The same procedure as every year?

Jurymitglied Ijoma Mangold präsentiert die Gewinner des Ingeborg-Bachmann-Preises in „Klagenfurter Texte. Die Besten 2009“

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Jahrgänge, da ist schon der Titel des Sammelbandes eine euphorische Beschönigung. Das war bei einigen Klagenfurter Jahrgängen der letzten Jahre der Fall. Das alljährliche Wettlesen unter dem Namen Ingeborg Bachmanns präsentierte auch dieses Jahr bei weitem nicht, wie es der Klappentext verspricht „Die besten Texte, die die junge deutschsprachige Literatur 2009 zu bieten hat“.

Nun, Amazon etwa verkauft unter dem Suchbegriff „junge deutsche Literatur“ Peter Stamm (Jahrgang 1963), Wladimir Kaminer (Jahrgang 1967), Friedrich Ani (Jahrgang 1959), Ilja Trojanow (Jahrgang 1965), Walter Moers (Jahrgang 1957) und Felicitas Hoppe (Jahrgang 1960). Leute, die sich für junge deutsche Literatur interessieren, sind also Falsch-Etikettierrungen gewohnt.

Aber darum geht es beim Ingeborg-Bachmann-Preis auch gar nicht. Es gibt Gründe dafür, warum der Literaturwettbewerb 2009 schon ins 33. Jahr geht. Die laut ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz „sich am längsten behauptende Castingshow des deutschen Sprachraums“ ist vor allem ein Medienformat mit Tradition, das von gelegentlichen Glanzlichtern lebt und seinen Mythos durch diese nährt. Bekanntestes Beispiel ist wohl Rainald Goetz, der sich 1983, während er vor laufenden Fernsehkameras in Klagenfurt las, die Stirn mit einer Rasierklinge aufritzte und das Podium blutüberströmt verließ. Gewonnen hat er damit nicht – obwohl sich die Chancen auf den Ingeborg-Bachmann-Preis statistisch erhöhen, wenn der Wettbewerbsteilnehmer ein Medizinstudium abgeschlossen hat. 2004 gewann Uwe Tellkamp, der inzwischen seine Tätigkeit als Mediziner für das Schriftstellerdasein an den Nagel hängte. 2009 hat wieder ein hauptberuflicher Arzt gewonnen und auch Jens Petersen wird sich wohl früher oder später zwischen Schriftstellerei und Medizinerdasein entscheiden müssen.

Mit einem Performanceauftritt konnte dieses Jahr ein Autor in Klagenfurt nicht bei der Jury oder dem Publikum punkten, obwohl seine Darbietung sogar textimmanent begründet war: Der Österreicher Philipp Weiss las einen Text über einen Autor mit Papier im Magen vor und verspeiste am Ende seiner Vortrages ein Blatt Papier. Aber wie schon bei Goetz: Performancequalitäten erhöhen nur bedingt die Chancen zu gewinnen – Weiss ging leer aus. Was wohl auch daran gelegen haben mag, dass es nicht eine Seite seines Textes war, die er verspeiste, sondern eine Oblate Esspapier.

Der einzige, der je mit Inszenierung über den Text hinaus beeindrucken konnte, war PeterLicht 2007. Seine mediale Selbstinszenierung folgt dem Phantom-Prinzip: Es gibt keine genauen biografischen Angaben zu PeterLicht und keinerlei mediale Reproduktion seines Gesichts. Ergo wurde er in Klagenfurt nur von hinten gefilmt, die Preise – den Publikums- und den 3-Sat-Preis – nahm ein Stellvertreter für ihn entgegen.

Und als Kathrin Passig 2006 mit dem ersten literarischen Text, den sie je verfasst hatte, nicht nur den Hauptpreis, sondern auch den Publikumpreis abräumte, wurde ihr „Agententum“ und „Unterwanderung“ des Wettbewerbs unterstellt – und es wurde fast schon belustigt darüber diskutiert, ob es ein „Geheimrezept“ für den definitiven Gewinnertext gäbe.

Ein Text stach allerdings auch dieses Jahr heraus und führte zu heftigen Diskussionen – doch dieser lief außer Konkurrenz. Es handelte sich um die Klagenfurter Rede zur Literatur, gehalten von Josef Winkler, die nicht nur in ihrer poetischen Qualität überzeugte, sondern auch mit den offen ausgesprochenen Missständen die Witwe Jörg Haiders erblassen ließ und beim Klagenfurter Bürgermeister eine spontane fiebrige Erkrankung auslöste – das Publikum aber zu frenetischen Applaus herausforderte. Der Ingeborg-Bachmann-Preis versuchte sich für einen kurzen Moment erfolgreich an politischen Statements.

Diese Rede ist wohl – neben dem Porträt des verdienten Gewinners Jens Petersen, verfasst von Elmar Krekeler –, auch der spannendste Text in „Die Besten 2009“.

Ansonsten wirkt das Buch in seiner „Archiv-Funktion“ eher unentschieden. Es werden nur die acht Texte der Shortlist präsentiert statt alle 14 angetretenen. Und Ausschnitte aus der Jurydiskussion – die dieses Jahr teils wesentlich spektakulärer und ausgefeilter war als manch einer der Texte, den sie verhandelte – über die Texte werden nur zu den vier Preis-Gewinnern präsentiert.

Nicht nur konzeptuell spannend ist wiederum der Pressespiegel, der Artikel über den Ingeborg-Bachmann-Preis 2009 einiger der wichtigsten deutschsprachigen Zeitungen zeigt. So ergibt sich der große Mehrwert des Bandes: Als Leser bekommt man nicht nur eine Anthologie, sondern auch eine direkte Kommentierung der Texte (mit den Auszügen aus der Jurydiskussion) und dann wiederum durch den Pressespiegel den Kommentar zur gesamten Veranstaltung.

Auch wenn es um Literatur geht – das Klagenfurter Wettlesen ist ein TV-Format und damit schwierig zwischen Buchdeckeln zu fixieren. Trotzdem könnte sich der dazugehörige Band mehr als Archiv des Phänomens und der Ereignisse der Klagenfurter Literaturtage begreifen und alle Texte mitsamt Autorenporträts, alle Jurydiskussionen, die Moderation (2009 besonders peinlich von Clarissa Stadler) und den Pressespiegel abbilden und so einen echten Mehrwert erzeugen.

In der vorliegenden Form steht aber die Frage im Raum, für wen dieses Buch gemacht wird. Für die Menschen, die die Veranstaltung live verfolgt haben oder gerade für jene, die es verpasst haben? Im jetzigen Format ist es leider für keine der beiden Gruppen empfehlenswert und verschenkt damit unheimlich viel Potential. Schade, aber vielleicht nächstes Jahr. Wie immer in Klagenfurt.

Titelbild

Ijoma Mangold (Hg.): Die Besten 2009. Klagenfurter Texte.
Piper Verlag, München 2009.
214 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053426

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