Film verstehen nach Fassbinder

Wenn „Fassbinder über Fassbinder“ spricht, bekommt der Leser ganz neue Einblicke

Von Susanne BlümleinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Blümlein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um über die Interviewsammlung „Fassbinder über Fassbinder“ zu sprechen, ist es notwendig, zuerst über den Herausgeber Robert Fischer zu reden. Er ist Filmpublizist und Filmemacher. Sein Name findet sich auf vielen Büchern, sei es als Autor, Herausgeber oder Übersetzer.

In seiner Bibliografie stoßen wir auf Namen, die jedem Cinephilen bekannt sind: Alfred Hitchcock, Orson Welles, David Lynch, Jodie Foster oder auch Quentin Tarantino. Er hat Briefe und Schriften François Truffauts übersetzt und herausgegeben, ebenso das Standardwerk „Was ist Film?“ von André Bazin.

Den größten Gefallen erwies er der deutschen Filmlandschaft jedoch mit der Herausgabe von Truffauts „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ (Originaltitel: Le Cinema Selon Hitchcock). Ein Buch das, glaubt man der Drehbuchwerkstatt München, „zwei Jahre Filmhochschule ersetzt.“ Es enthält Interviews, die François Truffaut über mehrere Jahre hinweg mit Alfred Hitchcock geführt hat. Für dieses Buch wurden sie zu einem einzigen „Riesen-Interview“ zusammengefasst.

Mit der Herausgabe von „Fassbinder über Fassbinder“ hat sich Robert Fischer wieder einem Titanen des Filmemachens genähert, wieder über die Interviewform. Das Buch beinhaltet eine Sammlung verschiedenster Gespräche aus den Jahren zwischen 1969 und 1982, die Fischer selbst als „Schlüsselinterviews“ bezeichnet. Sie decken die gesamte Karriere des Regisseurs ab – und jeder der sich für Fassbinder interessiert, entdeckt hier eine riesige Quelle von Aussagen, die Fassbinder zu unterschiedlichen Zeiten und Gelegenheiten über seine Filme gemacht hat. Dank der chronologischen Anordnung ist es möglich, nachzuvollziehen, wie sich mitunter auch Fassbinders eigene Sicht auf seine Filme verändert hat.

Anders als in „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“, konnte Fischer hier auch über die Interviewform an sich reflektieren. Als Ergebnis wurde die Regel aufgestellt, für „Fassbinder über Fassbinder“ die jeweils ursprünglichste und längste Form jedes Interviews aufzuspüren, im Idealfall bis hin zu den Originaltonbändern – um sie in dieser Form zu belassen.

Sehr folgerichtig unterteilt er das Buch auch in zwei Teile: In Teil eins liest man die sprachlich unbearbeitete Abschrift einer Tonbandaufzeichnung von Corinna Brocher. Sie hatte sich 1973 an mehreren Abenden mit Fassbinder, Ingrid Caven und Fritz Müller-Scherz über das „antitheater“ unterhalten. Herausragend ist der entstandene Text auch deshalb, weil hier ziemlich offen über die Beziehungen der Mitglieder des „antitheaters“ untereinander geredet wurde, was fast schon intime Einblicke erlaubt.

Die sprachliche Nicht-Bearbeitung und Beibehaltung des Idioms beschert dem Leser ein Gefühl der Nähe und Unmittelbarkeit, wie man es selten findet. Wenn Fassbinder zum x-ten Mal „das ist halt; da geht halt; da hat halt mal“ sagt, wird es in der Wiederholung nicht langweilig, sondern zu einer Eigenheit, die dem Leser den Menschen Rainer Werner Fassbinder näher bringt. Fast ist es beim Lesen, als „höre“ man dem Gespräch zu.

Im zweiten Teil des Buches sind dann die eigentlichen Interviews gesammelt. Viele sind sehr ausführlich und unbearbeitet gelassen worden, einige sind deutlich gestraffter, andere, die zuerst in ausländischen Publikationen veröffentlicht wurden, wurden für dieses Buch rückübersetzt. So bietet es nicht nur eine Spiegelung von Fassbinders Werk, sondern auch eine der literarischen Form des Interviews.

Titelbild

Robert Fischer (Hg.): Fassbinder über Fassbinder. Die ungekürzten Interviews.
Verlag der Autoren, Frankfurt a. M. 2004.
673 Seiten, 29,50 EUR.
ISBN-10: 3886612686

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