Als die Russen mit dem Sputnik Gott suchten

Rolf Bauerdick erzählt in seinem Roman, „Wie die Madonna auf den Mond kam“

Von Norbert KugeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Kuge

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens seit Herta Müller 2009 den Nobelpreis verliehen bekam, ist Rumänien keine Terra incognita der Literatur mehr. Zwar kannte man neben Müller auch noch einige rumänische Autoren wie Mircea Cartarescu oder Eginald Schlattner, aber sie schrieben eher düstere Romane über die Zeit der Nachkriegsdiktatur in diesem Land. Nun legt Rolf Bauerdick einen fulminanten Debütroman über ein fiktives Land in den „transmontanischen Karpaten“ vor, das unzweifelhaft das sozialistische Rumänien des Gheorghe-Dej und des Nicolae Ceausescu als Vorbild hat.

Rolf Bauerdick hat nach dem Ende des Ostblocks diese Gegend mehrfach als Journalist und Fotograf bereist, sogar dort gelebt und in Reportagen mehrfach über die Bevölkerung und ihre Probleme berichtet. Nun sind preisgekrönte Artikel etwas anderes als fiktionale Literatur. Umso überraschender ist jetzt dieser tragikomische und groteske Roman. In ihm erweist sich Bauerdick als hervorragender Geschichtenerzähler. Der junge Ich-Erzähler Pavel, geboren 1941, erzählt von seinen Erlebnissen und Erfahrungen in der Zeit von 1957 bis 1989 in dem abgelegenen Bergdorf Baia Luna. Protagonisten der Geschichte und der teilweise grotesken Geschehnisse sind jedoch der Großvater Pavels, Ilja Botev, und dessen Freund, der Zigeuner Dimitru, sowie deren Suche nach der Madonna Maria. Begonnen hatte alles schon Jahre früher, als nämlich Ilja Botev und die Sippe des Zigeuners Dimitru bei einer Fahrt in die Bezirkshauptstadt Kronauburg einen Schicksalsschlag verkraften mussten.

Während eines Unwetters geriet der Wagen der Familie Botev in den Fluss Tirnave und als das Pferdefuhrwerk der Botevs mit der Familie im Fluss versank, retteten Dimitru und Ilja gemeinsam Agneta Botev und ihre beiden Kinder. Dimitrus, Vater Laszlo kam bei dem Versuch der Rettung ums Leben, und auch Agneta starb wenig später an den Folgen des Unglücks. Von dem Schicksalsschlag und der gemeinsamen, nur teilweise gelungenen Rettungsaktion an waren beide Freunde und blieben es bis zu ihrem Lebensende.

Diese Schilderung der Freundschaft zwischen dem Rumänen und demRoma, die gegen den Widerstand beider gesellschaftlichen Gruppen entstand und hielt, gehört zum Schönsten in dem Roman. Ohne dass irgendetwas verklärt oder konstruiert würde, wird hier das Hohelied der Freundschaft gesungen, zusammengehalten durch den Spleen beider Figuren, dass die Madonna Maria auf dem Mond sein müsse. Ausgelöst wurde dieser Spleen 1957 durch den Sputnik, der einerseits die Überlegenheit der Sowjets über die Amerikaner und den Kapitalismus symbolisierte, andererseits aber bei den beiden Männern zu der Vorstellung führte, die Russen wollten nur deshalb ins All, weil sie beweisen wollten, dass im Weltall kein Gott sei, er also nicht existiere. Über die Suche nach Gott hinausgehend, versteifen sich die beiden darauf, dass die Russen, die zwischenzeitlich auch die Reise auf den Mond angekündigt hatten, dort nach der Madonna Maria suchten.

Wie es Bauerdick gelingt, diesen offensichtlichen Unsinn zumindest für die beiden Protagonisten glaubwürdig zu gestalten, indem sie vielfältige Belege aus der Bibel als Stütze ihrer Anschauung präsentieren und entsprechend interpretieren, ist ein Kabinettstückchen für sich und zeugt von seinen profunden theologischen Kenntnissen. Daneben gibt es aber immer wieder den tristen Alltag in dem kleinen Bergdorf. Mit Figuren wie der Lehrerin Angela Barbarescu, dem eigenwilligen Dorfpfarrer Johann Baptiste, dem jungen Romamädchen Barbu und den anderen Dorfbewohnern gelingt es dem Autor, eine charakteristische, wenn auch überzeichnete Gemeinschaft im damaligen Rumänien vorzustellen. Durch politische Machenschaften der Securitate sowie einiger skrupelloser Parteifunktionäre entsteht eine Situation von Erpressung, Verrat und sexueller Nötigung, die später im Dorf durch den Selbstmord der Lehrerin – ob es ein Selbstmord war, bleibt letztlich ungeklärt – und dem Mord an dem Pfarrer eskaliert. Zeitgleich geht es um die Auseinandersetzungen wegen der Kollektivierung der Landwirtschaft und des Wirtschaftslebens, so dass im Unklaren bleibt, aus welchen Gründen sowohl der Pfarrer als auch die Lehrerin sterben mussten. Hinzu kommen dunkle Andeutungen über das Schicksal von Parteifunktionären, über den Ausgang des Kampfes zwischen dem Kommunismus und Kapitalismus. Der jugendliche Pavel wird einerseits vom Alltag und den Parolen des Kommunismus abgestoßen, kann aber andererseits den Glaubensgewissheiten des Katholizismus nichts abgewinnen. Er muss, unterstützt von Dimitru, seinen Weg gehen, bis er erkennt, dass es ohne Gerechtigkeit keinen Weg in die Freiheit gibt.

Dieses persönliche Schicksal und das der Dorfgemeinschaft sowie die Probleme der Region authentisch erzählt und verdeutlicht zu haben, ist eine überzeugende Leistung dieses Romans. Dabei ist es nicht störend, dass der Leser heute um den Ausgang sowohl der Weltraumexpedition als auch des politischen Systems in Rumänien weiß. Denn wie beides auf der kleinen Ebene eines Dorfes beispielhaft vorgeführt wird, macht den Roman spannend und überzeugend. Bis zum Showdown 1989, wo fast alles aufgeklärt wird, passieren viele unglaubliche Dinge im Dorf und fantasieren sich die beiden Freunde auf der Suche nach der Madonna noch um Kopf und Kragen.

Zum Ende des Romans kommen nicht nur die historischen Schurken, wie der Conducator Ceaucescu, sondern auch andere kriminelle Handlanger des Regimes ums Leben, so dass es fast ein Happy End gibt. Dies war aber dem Leser auch bereits durch den aus heutiger Sicht erzählten Prolog klar, der mit seinen Andeutungen für die nötige Spannung auf das Romangeschehen sorgt. Es ist ein mit grotesken und überbordenden Bildern sowie Witz und Ironie erzählter tragikomischer Roman, der aber auch ein Lobgesang auf die Freundschaft beziehungsweise die Mythologie der Roma und der Bewohner des ländlichen Rumäniens singt und in jedem Kapitel ist die Sympathie des Autors für die Bewohner des Karpatenstaates erkennen lässt. Mit der Gestaltung des Jungen Pavel, Dimitrus und Bubas sowie der des Großvaters Ilja schafft der Autor Figuren, die noch lange im Gedächtnis des Lesers lebendig bleiben.

Titelbild

Rolf Bauerdick: Wie die Madonna auf den Mond kam. Roman.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2009.
515 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783421044464

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