„Findet, so werdet ihr suchen“ – Ruth Oelzes „Anekdoten über die Gebrüder Grimm“

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einigen Jahren erscheint im Eulenspiegel Verlag eine Anekdoten-Reihe, hinter der sich doch mehr verbirgt als diese Bezeichnung vielleicht vermuten lässt. Nicht nur, dass man sich hier auf ungezwungene Weise so bekannten wie verschiedenartigen Menschen wie Oscar Wilde, Friedrich Nietzsche oder Che Guevara nähern kann – auch zum Verständnis des jeweiligen Zeitgeschehens tragen diese umgänglichen Büchlein einiges bei.

Anlässlich der zeitlichen Nähe des 150. Todestages Wilhelm Grimms am 16. Dezember 2009 zum 225. Geburtstag seines Bruders Jacob am 4. Januar 2010 sind jüngst nun auch „Anekdoten über die Gebrüder Grimm“ erschienen. Der aufgrund der Ambivalenz des Anlasses treffende Titel „Und wenn sie nicht gestorben sind…“ wirkte in anderem Zusammenhang womöglich ziemlich abgegriffen, hier aber geht er durch.

Dass der Anekdotensammlung ein Zitat des mit dem Bruderpaar befreundeten Romantikers Achim von Arnim, 1811 Gründer der nationalistischen Christlich-deutschen Tischgesellschaft, vorangestellt wurde, könnte als Misston aufgefasst werden: „Nach meiner Überzeugung gibt es unter allen, die sich jetzt in Deutschland um dessen ältere Literatur bekümmern, keinen, wie Wilhelm Grimm und seinen Bruder Jacob, an Wahrheitsliebe, Gründlichkeit, Umfassung und Fleiß.“ In seiner unkommentierten Weise transportiert es nämlich alte Fehler in die neue Zeit. Denn die Gebrüder Grimm haben sich eben nicht so rein, voller Wahrheitsliebe und Gründlichkeit um die ältere deutsche Literatur gekümmert, wie es Arnim gern gehabt hätte. Tatsächlich wurde ein großer Teil der Märchenstoffe aus Frankreich und Italien tradiert. Die Sprichwort-Abwandlung „Findet, so werdet ihr suchen“, welche Arnim den Brüdern ins Stammbuch schrieb, kann demnach auch anders verstanden werden, als sie vielleicht gemeint war. Mehr als einen Hinweis darauf, dass die wohl zugunsten der national-romantischen deutschen Sittenstrenge manchmal erheblich veränderten Grimm‘schen Versionen eher auf Wilhelm als auf Jacob zurückgehen, liefert jedoch auch die Anekdote zum Übersetzerstreit nicht, die sich im Buch findet.

So bleibt das Ganze am Ende doch etwas volkstümlich, was aber mehr an den Anekdoten selbst und weniger an Ruth Oelze liegen könnte, die sie für uns gesammelt und aufgeschrieben hat.

M. H.

Titelbild

Ruth Oelze: Und wenn sie nicht gestorben sind ... Anekdoten über die Gebrüder Grimm.
Eulenspiegel Verlag, Berlin 2009.
127 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783359013259

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