Von den Schwierigkeiten des Dichters in revolutionärer Zeit

Über Friedrich Dieckmanns „,Freiheit ist nur in dem Reich der Träume‘. Schillers Jahrhundertwende“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dichter der „Räuber“ und sein Verhältnis zur Französischen Revolution, also zur Politik, ist schon immer ein Stoff für Germanisten gewesen. Zum Jubiläum sind dieses Jahr mehrere Bücher zu diesem Thema und zu Schiller als Person erschienen. Friedrich Dieckmanns Buch behandelt das Thema scheinbar nur nebenbei, doch der Leser merkt schnell, dass dies nicht möglich ist. Die unsichere Lage und widersprüchliche Einschätzung Schillers zeigt sich am deutlichsten in der Tatsache, dass der von der Nationalversammlung zum französischen Bürger ernannte Verfasser der „Räuber“ 1792 eine Eingabe zugunsten des französischen Königs Ludwig XVI an den Konvent erwog. Diese diffuse und unklare Haltung Schillers hatte auch Auswirkungen auf seine dichterische und theoretische Produktion in der Zeit zwischen 1790 und 1798 – oder anders gesagt, warum kam es zum Abschied Schillers vom Drama und vom politischen Geschehen hin zur ästhetischen Kultur und zur Geschichte?

Dies ist die Ausgangsfrage des neuen Buchs des Essayisten Friedrich Dieckmann, der bereits 2005 einen Band über den jungen Schiller („Diesen Kuss der ganzen Welt“) veröffentlicht hatte. Diesmal steht die Zeit von 1790 bis 1798 im Fokus seiner Betrachtung. In zwei Kapiteln, Hauptstücke genannt, „Abschied vom Drama“ und „Die Wiederkehr des Dramas“, die von einem Vorspiel, einem Zwischenspiel und einem Nachspiel umrahmt sind, erzählt Dieckmann von Schillers Auseinandersetzung mit der Zeit, von dessen Problemen mit seiner dichterischen Produktion und mit der Existenz als Schriftsteller. Mit viel Liebe zum Detail schildert er das Weimarer Hof-, Geistes- und Theaterleben, aber auch das private Leben Schillers. Dessen Verbindungen zu anderen Dichtern und Philosophen, insbesondere zu Johann Wolfgang Goethe, wird vor dem Leser ausgebreitet, mitsamt seinen Schwierigkeiten und Selbstzweifeln.

War es die innere Flucht vor dem konkreten Geschehen während der Französischen Revolution, die den Dichter weg vom Drama führte? Oder nimmt Schiller Abschied vom Theater, „als das Welttheater Anstalten macht, seine kühnsten Träume zu erfüllen“, wie Dieckmann schreibt? Gleichwohl, Schiller zieht sich vorerst in die Kunstbetrachtung und die Geschichtsschreibung zurück. Er war in dieser Zeit nicht nur in Geldnöten, sondern auch schwer erkrankt, sogar sein Tod war schon vermeldet worden. Glückliche Umstände halfen ihm dabei, finanziell und gesundheitlich wieder langsam zu genesen. Nach der Lektüre von Immanuel Kants neuen Schriften macht er sich 1793 an die Ausarbeitung und Veröffentlichung von ästhetischen Betrachtungen unter dem Titel „Kallias, oder über die Schönheit“. Darin sieht Dieckmann eine Flucht vor den Jugendträumen und vor der revolutionären Realität in Frankreich. „Die Ergründung des Schönen […] bietet eine Zuflucht zu einer Zeit, in der Geschichtsschreibung nicht mehr und Dichtung noch nicht wieder möglich ist; der Spiel-Raum deren sie bedarf, ist durch Krieg und Umsturz verstellt.“ Daneben entstehen noch 1795 „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ und „Über naive und sentimentalische Dichtung“. Auch anhand dieser beiden Schriften zeigt Dieckmann, dass hinter der scheinbaren Abwendung vom Politischen doch immer auch die Grundeinstellung Schillers dessen Ästhetik beeinflusst.

Ein Glanzstück der Erzählkunst ist sicherlich der Traum Schillers als zweites Vorspiel. Hier gelingt es Dieckmann in brillanter Prosa, Schiller in erlebter Rede so disparat scheinende Gegenstände wie die revolutionären Ereignisse in Paris, das Aufkommen und die Grenzen Napoleons, die Annäherung und seine Freundschaft mit Goethe, die gemeinsamen Projekte, die Auseinandersetzungen mit den Romantikern spannend zusammenfassen zu lassen. Aber auch die Probleme Schillers mit seinen eigenen Produktionen, die Entwicklung oder Stetigkeit bestimmter Motive von den Balladen bis zu Dramen, dazwischen Vorkommnisse im privaten Bereich mit Frau von Stein oder bei den Lengefelds werden zu einem biografischen Hintergrund und ebenso einfühlsam wie prägnant geschildert.

Warum Schiller aber seine lange Dramenpause einlegte und was zu der Wiederaufnahme des Wallensteinstoffes und zur Verarbeitung in ein poetisches Drama führte – eine explizite These hierzu bleibt Dieckmann schuldig. Vielmehr lässt er Schiller in einem Traum erahnen, dass er „sich der Macht der Tatsachen gebeugt hatte, der den Horen- und Musenweg hinter den Fronten der Zeit, der des Umsturzes und der der Konservierung gefunden hatte, aber den Widerstand eigentlich nur vertagte.“ Kann man sagen, er blieb sich treu, musste aber in einer schwierigen Zeit auch aus privaten Gründen – seine Frau entstammte dem Adel und er wollte ihr wieder Zugang zum Hof verschaffen – den politischen Themen entsagen? „War Freiheit nur in dem Reich der Träume“ möglich? Hier hätte sich man etwas mehr als die bloße Beschreibung der Situation Schillers und der Zeitumstände gewünscht. Denn Schiller hatte sich immer gegen die Tyrannei und das sinnlose Töten durch die Revolutionäre gewandt, blieb dabei aber der Idee der Freiheit und der Humanität treu.

Schließlich gelingt Dieckmann im letzten Teil noch eine brillante Analyse, er wagt sich an die Rettung des so oft verspotteten „Lied von der Glocke“. Indem er Goethes „Hermann und Dorothea“ dem „Lied von der Glocke“ in einer ausführlichen Textanalyse gegenüberstellt, schafft er es, die Vorzüge des Schiller’schen Textes deutlich zu machen und ihn sowohl von seiner Form her und auch als als ganzen Text verständlich und wieder lesenwert zu machen. Dass isolierte Zitate, wie es immer wieder geschehen ist, den Zusammenhang der Poesie zerreißen und dann zu einer Trivialisierung führen müssen, liegt auf der Hand.

Der Leser erhält bei Dieckmann einen ausführlichen Überblick über die Zeit sowie über die Lebensumstände und Arbeitsprojekte Schillers vor dem Ende des 18. Jahrhunderts. Dass das Buch dazu noch wunderbare Passagen zu einzelnen Problemen oder Dichtungen enthält, lässt es aus der Fülle der Publikationen zum Schiller-Jubiläum herausragen.

Titelbild

Friedrich Dieckmann: Freiheit ist nur in dem Reich der Träume. Schillers Jahrhundertwende.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
464 Seiten, 34,00 EUR.
ISBN-13: 9783458174554

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