Das Paradox der Abschreckung

Dierk Walter, Christian Müller und Bernd Greiner haben einen Band zur „Angst im Kalten Krieg“ herausgebracht

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Angst erwies sich in den vier Dekaden des Kalten Kriegs fraglos als eine bedeutende politische Ressource. Bestand doch das Paradox der Abschreckung gerade darin, dass größtmögliche Sicherheit nur durch jene Mittel erreichbar schien, von denen zugleich auch die höchste Gefahr ausging. Damit also das Gleichgewicht des Schreckens funktionieren konnte, musste Angst als zentrales Mittel der politischen Kommunikation etabliert werden. Der sowjetische Diktator Josef Stalin hatte es in Potsdam der ihm folgenden Generation von Kalten Kriegern vorgemacht. Konfrontiert mit der – allerdings nicht ganz überraschenden – Nachricht von der erfolgreichen Zündung einer amerikanischen Atomwaffe in Los Alamos verriet er nicht die geringste Regung, doch hinter den Kulissen bezeichnete er sie zutiefst entsetzt als schreckliche Waffe. Es war kein Vergehen, Angst zu haben, nur zeigen durfte man sie nicht. Welcher Seite es gelang, erfolgreich mit den eigenen oder den Ängsten der Bevölkerung umzugehen und sie sogar für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, hatte in diesem fast vier Jahrzehnte anhaltenden psychologischen Poker einen entscheidenden Vorteil.

Der nun von der Hamburger Edition herausgebrachte Band „Angst im Kalten Krieg“, nunmehr schon die dritte Publikation aus der Reihe „Studien zum Kalten Krieg“, erstaunt also weniger durch seinen Titel, als vielmehr dadurch, dass überhaupt erst jetzt der Versuch unternommen wurde, diesen fraglos bedeutenden Aspekt in der globalen Auseinandersetzung der beiden Supermächte wissenschaftlich in den Blick zu nehmen.

Das Themenfeld der in dem Band versammelten 18 Autoren ist weit gespannt und deckt beide Seiten der politischen Frontlinie ab. Dabei geraten meist nicht die bekannten Katarakte in der Geschichte des Ost-West-Konfliktes in den Fokus, sondern auch ruhigere Phasen, in denen sich gleichwohl Angst und ihre Funktionalisierungsstechniken als eine Art Grundbefindlichkeit der Epoche nachweisen lassen.

Aus welchen Anlässen traten nun Ängste auf, wie dechiffriert man überhaupt Emotionen, welche anderen Motive vermischten sich mit ihnen und welche Möglichkeiten ihrer Bewältigung oder gar Instrumentalisierung ergaben sich?

Es überrascht kaum, dass die beiden deutschen Frontstaaten einen Schwerpunkt der Betrachtung bilden. Schließlich waren sie nicht nur zentraler Schauplatz eines möglichen thermonuklearen Schlagabtauschs, hatten doch auch ihre Bevölkerungen bereits hautnah einen totalen Krieg mit Bombenterror und Vertreibung erlebt und sahen sich angesichts einer möglichen Apokalypse schon per se in der Rolle des Opfers.

Mehr als ein Drittel der Beträge befasst sich dann auch mit den deutschen Befindlichkeiten beiderseits des Eisernen Vorhanges. Dies reicht von den dilettierenden Luftschutzbemühungen beider Administrationen bis hin zu den Friedensbewegungen der 1950er- und 1980-Jahre, die sich in ihren Äußerungsformen grundsätzlich voneinander unterscheiden. Erst die westdeutsche Protestbewegung gegen die NATO-Nachrüstung trat mit der Behauptung auf, dass es rational sei, Angst zu haben und sie öffentlich zu bekunden. Damit aber hatten sie jenen stillschweigenden Konsens aller Beteiligten im Kalten Krieg gekündigt, der ein offenes Äußern der eigenen Emotionen nicht vorsah und sie sogar als Schwäche brandmarkte.

Dass auch die westdeutsche Regierung mit ihren nuklearen Ambitionen in den 1960er-Jahren selbst Ängste auslöste, die von ihren westlichen Verbündeten provoziert und gegen Bonn instrumentalisiert wurden, zeigt die Studie von Oliver Bange: „A German Finger on the Trigger“. Mit der klassischen religiösen Ausdrucksform der Angst befasst sich Monique Scheer, die in ihrem Aufsatz zeigt, dass sich noch im anbahnenden Nuklearzeitalter vormoderne Verhaltensweisen zumindest in einigen katholisch geprägten Regionen Westeuropas nachweisen lassen. So hatte sich die Zahl der den Kirchenbehörden gemeldeten Marienerscheinungen in den Jahren 1947 und 1953 praktisch verdreifacht, sank danach aber wieder auf das übliche Niveau.

Angst als kollektives Phänomen und zugleich als weitläufigste und intensivste Emotion des Menschen überhaupt kann auf Dauer nicht bestehen, ohne politische Systeme mit ihrem basalen Versprechen von Sicherheit und Frieden zu erodieren. Mögliche Therapien loten daher die Autoren im dritten Abschnitt des Bandes aus. Mit welchen Botschaften die Filmindustrie in beiden Lagern auf die Ängste des modernen Menschen reagierte, zeigt etwa die Mainzer Filmwissenschaftlerin Oksana Bulgakowa. Während Filme im Westen meist die negativen Aspekte des technischen Fortschritts hervorhoben und gern die mit nuklearer Technik verbundenen Gefahren überzeichneten, gingen sowjetische Filmemacher unter staatlicher Direktive gerade den entgegengesetzten Weg und betonten die Bedeutung der Technik für den gesellschaftlichen Fortschritt.

Als ein besonderes Fallbeispiel von Angstbewältigung aus der Frühzeit des Kalten Kriegs analysiert der Mitherausgeber Bernd Greiner die im Oktober 1951 in „Collier`s“ erschienene Reportage „Preview of the War We Do Not Want“. Das damals auflagenstärkste Magazin in den Vereinigten Staaten beschrieb auf 132 Seiten einen fast dreijährigen thermo-nuklearen Krieg, der schließlich zum Untergang und zur Befreiung der Sowjetunion führte. Die von namhaften Publizisten wie dem mehrfachen Pullitzer-Preisträger Robert E. Sherwood gestaltete Reportage endete mit einem versöhnlichen Ende, in der ein wieder aufgebautes Moskau im Jahre 1960 die freie Welt zu den Olympischen Spielen empfängt.

Den drei Hamburger Herausgebern ist es mit ihrem jüngsten Sammelband ohne Frage gelungen, eine ungewohnte, wenn auch nicht grundsätzlich neue Perspektive auf die Zeit des Kalten Krieges zu entwickeln. Über die Auswahl der Fallbeispiele mit dem deutschen Schwerpunkt kann man wie immer geteilter Meinung sein. So ist es nicht leicht nachvollziehbar, dass sich der erste Abschnitt des Bandes unter dem Titel Schutzräume gleich fünfmal mit dem Zivilschutz in verschiedenen Ländern befasst. Auch die im zweiten Abschnitt zusammen gefassten Beiträge bieten keinen echten thematischen Zusammenhang. Vor allem in dem ansonsten lesenwerten Aufsatz von Bernd Schaeffer über den sowjetisch-chinesischen Konflikt der späten 1960er-Jahre trat das zentrale Thema fast ganz zurück. Ebenso wenig überzeugt der Versuch von Susanne Schattenberg, das auftrumpfende Auftreten des sowjetischen Staats- und Parteichefs Nikita Chruschtschow im Westen als Ausdruck seiner ständigen Angst vor Erniedrigung darzustellen. War es denn tatsächlich die gleiche Angst, wie sie die Atomkraftgegner der 1980er-Jahre umtrieb?

Auch wenn sich die meisten der in dem Band versammelten Aufsätze als eigenständige Studien lesen lassen, die sich grob mit dem Generalthema in Verbindung bringen lassen, bleibt doch beim Leser der Eindruck zurück, es hier nur mit einer Ersatzlösung zu tun zu haben. So vermisst man zum Beispiel auch eine Herausarbeitung der Thematik im Hinblick auf Kunst, Literatur und Philosophie. So lässt sich feststellen, dass eine monografische Untersuchung, die das Thema deutlicher eingrenzt und in der auch die Gesellschaften anderer wichtiger Staaten einbezogen sein müssten, ein Desiderat der Forschung bleibt.

Titelbild

Bernd Greiner / Christian Müller / Dierk Walter (Hg.): Angst im Kalten Krieg.
Hamburger Edition, Hamburg 2009.
527 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783868542134

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