Liebesbrief für Fini

Gelungener Appetizer: Eine Auswahl von Briefen von und an Erich Fried

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philipp Halsmann, in seinen späteren Jahren in den USA ein erfolgreicher Modefotograf, war einmal einer der prominentesten Häftlinge Österreichs. Zahlreiche Berühmtheiten setzten sich 1930 für die Begnadigung des aus Lettland stammenden Juden ein, der beschuldigt wurde, seinen Vater auf einer Bergwanderung ermordet zu haben – darunter Albert Einstein, Thomas Mann, Sigmund Freud und – Erich Fried. Der war damals zwar erst acht Jahre alt, aber was Antisemitismus war, wusste der Knabe schon genau. Schließlich spielten sich in seiner Volksschulklasse wahre „Pausenkriege, glatte Religionskriege“, ab, wie er in einem Leserbrief an die Zeitschrift „Die Wahrheit“ schrieb. Der Schüler appellierte an die Geschworenen, in Halsmann zuerst den Menschen, nicht den Verbrecher zu sehen.

Früh übt sich, wer sich für die Menschenrechte engagieren will, kann man da nur sagen. Leider ist dieser Brief das einzige Dokument aus Frieds Zeit als frühreifes Wiener „Wunderkind“, das in dem schmalen, von Volker Kaukoreit herausgegebenen Bändchen mit Briefen von und an den Lyriker zu finden ist. Als gelungener Appetizer macht die Auswahl erstmals auf den Briefeschreiber Erich Fried aufmerksam, dessen Korrespondenzen bislang unbeachtet in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien lagern. Chronologisch geordnet, werfen die ausgewählten Schreiben ein Licht auf Entwicklungen und Kontinuitäten Frieds, der in den 1960er- und 1970er-Jahren zunächst mit seiner politischen Lyrik („und vietnam und“), dann mit seinen Liebesgedichten zu einem der meistgelesenen Lyriker deutscher Sprache avancierte.

Es war eben diese sich schon früh manifestierende Haltung, jenseits von Schuldfragen und Schubladendenken zuerst an das allen gemeinsame Menschliche zu erinnern, die dem Dichter mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Leserbrief in Sachen Halsmann den Vorwurf einhandelte, mit dem Terror der „Roten Armee Fraktion“ zu sympathisieren. Sein Leserbrief an den „Spiegel“ 1972, in dem er „Tote auf beiden Seiten“ prophezeite, hatte für den Lyriker eine Beleidigungsklage der Berliner Polizei zur Folge, weil er diese beschuldigt hatte, an dem Studenten Georg von Rauch einen „Vorbeugemord“ begangen zu haben.

Wie unerschütterlich, ja beinah penetrant Frieds Glaube an das Gute im Menschen sein konnte, zeigt seine Korrespondenz mit Michael Kühnen Mitte der 1980er-Jahre. Sein Versuch einer Verständigung mit dem inhaftierten deutschen Neonazi irritierte selbst Frieds treueste Leser. Nach der Lektüre von Frieds langem Brief vom 18. Januar 1985 wüsste man gern, wie sich Kühnen in der Rolle des verlorenen Sohnes, die ihm Fried, selbst ganz der liebende, alles verstehende Vater, zuschrieb, gefühlt hat: „Ach, ich verstehe so gut, lieber Michael, warum man Auschwitz (Auschwitz-Birkenau mit Birkenaus riesigen Gaskammern) nicht glauben will“, schrieb Fried, der mehrere Verwandte im Holocaust verloren hatte und sich selbst 1938 nach London retten konnte. „Nicht aus Gemeinheit, im Gegenteil!… Ich weiß noch ganz genau, wie schwer es mir wurde, mir den vollen Umfang der Aktionen Stalins einzugestehen.“

Neben bewundernden Briefen an Autorenkollegen wie Ilse Aichinger oder Heinrich Böll sind es vor allem die Liebesbriefe, die berühren; 1984 gestand Fried seiner dritten Frau Catherine seine notorische Untreue („My flaunted polygamy“). Der schönste Brief ist wohl der an Josefine Freisler, genannt „Fini“, Frieds ehemaliges Kindermädchen in Gaaden bei Wien. Diese hatte 1959 nach London geschrieben, ob der „Herr Fried“ vielleicht „ihr kleiner Junge“ sei – und erhielt postwendend, verpackt zwischen vielen Kindheitserinnerungen, eine verspätete Liebeserklärung.

Titelbild

Volker Kaukoreit (Hg.) / Erich Fried: Alles Liebe und Schöne, Freiheit und Glück. Briefe von und an Erich Fried.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009.
136 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783803112651

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