Rimbaud als Offenbarung?

Peter Murphys Debütroman „Ich, John“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So ist das also, da schreibt ein irischer Musikjournalist eine coming-of-age-Geschichte, die einiges an Härte und street credibility aufweisen kann und gleich wird das literarische Werk beziehungsweise dessen Wirkung mit einem Schluck Whiskey verglichen. Literatur und Alkohol bilden ja ein weites Feld, doch dass das Klischee hier so schnell und ungeschminkt zum Einsatz kommt, sollte dem Autor nicht gerade schmeicheln. Als 2008 Alina Bronsky ihr Debüt „Scherbenpark“ vorlegte, das ähnlich klar und unpoetisch die raue Wirklichkeit einer jugendlichen Hauptperson beschreibt (in diesem Fall eben in Deutschland), wurden weder Wodka noch Jägermeister als Referenzgröße für Härte und Verdaulichkeit ins Feld geführt. Na egal, „Ich, John“ von Peter Murphy ist eines der besseren Bücher der Saison, aber ganz sicher keine literarische Offenbarung. Es geht darin um den Jugendlichen John Devine, der mit seiner Mutter in dem irischen Provinzort Kilcody lebt. Die Enge des Hauses, des Ortes, der Regeln – all das macht ihm zu schaffen, er will raus, weiß aber nicht, wohin und was tun. Ein typisches Jugenddilemma. Aus dem ihm der Zufall in Form des jungen James Corboy insofern heraushilft, als dieser Johns Weltsicht und Erlebnisse geradezu durcheinanderwirbelt.

John, der bisher hauptsächlich Ekelstudien über Würmer angestellt und dazu „Harpers Handbuch absonderlicher Naturphänomene“ zu Rate gezogen hat, lernt durch Jamey, der Rimbaud in der Manteltasche trägt, die Welt der Literatur kennen. Rimbaud mit seinem literarischen Ungestüm, seiner unglaublichen Biografie ist natürlich ein großartiges Vorbild für einen Schriftsteller, der eine Jungsgeschichte mit Ecken und Kanten, mit Abstürzen und Entdeckungen schreiben möchte. Und dass Peter Murphy als Musikjournalist nicht auf das Nächstliegende, die typischen Musikerbiografien à la Sex Pistols oder Kurt Cobain als Vorlagen zurückgreift, ist ihm hoch anzurechnen. Mit Jamey verändert sich Johns Leben, er lernt eine andere Art Elternhaus kennen, geht mit dem neuen Freund in Kneipen und Spelunken und kommt mit der Halbwelt in Kontakt. Jamey nämlich kennt ein paar harte Jungs, die auch schon mal das eine oder andere krumme Ding drehen. Eines betrunkenen Abends schleichen sie sich, Jamey hat eine Videokamera dabei, in die Kirche, wo John in einem berserkerhaften Anfall randaliert und völlig ausser Kontrolle gerät. Jamey hat das alles gefilmt, doch in dem ganzen Chaos die Kamera vergessen. So ist die Polizei schnell bei John, der nach kurzem Widerstand alles zugibt und seinen Freund verrät. Jamey kommt in eine Besserungsanstalt und John versinkt in Selbstmitleid, zumal seine kettenrauchende Mutter rapide abbaut. Nach kurzer Pflege zuhause, die hauptsächlich eine aufdringliche Nachbarin übernimmt, muss sie ins Krankenhaus, wo John sie bis zum Tod begleitet.

Vielleicht ist „Ich, John“ eine autobiografische Collage, kulminieren Teile des ruhigeren und unerfahrenen John und Teile des wilden, kreativen Jamey in der Person des Autors, zumal Jamey immer wieder kurze Geschichten schreibt, die er John anfangs zu lesen gibt, ihm später aus der Anstalt schickt – möglicherweise ein Porträt des Autors als junger Mann.

„Ich, John“ ist ein Buch mit vielen starken Passagen, mit spannenden und komischen Episoden, ein Buch, das den Leser stellenweise packt, ihn in die enge, muffige Welt des John Devine hineindrückt und ihn mit Jameys Auftauchen aus dieser Welt hinauskatapultiert. Doch über die gesamte Distanz von 271 Seiten verliert es ein wenig an Sogkraft, wirkt zu episodisch und durch kursiv gesetzte lyrische Kurztexte zwischen den Kapiteln auch gewollt künstlerisch. Hier hat sich Peter Murphy nicht entschieden, ob er ein schnelles, hartes Jugenddrama aus der Provinz oder die Geschichte eines Künstlers schreiben will. Dass er schreiben kann, zeigt dieses Debüt.

Titelbild

Peter Murphy: Ich, John. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Karsten Kredel.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt, M. 2009.
271 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783518461099

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