Die illusionistische Inszenierung der lunaren Reise

Über Daniel Grinsteds „Die Reise zum Mond. Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens zwischen Realität und Fiktion“

Von Claudia SchmöldersRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schmölders

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Weltraumfahrt und -forschung gehören ohne Zweifel zu den faszinierendsten Teilbereichen der modernen Wissenschaft und der von ihr gelenkten Praxis. Doch wenige Aspekte der Astrophysik sind für den Laien verständlich, weshalb sich ihre Akteure um populäre Inszenierungen und Deutungen bemühen. Beides liegt nicht immer in denselben Händen. So massenwirksam die unerhörten Leistungen der Raumfahrt über die Bildschirme der Welt verbreitet werden – die Raketenabschüsse, die Bilder von schwebenden Astronauten in ihren Kapseln oder gar allein im Weltraum –, so schwierig bleiben die Interpretationen. Zwischen den medialen Zaubereien, mit denen inzwischen ganze Generationen von Ingenieuren erwachsen wurden, und Anträgen etwa zur parlamentarischen Finanzierung liegen Welten.

Mit aus diesem Grund hat die NASA zu ihrem 50. Geburtstag 2007 einen monumentalen Band zum Thema „Societal Impact of Spaceflight“, herausgegeben; verantwortlich zeichneten der NASA-Chefhistoriker Steven J. Dick und sein Vorgänger Roger D. Launius. Längst ist die Weltraumeroberung, sprich: -forschung internationalisiert; ökonomische und politische, insonderheit sicherheitspolitische Interessen werden in ihrem Namen vertreten. Der Kalte Krieg gilt als ihr Geburtshelfer, aber dies auch nur, weil es davor einen „heißen Krieg“ gab, eben den Zweiten Weltkrieg, mit seiner militärischen Raketenforschung und -praxis.

Ein eigenes Kapitel handelt von „Spaceflight, Culture and Ideology“: darunter gehören Glaubensphänomene wie UFO, SETI, Epiphanien aller Art, aber auch die europäischen Flugfantasien seit der Antike. Ist die Menschheit womöglich biologisch als „Spacefaring Species“ zu betrachten?

Einen Baustein zu dieser Frage liefert das schmale Buch von Daniel Grinsted, der aus der Perspektive der Kulturwissenschaft die medientechnischen Voraussetzungen der Mondlandung von Apollo 11 untersucht. Medien sind in diesem Fall nicht nur das Fernsehen und das Kino, sondern ausdrücklich die Geschichte des Mondes im visuellen Fadenkreuz der Imagination wie auch der optischen Werkzeuge: Teleskop, Panorama, Cinerama, und immer wieder die Literatur. Grinsted zeichnet die Etappen der visuellen Aneignung nach, die den Mond dem menschlichen Auge immer näher gerückt haben, bis hin zur Eroberung, zur haptischen Ergreifung. Immer wieder überrascht er mit kulturhistorischen Vignetten, die so nur zeichnen kann, wer sich zugleich in der Unterhaltungsbranche wie in der Forschung auskennt. Angefangen von Galileo Galileis Blick auf die Mondoberfläche – leider kennt Grinsted das Buch von Horst Bredekamp noch nicht – über die populären Leistungen der „Lunaparks“ bis hin zu den unerhörten Fernsehbildern der Apollo 11-Astronauten auf dem Mond, geht es um den medialen Anteil an der lunatischen Konditionierung des Menschen. Man fragt sich, warum das englische Wort „lunatics“ so einseitig auf Wahnsinn deutet – statt auf die Methode, wie in diesem Buch gezeigt.

„Als Flug durch einen dunklen Raum, zu einer bis 1969 unerforschten Welt, verlangt die lunare Reise nach einer illusionistischen Inszenierung, die sich idealerweise des unbeleuchteten Raumes des Projektionssaales bedient und dabei den Besucher nicht als Betrachter, sondern als Passagier auf diesem Flug anerkennt“ – unter dieser Prämisse des embedded spectator referiert Grinsted die Kulturwirbel der lunatics. Inspiriert von der Entwicklung visueller Gadgets wie von der Sience-Fiction Literatur (Jules Verne „Von der Erde zum Mond“, 1865; und „Reise um den Mond“, 1870) simulieren die Kirmesunternehmer Mondbesuche, Mondreisen, Wanderungen ins Innere des Mondes et cetera. – ein simulatorisches Begehren, das schließlich im sogenannten „Great Moon Hoax“ des 20. Jahrhunderts gipfelte. Waren die Astronauten, Neil Armstrong und die andern, wirklich auf dem Mond? Hat die US-Regierung nicht das Ganze nur simuliert, mithilfe von Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke? Im großen NASA-Buch wird behauptet, nur etwa 6% der amerikanischen Bevölkerung glaube dies – Armstrong selbst meinte später: Es wäre schwieriger gewesen, die Sache zu simulieren, als sie wirklich in die Tat umzusetzen. Schließlich wären geheime Absprachen von tausenden von Wissenschaftlern und der halben US-Regierung nötig gewesen.

Grinsted will sich mit der Realitätsfrage nicht auseinandersetzen. Er argumentiert schlüssig, dass gerade der Medienanteil an der gesamten Entwicklung die Bedingung der Möglichkeit solcher Fantasmen sei. Liest man aber die Aufsätze von Alexander Geppert und Andrew Chaikin im erwähnten NASA-Band, gewinnt man etwas mehr Klarheit. Um dem Fantasma anzuhängen, muss man ja nicht nur ignorieren, was die Astronauten selbst nach ihrer Landung berichtet haben. Man darf auch nicht aus der Generation der bis 1945 geborenen stammen. Niemand, der den zweiten Weltkrieg erlebte, konnte beim Start der Weltraumraketen den Kalten Krieg – den militärischen Aspekt überhaupt vergessen, weder in Russland, noch in Europa, noch in den USA. Niemand konnte damals vergessen, dass Wernher von Braun die treibende Kraft des US-Programms war, und nur eine verschwindende Minderheit konnte bei den tosenden Feuerbällen der Raketenabschüsse ein vergnügt-neugieriges Forscherglück empfinden. Andrew Chaikin bringt das dazu gehörige Argument: Die Mondlandung sei kulturhistorisch gleichsam zu früh gekommen; Kennedys Wort habe eigentlich ins 21. Jahrhundert gezielt; die Gesellschaft – jedenfalls die vor den Fernsehschirmen – war auf diesen Erfolg mental noch nicht vorbereitet. Auf solche mentalen Konditionierungen, oder besser: auf deren Analyse ist aber niemand besser spezialisiert als die Kulturwissenschaft. Grinsteds Buch gibt dafür ein anregendes und überzeugendes Beispiel. Nur den Blick auf die Religion möchte man noch ergänzen. Himmelsreisen zwischen Simulation und Erfahrung stammen aus unserem schamanistischen Erbe. Schamanen galten einst als Medizinmänner. Offenbar wünscht auch die NASA sich eine therapeutische Funktion. Es sei 1969, schreiben ihre Historiker, vor allem der Blick auf die aufgehende Erde gewesen, jene kleine, zarte, blaue Kugel, einsam in den Tiefen des Alls, der die Welt vom Sinn gemeinsamer Sorge um eben diese Erde habe überzeugen können.

Titelbild

Daniel Grinsted: Die Reise zum Mond. Zur Faszinationsgeschichte eines medienkulturellen Phänomens zwischen Realität und Fiktion.
Logos Verlag Berlin, Berlin 2009.
229 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783832521646

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