Ein kleiner Schatz

„Die kleine Alice“ im Wunderland – ein Kinderbuchklassiker von Lewis Carroll, adaptiert für Kinder ab 6 Jahren

Von Heike GeilenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Geilen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Hinab, hinab, hinab. Wollte das denn nie ein Ende nehmen? ,Wie viele Meilen ich wohl schon gefallen bin?‘, sagte sie laut. ,Weit kann es nicht mehr sein bis zum Erdmittelpunkt. Das wären dann, ja: sechstausend Kilometer wären das, ungefähr wenigstens –‘“ So lautet eine berühmte Stelle in „Alice im Wunderland“. Jeder hat schon einmal etwas von Lewis Carrolls legendärem Kinderbuch gehört, es vielleicht gar gelesen. Die Titelheldin wird während eines langweiligen Picknicks mit ihrer Schwester auf ein weißes Kaninchen aufmerksam, dem sie schließlich in dessen Bau folgt und nach einem beinahe endlos scheinenden Sturz in einer traumartigen Unterwelt landet, die vor Paradoxa und Absurditäten nur so strotzt.

Charles Lutwige Dodgson – so der korrekte Name des Autors, der gleichzeitig ein schrulliger Mathematikprofessor in Oxford und ein Pionier der Fotografie war – wurde damit weltberühmt. In Großbritannien ist er ein nationaler Mythos. Mit seinen Werken befreite er die Kinderliteratur von ihren moralisierenden Tendenzen. Heute zählt er neben Shakespeare und Charles Dickens zu den bekanntesten englischen Schriftstellern. Obwohl – oder gerade weil? – dieser komplizierte, eigenartige Mann die Gesellschaft von Kindern und jungen Frauen suchte (darunter die der berühmten Alice Liddell, die ihn zu seiner Heldin anregte), heiratete er nicht und hatte keine Kinder.

„Alice im Wunderland“ erschien 1865 und hat bis heute nichts von seiner traumhaften Faszination eingebüßt. Sieben Jahre später schrieb Carroll die Fortsetzung „Alice hinter den Spiegeln“. 1885, also zwanzig Jahre nach dem Erscheinen des ersten „Alice“-Buches, fasste er den Plan, die Geschichte für ganz kleine Kinder zu bearbeiten, wie aus seinem Tagebuch hervorgeht: „Jetzt ist mein Ehrgeiz geweckt, von Kindern gelesen zu werden, die zwischen null und fünf Jahre alt sind. […] Ich sollte viel lieber sagen: geblättert zu werden, liebkost zu werden von unseren Lieblingen mit Grübchen und Speckfalten, die, des Lesens und Sätzbildens noch unkundig, Ihr Kinderzimmer mit glücklichem Lärm und das Innerste Ihres Herzens mit ruhiger Freude erfüllen.“

Carroll begann die Arbeit 1888 und vollendete den gekürzten und zusammengefassten Text in knapp zwei Monaten. Mit den berühmten Illustrationen von John Tenniel hat auch der kleine deutsche Leser die Chance, anhand der wunderschön gestalteten Auflage aus dem Diogenes-Verlag, in den Genuss der zauberhaften Geschichte zu kommen. Natürlich sind all die liebenswerten, schrulligen, sonderbaren und lustigen Figuren wieder dabei. Sei es nun das „gestresste“ weiße Kaninchen („Ach Gott, ach Gott! […] Ich komme noch zu spät!“), die blaue Raupe, die Alice größer und kleiner machen kann, die Edamer Katze, das Ferkel-Baby oder der Hummer-Quadrille, die böse Königin („Runter mit dem Kopf!“) und natürlich der verrückte Hutmacher. Jonny Depp steht übrigens seit kurzem als selbiger an der Seite von Anne Hathaway für eine neue Verfilmung von „Alice im Wunderland“ vor der Kamera, Kinostart: 11. März 2010.

„Adieu, liebe Alice, adieu!“, ruft der damals 58-jährige Autor am Ende des Buches beinahe wehmütig seinem entschwindenden Traumbild hinterher. Lewis Carroll hat kleine Mädchen innig geliebt, denn vor den Erwachsenen musste er sich, wegen der damaligen rigiden Moral und eines „absurd verzopften Reglements“, fürchten. „Ist große Kunst nur zu solchem Preis zu haben?“, fragt sich W. E. Richartz im Nachwort. Geblieben ist auf jeden Fall ein Kinderbuchklassiker, der nun auch die ganz Kleinen erfreuen wird.

Titelbild

Lewis Carroll: Die kleine Alice.
Mit Bildern von John Tenniel.
Übersetzt aus dem Englischen und mit einem Nachwort von W. E. Richartz.
Diogenes Verlag, Zürich 2008.
66 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783257011326

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch