Kunde, König, Kritiker

Nutzermeinungen kosten nichts und finden wie von allein den richtigen Platz auf einer Handels-Website. Sie beleben das Geschäft – und werden oft mit kritischen Forderungen konfrontiert, die sie gar nicht erfüllen wollen

Von Nadine Belz, Doreen Fräßdorf und Felix KötherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nadine Belz, Doreen Fräßdorf und Felix Köther

Mehr als 150.000 Kundenrezensenten scheint die berühmt-berüchtigte Rangliste der deutschen Seite des Online-Händlers Amazon aufzuweisen – mehr als Städte wie Paderborn oder Darmstadt Einwohner haben. Dass es in dieser gewaltigen Gruppe Licht und Schatten gibt, dass man in dieser Gemeinschaft auf dunkle Ecken und skurrile Gestalten ebenso wie auf freundliche Helfer und engagierte Kulturliebhaber treffen kann, scheint da nur selbstverständlich – und lässt sich wohl auch für Paderborn oder Darmstadt nicht völlig ausschließen.

Schon allein ihre Ansprache als Rezensenten wertet die Aktivität dieser Amazon-Nutzer auf. Eine Rezensenten-Rangliste, die sich aus der Anzahl an Beiträgen und ihrer Bewertung durch andere Nutzer ergibt, verleiht dem Ganzen eine sportliche und vielleicht auch eine diplomatische Note. Und das mediale Interesse an den Top-Rezensenten, die schon in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ oder in „Literaturen“ interviewt worden sind, tut ein Übriges. Doch wer genau sind diese Leute? Passionierte Schreiberlinge, denen die Liebe zum gedruckten Buch gemein ist? Selbstdarstellungskünstler, die ein neues Medium für ihre Leidenschaft entdeckt haben? Oder Professionelle, die ihre Liebe zum Medium Buch ohnehin auch zum Beruf gemacht haben?

Kundenbindung und Content Management

Viele scheinen auf den ersten Blick nur ihre persönlichen Erfahrungen beim Lesen von Büchern wiederzugeben, für die meisten ist es wohl ein Hobby, manch einer möchte vielleicht nur eigene Erfahrungen an andere Leser weitergeben. Dies entspräche also dem Anspruch einer ganz gewöhnlichen Kundenrezension. Schaut man sich die Rangliste etwas genauer an, fallen schnell die Top 100 ins Auge, wo das Ganze einen höheren Anspruch zu haben scheint, auch wenn es sich in den meisten Fällen nicht um professionelle Rezensenten handelt. Dennoch: Viele schreiben passioniert und leidenschaftlich, in den Kommentaren kommt es oftmals zu einem regen Austausch über die Bücher.

Das ist für die Seitenbetreiber nicht nur aus Gründen der Kundenbindung interessant. Die Nutzer leisten auch etwas, wofür sonst ein aufwändiges Content Management betrieben werden müsste: Sie verknüpfen individuelle Inhalte, ihre eigenen Bewertungen nämlich, eigenständig mit den automatisiert in die Datenbank einlaufenden allgemeinen Buchangaben.

Eine Instanz unter anderen

Vom Marktführer haben viele andere Online-Buchhändler die Möglichkeit von Kundenrezensionen und Ranking-Listen auf ihre Seiten übernommen. Um etwa bei buecher.de im Nutzer-Ranking aufzutauchen, genügt es, möglichst viele und gute Lieblingslisten anzulegen und Artikel zu bewerten. Je hilfreicher diese Listen und Bewertungen von anderen Nutzern empfunden werden, umso höher ist der Rang. Im Gegensatz zu Amazon werden bei buecher.de aber nur die Top 100-Rezensenten gelistet. Neben den Nutzermeinungen bindet buecher.de allerdings auch professionelle Feuilleton-Rezensionen in sein Angebot ein und kombiniert so die Kundenbeiträge mit professionellem Literaturjournalismus.

Auch die großen Buchhandelsketten wie Thalia und Hugendubel arbeiten mit diesen Marketing- und Kundenbindungswerkzeugen. Sie gehen dabei jedoch anders vor als die reinen Online-Versandbuchhändler. Bei Hugendubel etwa finden die Buchbesprechungen im sogenannten ‚Buch-Blog‘ statt: Hier sind es Buchhändler, die Bücher auswählen, sie kurz vorstellen und bewerten. Kunden können dann über eine Antwortfunktion mit den Mitarbeitern in Kontakt treten, sich über die vorgestellten Bücher austauschen und sichtbare Kommentare auf der Seite hinterlassen.

Aufregung um den Einfluss

Während der Buchhändler so als Instanz in die virtuelle Welt überführt wird, muss man bei den Kundenrezensenten in einigen Fällen sogar an deren bloßer Existenz zweifeln: Allein die Masse an Buchkritiken, die manch einer der Top-Rezensenten verfasst, das unglaublich hohe Lesepensum also, legt den Verdacht nahe, dass es einige dieser Buchbewerter gar nicht persönlich gibt, sondern das sie als Avatare von PR-Strategen betrieben werden. Das 3sat-Online-Magazin (Artikel: „Gekaufte Rezensionen. Worauf kann man sich noch verlassen?“) zitierte den Verleger Klaus Zwangsleitner von Berlin Press, der es durchaus für möglich hält und recht einfach findet, als Verleger Rezensionen für seine Bücher einzukaufen, um diese dann in Literaturportalen oder im Online-Buchhandel veröffentlichen zu lassen. Für Aufregung sorgte auch der Fall des Rockbuch-Verlages. Sämtliche Publikationen des kleinen Verlages wurden auf Amazon systematisch mit negativen Rezensionen versehen, was durchaus zu wirtschaftlichem Schaden führen kann. Ähnlich erging es dem Verlag Econ oder diversen Computerbuchverlagen. Umgekehrt funktioniert das Ganze ebenfalls: Es haben auch schon Autoren ihre eigenen Werke gelobhudelt.

Kundenrezensionen und Rankings sind in jedem Fall längst zu einem wichtigen Marketing-Instrument geworden, auch wenn es seit jeher kontrovers diskutiert wird: neben der mangelhaften Qualität wird vor allem die Manipulierbarkeit sowohl der einzelnen Meinungen als auch des insgesamt entstehenden Meinungsbildes kritisiert. Dabei haben sich Kundenrezensenten weder literaturjournalistischen Anspruch noch kritische Unvoreingenommenheit auf die Fahnen geschrieben, im Gegenteil: In manchen ihrer Selbstdarstellungen wird der Gegensatz zur als abgehoben abgelehnten professionellen Literaturkritik ebenso herausgestellt wie die besondere Verehrung für bestimmte Genres, Themen, Autoren oder einzelne Bücher. Außerdem: Welchen Einfluss eine Kundenrezension oder der Ranglisten-Platz ihres Verfassers auf den Bücherkauf hat, liegt letztendlich am einzelnen Käufer. Und dessen Fähigkeit, Kundenrezensionen kritisch auf ihre Tauglichkeit zu prüfen, sollte man nicht grundsätzlich unterschätzen.

Kundenbindung 2.0

Amazon, der größte deutsche Online-(Buch-)Händler, setzt Elemente sozialer Netzwerke ein. Dass sich die Community hierbei über den Konsum definiert, ist nur ein Problem.

Die stetig wachsende Zahl von scheinbar über 150.000 Kundenrezensenten verdeutlicht den gewaltigen Erfolg dieses Konzeptes: Eine Menschenmenge in der Größenordnung der Einwohner einer kleineren Großstadt dazu zu bringen, sich aktiv und zum Teil äußerst zeitaufwändig an einem rein kommerziellen Portal zu beteiligen, ohne dass sie dafür einen offensichtlichen, garantierten Gegenwert oder gar Rezensionsexemplare der bewerteten Bücher und Produkte erhalten, darf man wohl als Erfolg bezeichnen. Von dem Umstand, dass die Kundenrezensenten die von ihnen beigesteuerten Inhalte auch noch freiwillig und eigenständig mit dem entsprechenden Produkt verknüpfen, ganz zu schweigen.

Zu diesem Erfolg dürfte die Möglichkeit einen Großteil beitragen, sich als Kundenrezensent (und sogar als nicht derart aktiver Nutzer) bei Amazon ein persönliches Profil einrichten zu können. Hier werden einzelne Elemente der so populären sozialen Netzwerke verbaut, die Nutzer können ihre persönlichen Interessen und den Wohnort angeben oder ein Profil-Bild hochladen, das, im Falle eines den Rezensenten abbildenden Fotos, diesen gerne als sehr seriös, dennoch betont sympathisch lächelnd, eventuell auch in einem entsprechend aussagekräftigen Kontext oder mit dem leidlich bekannten, nachdenklichen Blick in die Ferne zeigt. Selbst an den Geburtstag von Kundenrezensenten kann man sich erinnern lassen, wenn der denn diese Information zur Verfügung stellt. Dass man überdies über die Verfassung von Rezensionen und in einen nahezu sportlichen Wettstreit treten kann, der sein Abbild in einer Rangliste der Kundenrezensenten findet, tut wohl für viele ein Übriges – ein Umstand, der allerdings bisweilen bizarre Blüten treibt.

Der Kunde als schärfster Kritiker

An oberster Stelle der Rangliste verkündet Amazon: „Unsere schärfsten Kritiker sagen uns ihre Meinung über Amazon.de-Artikel aller Art. So trägt jeder dazu bei, anderen Kunden mit hilfreichen und ehrlichen Produkt-Informationen beim Einkauf zur Seite zu stehen.“ Das doch sehr durchsichtige Kompliment, zu den „schärfsten Kritikern“ zu gehören, zeigt das durchaus geschickte Vorgehen von Amazon.de, der Eitelkeit seiner Nutzer entgegen zu kommen: Dass Möglichkeiten der Selbstdarstellung – und Inszenierung – im World Wide Web ohnehin allzu gerne angenommen werden, ist hinlänglich bekannt. Darüber hinaus zu vermitteln, dass der Nutzer Stimmrecht besitze, ihm das Gefühl zu geben, die persönliche Meinung sei gefragt und hätte überdies Einflussmöglichkeit, ist nicht minder geschickt. Und übrigens nicht einmal aus der Luft gegriffen: In der Umfrage, die wir für diesen Artikel durchgeführt haben, erklären fast alle der über siebzig Befragten, die Kundenrezensionen hin und wieder oder sogar oft zu nutzen – wobei man zugeben muss, dass die Kundenrezensenten naturgemäß eine gewisse Affinität zu diesen Rezensionen haben dürften und so keine übermäßig repräsentative Gruppe darstellen.

Den Aspekt der Selbstdarstellung sollte man keineswegs unter-, allerdings auch nicht überschätzen, zeigt besagte Umfrage in dieser Hinsicht doch auch einige interessante Ergebnisse: Zwei Drittel der Befragten erklären, ihren Rang nicht regelmäßig zu überprüfen, der deutlich größere Teil gibt überdies an, die Kundenrezensionen seien lediglich ein Nebenprodukt der Freizeitgestaltung.

Vergiss Facebook!

Auf die Gesamtzahl der Rezensenten bezogen, widersetzt sich der deutlich größere Teil von ihnen zudem der Strategie Amazons, indem man auf den Profilen wenig, keine oder nur bewusst unsinnige Angaben zur Person macht. Auch der Versuch Amazons, auf den Video- und Youtube-Hype zu reagieren und Kundenrezensionen in Video-Form anzubieten, ist bislang noch wenig erfolgreich, was zu zeigen scheint, dass sich offensichtlich nicht beliebige Elemente anderer Portale und Seiten, die maßgeblich mit Nutzerinhalten arbeiten, implementieren lassen.

Das könnte sich jedoch ändern, etwa dann, wenn auch auf der deutschsprachigen Amazon-Seite vollständig das übernommen wird, was auf der amerikanischen bereits Standard ist: Hier findet social networking statt, die endgültige Kundenbindung 2.0 gewissermaßen. Wie in jedem einschlägigen sozialen Netzwerk lassen sich hier nun Profile verknüpfen, andere Rezensenten entweder als „Friends“ oder „Interesting People“ auf der eigenen Seite hinzufügen. Darüber hinaus lassen sich die Rezensionen hier sogar per RSS-Feed abonnieren, also unabhängig von der Amazon-Seite frei Haus empfangen und lesen – eine Technik, die man von Weblogs und Nachrichten-Portalen kennt. Übrigens lassen sich sowohl auf der deutschsprachigen als auch auf der amerikanischen Seite von Amazon die einzelnen Rezensionen kommentieren, womit also auch zentrale Funktionsweisen von Blogs integriert sind.

Die subtil-ködernde Botschaft dahinter scheint klar zu sein: „Du benötigst kein privates Blog mehr“, scheint der Online-Händler seinen Kunden zuzuflüstern, „und was deine Profile auf Online-Communities, auf Facebook und all diesen Seiten betrifft: Das kannst du alles auch hier!“

Ich bin, was ich kaufe

Vergegenwärtigt man sich nun wieder den rein kommerziellen Kontext, wird die Dimension des Ganzen sichtbar: Das Freizeitverhalten der Kunden, selbst Elemente ihrer Privatsphäre und soziale Kontakte werden nun mit Konsum, mit einem rein kommerziellen Angebot und aus einem rein wirtschaftlichen Interesse verknüpft. Und da auf Amazon naturgemäß jede Rezension, jedes Element einer Wunsch- oder Lieblingsliste mit der entsprechenden Produktseite verbunden ist, werden diese Produkte, werden Waren nun die Bau- und Mosaiksteine des eigenen Porträts, vielmehr der eigenen Inszenierung, denn je mehr man von sich preisgibt, je wichtiger die eigene Wirkung, der Rezensenten-Rang, desto bewusster wählt man möglicherweise die Produkte, mit denen man letztendlich assoziiert werden will. Der Kunde, der auf Amazon dank der weitreichenden Personalisierung ohnehin längst ein gläserner ist, identifiziert sich somit plötzlich auch über und mit den Produkten, mit Konsumartikeln selbst: Kapitalismus in Reinform.

Dank der oben beschriebenen Elemente und spätestens mit dem Aufbau sozialer Beziehungen – die es auch auf der deutschsprachigen Amazon-Seite zu geben scheint, vollzieht man einmal die Anmerkungen und Kommentare unter einigen Rezensionen nach – investieren die Kunden, die sich auf dieses Spiel einlassen, auch emotional in die Verkaufsplattform: Eine Form der (Kunden-)Bindung, die sich mit wachsender Intensität immer schwerer lösen lässt.

Große Gefühle unter dem Euro-Zeichen

Dass diese Grundstrukturen und Ansätze vorhanden sind und bereits Wirkung zeigen, ist kaum bestreitbar: Einige der Kundenrezensenten, mit denen im Rahmen dieser Artikel Kontakt aufgenommen wurde, investieren emotional so bemerkenswert stark in ihre Tätigkeit, dass man sich nicht des Eindruckes erwehren kann, dass die Bereiche der Nutzerinhalte auf Seiten wie Amazon – wie eben auch andere virtuelle, soziale Netzwerke – für einige wenige fast ein virtuelles Lebensumfeld geworden sind: große Gefühle unter dem Euro-Zeichen.

Mit der Rezensenten-Rangliste bietet Amazon seine ganz eigenen Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs. Immerhin fast ein Drittel der in der Umfrage Befragten gibt zu, ihren Rang in der Liste regelmäßig zu überprüfen. Rein zahlenmäßig erklären fast ebenso viele, dass die Möglichkeit des Aufstiegs in der Rangliste ihr Lese- und Rezensionsverhalten verändert hat, weil sie mehr Zeit ins Lesen und Rezensieren investieren. Das klingt doch zunächst positiv: Die Rangliste scheint dazu beitragen zu können, dass Menschen sich differenzierter und länger mit Literatur und deren Einordnung und Verortung beschäftigen. Was sollte daran also schlecht sein?

Der Kundenrezensent als Krieger

Die Rezensenten-Rangliste scheint mikropolitische Aktivitäten zu fördern, von schlichter Diplomatie über Intriganz bis hin zu offenem Mobbing. Dies legt zumindest ein Rezensent nahe, der uns offensichtlich aus eigener Erfahrung in dramatischen Worten die Schattenseiten der Rangliste beschreibt – und dabei auftrat wie ein vermummter Informant in einer dunklen Seitengasse einer beliebigen, alle Klischees erfüllenden Detektivgeschichte: „Die Amazon-Rezensenten“, war eine seiner ersten Behauptungen, „sind derartig bösartig und seilschaften-mafiös, dass ich Ihnen nur vertraue, wenn Sie mir Ihre vollständige Adresse geben inkl. Telefon Nummer – dann rufe ich ggf. zurück.“

Selbst als wir die geforderten Kontaktmöglichkeiten gewährten, konnte das Misstrauen nicht zerstreut werden: „Ich habe kein Vertrauen“, erklärte der Unbekannte, um dann in der Dunkelheit des World Wide Web abzutauchen, nicht ohne vorher noch auf das „DossierFreiesAmazon“ zu verweisen, das sich konstituiert habe mit dem Ziel, die sich im Rahmen der Rangliste ereignenden „Machenschaften“ zu sammeln. Denn: Unter den „Amazon-Rezensenten herrscht Krieg und die unglaublichsten Mittel werden eingesetzt.“

Das klingt dramatisch, scheint jedoch auf eine wohl kaum vermeidbare Dynamik hinzuweisen, an der immerhin der Online-Händler Amazon selbst sogar vollkommen unschuldig ist: Wo sich ein nahezu sportlicher Wettbewerb entwickelt, geschieht nun einmal zwangsläufig das erste Foul. Oder, in der Häufung eben: „Krieg“!

Abwerten und Ausspähen

Doch als wir nach Konkretem, nach Belegen fragten, traute sich keiner unserer Ansprechpartner aus der Deckung. Ihre unheilsschwangeren Andeutungen immerhin ergeben dieses Bild: Da die Kundenrezensionen als „hilfreich“ oder eben „nicht hilfreich“ bewertet werden können und sich die Rangfolge der Rezensenten anscheinend auch aus diesen Bewertungen ergibt, scheint es wohl durchaus vorzukommen, dass manche Nutzer die Rezensionen anderer, höher stehender oder vielleicht auch schlicht unliebsamer Rezensenten massenhaft als eben ‚nicht hilfreich‘ bewerten, um so Verschiebungen in der Rangliste zu erreichen. Ähnlich verbreitet scheint das gezielte Anschwärzen anderer Rezensenten bei Amazon selbst, das im Notfall eingreift und beispielsweise diskreditierende Anmerkungen unter Rezensionen löscht.

Auch wurde vom Einsatz regelrechter Phishing-Mails berichtet, die offensichtlich nicht nur für Bankdaten, sondern auch für Kundenrezensenten-Profil-Zugangsdaten eingesetzt werden. Im Besitz dieser Daten könnten Nutzer die Profile, das Ansehen unliebsamer Konkurrenten ruinieren.

Identitätsstifter Amazon

Anscheinend beschränken sich diese durchaus als Mobbing wahrgenommenen Phänomene erfreulicherweise auf einen – im Vergleich zur Gesamtzahl der Kundenrezensenten – eher kleinen Kreis im oberen Bereich der Rangliste, an einem Ort also, wo der Rezensenten-Rang für einige wenige ein nicht unerhebliches, gerade zu identitätsstiftendes Potential und Gewicht zu besitzen scheint – gibt es doch Selbstbeschreibungen von Kundenrezensenten auch außerhalb von Amazon, die mit den Worten beginnen: „Ich zähle zu den Top Amazon Rezensenten […].“

Damit wäre man auch wieder bei der bisweilen bemerkenswerten, emotionalen Investition mancher Nutzer, die dem Online-Händler selbst natürlich nur recht sein kann.

Es sollte allerdings noch betont werden, dass die überwiegende Mehrheit der von uns kontaktierten oder erreichten Personen so freundlich wie auch hilfsbereit und kommunikativ war.

Die Umfrage

„Reine Kundenrezensionen halte ich für sehr viel glaubwürdiger, denn sie sind von der Basis, eben den Lesern.“ Ist das die vorherrschende Meinung unter den Kundenrezensenten über die von ihnen verfassten Texte? In Form eines Fragebogens wurden sie nach ihrer Motivation befragt, ferner sollte herausgefunden werden, welchen Stellenwert die Rezensionen für die Urheber selbst besitzen, welche weiteren Wünsche oder Ziele verfolgt werden oder entstanden sind.

Trotz der bereits zitierten Größenordnung der kleineren Großstadt, der die Zahl der Amazon-Rezensenten entspricht, gestaltete sich dieses Unterfangen aufgrund mangelnder Kontaktmöglichkeiten jedoch schwieriger als angenommen. Schlussendlich nahmen über siebzig Nutzer und Kundenrezensenten teil, die zum größten Teil auf den Seiten von Amazon tätig sind. Kontaktiert wurden nach Möglichkeit vor allem regelmäßig tätige Rezensenten des oberen Mittelfeldes und des oberen Bereiches der Rangliste, die sich hauptsächlich oder wenigstens teilweise mit Büchern und Literatur beschäftigen.

Zentral war dabei etwa die Frage nach der individuellen Motivation, die unter anderem folgendermaßen beantwortet wurde:


Auch nach der Bedeutung des eigenen Ranges im Rezensenten-Ranking wurde gefragt, wobei diese nicht so hoch scheint, wie man bisweilen vermuten könnte – auch wenn der Effekt der Rangliste insgesamt keinesfalls zu leugnen ist.


An dieser Stelle ließe sich bereits diskutieren, wie dies zu bewerten ist, inwiefern dies womöglich sogar eine positive Folge der Rangliste sein könnte, wenn mehr Zeit und Aufwand in eine Rezension gesteckt wird. Letztlich sollte man jedoch bedenken, dass dies natürlich keinerlei Aussage darüber ist, inwiefern sich dieser höhere Aufwand in der Qualität oder in der Quantität der Rezensionen niederschlägt.

Auch die Pflege des persönlichen Profils lässt darauf schließen, dass man dessen Bedeutung nicht unter-, jedoch auch keineswegs überschätzen darf:


Weitere Ergebnisse, auch die von Fragen hinsichtlich der Nutzung anderer Funktionen auf Amazon, scheinen die Kundenrezensionen als oft reines Nebenprodukt der Freizeitgestaltung und wenig hintergründiger, privater Interessen zu bestätigen.

Für manche/n sei dies eine Möglichkeit, ein persönliches „Kulturtagebuch“ zu führen, ein weiterer Rezensent gab unumwunden die „Egopflege“ als Motivation an, andere erklärten, das Schreiben und Verfassen von Texten allgemein zu trainieren und „Spaß an der Übung des reflektierenden, beurteilenden Rezensierens“ zu haben.

Neben den Rezensionen werden auch weitere der auf Amazon angebotenen Möglichkeiten und Funktionen genutzt:


Dennoch erklären fast die Hälfte, Bücher auch vor dem Hintergrund einer späteren Rezension zu lesen:


Ein weiterer Schwerpunkt innerhalb der Befragung war, inwiefern sogar weitere Ziele und Wünsche entstanden sind, etwa der, die eigenen Rezensionen zu professionalisieren oder gar selbst in einem professionellen Medium tätig zu werden. Auch wenn die meisten der Befragten dies zwar erwartungsgemäß negativ beantworten, darf man nicht außer Acht lassen, dass es tatsächlich solche Ansätze gibt:


Ebenso sollte herausgefunden werden, inwiefern sich das Kaufverhalten infolge der Nutzung der Funktionen und Möglichkeiten auf den Seiten der Online-Buchhändler verändert hat, wie erfolgreich diese Strategie der Kundenbindung also bislang tatsächlich ist:


Obwohl man letztlich festhalten muss, dass die Kundenrezensionen und weitere Funktionen als Werkzeug der Kundenbindung in jedem Fall wirksam sind, zeigt sich hier erneut, dass man die Kundenrezensenten und Nutzer nicht unterschätzen darf: Sowohl die mangelnde Profilpflege, die häufig ohnehin nur mangelhafte Umsetzung und Nutzung des persönlichen Profils oder auch das obige Ergebnis zeigen, dass man sich der Strategie Amazons durchaus widersetzt. Einem gleichzeitig regen Rezensions- und Nutzerverhalten entspricht keineswegs immer ein entsprechendes Kaufverhalten, im Gegenteil: Einer der Rezensenten, der an der Umfrage teilnahm, erklärte, Amazon hinsichtlich des Kaufens von Büchern soweit möglich zu boykottieren. Andere wiederum erklären, die Kundenrezensionen auf Amazon zwar zu nutzen, jedoch „anschließend beim örtlichen Buchhändler zu kaufen“, im Bewusstsein, dass „Amazon eine Art Monopol anstrebe“.

In den – nicht selten von Ressentiments aller Parteien geprägten – Kontroversen und Diskussionen wird den Kundenrezensionen häufig das klassische, professionelle Feuilleton gegenübergestellt, gerne mit der Feststellung, dass eben dessen Qualität, Professionalität, die Abwesenheit von Geschmacksurteilen und das Vorhandensein einer unvoreingenommenen, kritischen Beurteilung bei den Kundenrezensionen eben nicht gegeben sei. Nun ist es einerseits recht naiv zu glauben, dass die Rezensionen des Feuilletons oder professioneller Kontexte diesen Anspruch oder gar den der Objektivität – die ohnehin per se eine Illusion ist – selbst immer erfüllen. Andererseits werden diese Vorwürfe auch dadurch konterkariert, dass die Kundenrezensionen selbst keinen anderen Anspruch erheben als eben den, Kundenrezensionen zu sein.

In der Umfrage wurden die Rezensenten und Nutzer gefragt, ob Kundenrezensionen ihrer Meinung nach einen Vorteil gegenüber dem klassischen Feuilleton besitzen, und wenn ja, welchen.

Vorweg sei gesagt, dass in den Antworten recht große Einigkeit herrschte. Inwieweit es überrascht, dass lediglich einige wenige Personen diese Frage verneinten und sich kritisch äußerten, während der überwiegende Teil der befragten Kunderezensenten diesen Vorteil bei den auch von ihnen verfassten Texten klar sieht, sei einmal dahingestellt. Aber auch in den Begründungen war man sich insgesamt recht einig, wobei einige zentrale Punkte und Aspekte hervorstechen:

Die Vielfalt der Kundenrezensionen und das in ihnen vertretene, große Meinungsspektrum, sowohl quantitativ wie qualitativ, wurden so immer wieder hervorgehoben, es gebe alles „vom dilettantischsten Schrott bis hochintelligenter Lektüre“, oder, „in Stichworten: Mehr Meinungen, aussagekräftiger, kontrastreicher und gelegentlich auch tiefschürfender als der professionelle Feuilleton, mehr Schund, aber auch mehr Qualität.“ Manche/r geht sogar noch weiter: „Vielfältigkeit überwiegt Professionalismus“ liest man, andere sprechen überhaupt den Kundenrezensionen erst eine objektive Perspektive zu. Ein weiterer Vorteil bestünde auch in der Themenvielfalt, „weil im klassischen Feuilleton üblicherweise nicht das rezensiert wird, was mich interessiert.“ oder weil in den Kundenrezensionen „auch zu vielen Büchern Kritiken erscheinen, die im klassischen Feuilleton keine Anerkennung finden.“

Nicht minder häufig wurde den Kundenrezensionen Authentizität, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit zugesprochen: „Reine Kundenrezensionen halte ich für sehr viel glaubwürdiger, denn sie [sind] von der Basis, eben den Lesern. Wobei man auch hier unterscheiden muss: Leser, die Rezensionsexemplare kassieren, rezensieren gefälliger. Dann ist man wieder beim Feuilleton.“ Es gebe eine „scheinbare Unabhängigkeit des Rezensenten vom Produkt/Hersteller“, Kundenrezensionen seien „unvoreingenommen, nicht so abgehoben“, sie seien „direkt, praxisbezogen, bodenständig“, besäßen häufiger einen persönlichen Empfehlungscharakter und seien leichter verständlich.

Ferner seien sie „häufig persönlicher gestaltet […] und von den Rezen[sen]ten nicht zu Werbezwecken geschrieben“ worden, „Pressestimmen sind meist Lobhudelei, heißt nicht, dass das Buch wirklich gelesen wurde. Kunden schreiben ihre wirkliche Meinung“.

Überhaupt fühlen sich viele von den Rezensionen, Texten und Kommentaren der Gleichgesinnten eher angesprochen, denn „hier rezensieren Leser für Leser“, die Kundenrezensionen seien „eher realistisch […], was die ‚Alltagstauglichkeit‘ von Büchern angeht“. Zudem: „Kundenrezensionen zeigen ein viel breiteres Spektrum von Lesern und es handelt sich dabei meist um ‚Normalbürger‘, nicht um Menschen, die ein Germanistikstudium hinter sich haben. Ich glaube, dass sie eher meinen Geschmack treffen.“ Man könne sich „vielleicht besser mit einem Rezensenten ‚von der Straße‘ identifizieren als einem Literaturkritiker im Elfenbeinturm.“

Ein weiterer, durchaus überzeugender Aspekt schließlich, der in den Antworten mehrfach zu finden ist und der in der nicht unbedingt immer reflektierten, öffentlichen Diskussion wohl nicht sonderlich beachtet wird: Die gelieferten Informationen seien wie die Beurteilungskriterien einfach andere als etwa im klassischen Feuilleton, von Vor- und Nachteilen könne so bei mangelnder Vergleichbarkeit auch kein Rede sein: „Emotionaler, subjektiver, repräsentativer, spontaner. – Keine Alternative zu Feuilletons, sondern Ergänzung.“

Schlussendlich wurde in der Umfrage des Weiteren nach einigen wenigen demografischen Daten gefragt, um die Gruppe der Befragten so wenigstens in Umrissen greifbar zu machen. Für die gesamte Zahl der auf Amazon tätigen Kunden-Rezensenten ist dies also nur bedingt repräsentativ.

Fast die Hälfte der Befragten gab an, in einem Angestelltenverhältnis zu arbeiten, dahinter, bereits deutlich abgeschlagen, stellen Selbstständige und Studenten zwei weitere noch nennenswerte Gruppen:


Zwei Drittel gaben an, weiblich zu sein. Wesentlich breiter gefächert präsentiert sich hingegen die Altersverteilung:


(Die prozentualen Angaben sind jeweils gerundet. Ergibt die Summe dieser Angaben nicht ungefähr 100 Prozent, wurde diese Frage von entsprechend weniger Personen beantwortet, als insgesamt an der Umfrage teilnahmen.)