Multiple Persönlichkeit

Benita González schickt die Protagonistin in ihrem Roman „Nach allen Regeln der Kunst“ auf die Suche nach ihrer Herkunft

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Nach allen Regeln der Kunst hat sich Fabio Gemelli durchs Leben gemogelt – als mittelmäßiger bunter Vogel und untreuer Ehemann. Seine Tochter Claudia kennt ihn fast nur aus Kindertagen.“ Erst nach seinem Tod trifft sie auf eine Frau namens Nina, die sich als Fabios ehemalige Geliebte entpuppt und ein ganz anderes Bild von Fabio hat, als Claudias Mutter, die sich meistens über den wenig treusorgenden Ehemann beschwerte. Von diesem Zeitpunkt an verschreibt sich Claudia der Suche nach weiteren Menschen, die ihr etwas über ihren Vater berichten können, stets hoffend – das Geheimnis um den ihr so fremden Erzeuger zu lüften. Naheliegenderweise beginnt Claudia mit ihrer Suche bei den zwei wichtigsten unter den zahlreichen Frauen aus Fabios Leben: Graciela und Liliana.

Statt sich als Tochter Gemellis erkennen zu geben, behauptet sie, eine Biografie über unbekannte argentinische Künstler zu schreiben und bewegt so Graciela dazu, von Fabio zu erzählen. Zu ihrer Überraschung muss sie feststellen, dass das Bild, das Graciela von Fabio zeichnet, weder mit ihrem eigenen, noch mit dem von Nina übereinstimmt. Kann sich ihr Vater, für den Worte immer mehr waren als Taten, wirklich als politischer Aktivist betätigt haben? Wie war es möglich, das der nur mittelmäßige Künstler Gemelli, dem es nie gelang, eine Arbeit zu Ende zu bringen, tatsächlich nicht nur in Asien sehr erfolgreich gewesen zu sein schien, sondern darüber hinaus angeblich auch noch mit Preisen ausgezeichnet wurde, von denen seine Familie nie etwas erfuhr?

Auf der Suche nach dem Vater, der nie wirklich Teil ihres Lebens war, findet Claudia zwar zahlreiche Antworten auf ihre Fragen, der wahren Identität ihres Fabios, dessen Nachname aus dem italienischen übersetzt nicht umsonst Zwilling bedeutet, kommt sie dabei allerdings nicht viel näher. Denn Fabio hatte, wie es auch dem Sternzeichen Zwilling zugeschrieben wird, scheinbar tatsächlich zwei Gesichter. Mit „Nach allen Regeln der Kunst“ hat González eine interessante Geschichte konstruiert. Denn hinter der Suche Claudias nach ihrem Vater, steckt unter anderem die Erkenntnis, das Kinder ihre Eltern meistens nur in der Erzeugerrolle wahrnehmen können und ihnen somit unbewusst absprechen, eigenständige Persönlichkeiten mit einer Vergangenheit zu sein. In den Gesprächen mit den Geliebten arbeitet González außerdem thematisch das Wissen um die Einmaligkeit zwischenmenschlicher Bindungen ein, die Erkenntnis, dass letztendlich nicht nur die anderen, sondern auch wir selbst in jeder Beziehung, sei sie von platonischer Freundschaft, Liebe oder familiärer Zuneigung geprägt, anders sind. Ein Motiv, das bereits Ende der zwanziger Jahre von Gina Kaus in ihrem Roman „Die Verliebten“ in den Mittelpunkt der Handlung gestellt wurde, in dessen Verlauf es keinem der vier in gegenseitige amouröse Verwicklungen verstrickten Hauptfiguren gelingt, den eigenen Partner in den Beschreibungen der anderen wieder zu erkennen. Gonzáles, die creative writing an der University of Texas in El Paso studierte, bekam für den gut geschriebenen Roman, der nur bisweilen unter unnötigen Abschweifungen leidet, den renommierten Premio Clarín. „Nach allen Regeln der Kunst“ schaffte es darüber hinaus auch in die argentinische Bestsellerliste.

Titelbild

Betina González: Nach allen Regeln der Kunst. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Hanna Grzimek.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2010.
189 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783455401561

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