman kommt vielleicht nur auf knapp 280 Seiten, aber nirgends wird ein Leser auch nur ansatzweise zum vorzeitigen Erfolg geführt. Und selbst am Ende ist es fraglich, was dieser Erfolg den wohl sein könnte. Die Auflösung des Falls. Ja, so etwas gibt es hier auch, aber ist das wirklich interessant? Man könnte es meinen. Aber Heim lässt auch diese Frage offen genug. Sie scheint mehr Freude daran zu haben, einen der verstorbenen Akteure als Katze oder Wespe wiederkehren zu lassen, die an ihren Kommunikationsproblemen (immerhin: sie weiß alles) kaum leidet.

Titelbild

Uta M. Heim: Wespennest. Der Sieg des Rattenprinzips. Kriminalroman.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2009.
278 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783899778090

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