Im Westen was Neues
Tom McNab schildert in „Finish“ den Wilden Westen aus einer erfrischend unverbrauchten Sicht und liefert mit „Trans-Amerika“ ein als Hommage an den Sport verpacktes Zeitbild der großen Depression in den 1930er-Jahren
Von Peter Müller
Besprochene Bücher / Literaturhinweise1876 beobachtet der junge Indianer White Wolf in einem Tal im „Wilden Westen“ neugierig zwei weiße Männer, die halbnackt merkwürdige Riten vollführen: „Mit steif durchgedrückten Armen und seltsamen, gestreckten Schritten entfernte sich der Jüngere vom Wagen ins Tal hinein. Nach rund 100 Schritten […] zog [er] mit der rechten Fußspitze eine Linie in den Sand und fing an, zuerst mit dem einen Fuß und dann mit dem anderen auf dem Boden herumzuscharren. […] Plötzlich ließ der Mann beim Wagen seine rechte Hand fallen, und der Junge raste durch das Tal auf ihn zu.“ Cowboys, die durch die Prärie sprinten? Die ganze Szenerie wirkt derart skurril, dass sich der Leser kurz in eine Persiflage versetzt fühlt. Dies zeigt, wie eingeschränkt doch der klischeehafte Blick auf diese historische Epoche ist.
Als sei sich Tom McNab der irritierenden Wirkung seines Einstiegs zu „Finish“ bewusst gewesen, gibt er dem Leser in einem kurzen Prolog die Möglichkeit, sich in der geschilderten Zeit zu verorten. 1876 war, wie man hier erfährt, nicht nur das Jahr von Little Bighorn, sondern auch das der ersten Saison der National Baseball League und dem Sieg der Vereinigten Staaten beim America’s Cup mit ihrem Boot Madeleine. Beides Ereignisse, die mit dem „Wilden Westen“ kaum in Verbindung gebracht werden, doch „auf ihrer langen Reise über die Great Plains Richtung Westen brachten die europäischen Einwanderer eine ganze Kultur mit sich, von Theater bis Sport“. Dieser Kultur widmet der Autor seinen zweiten Roman „Finish“ (englisch: „The Fast Man“), der nach über 20 Jahren nun erstmals in deutscher Sprache beim Aufbau Verlag erschienen ist.
Die Faszination des Autors für den Sport kommt nicht von ungefähr, denn Tom McNab war selbst aktiver Leistungssportler und hielt sechs Jahre lang den schottischen Rekord im Dreisprung. Seine Erfahrungen waren ihm bei seiner anschließenden Trainerkarriere von Nutzen, während der er nicht nur Leichtathleten auf die Olympischen Spiele vorbereitete, sondern etwa auch die britische Bobfahrermannschaft 1980 in Lake Placid und ab 1987 das britische Rugbyteam betreute. Zu weltweitem Ruhm führte seine Stellung als Technischer Leiter beim Oscar-Prämierten Film „Die Stunde des Siegers“ (englisch: „Chariots of Fire“), wodurch sich auch seine Nähe zum zweiten Schwerpunkt des Romans, der Schaustellerei, erklärt.
Porträtiert wird das „Theater des Westens“, eine illustre Gruppe talentierter Schauspieler, die die amerikanische Prärie durchstreifen und auf kleinen Bühnen mit selbstgebauten Kulissen und selbstgeschneiderten Kostümen das Publikum mit leichten Komödien und großen Dramen begeistern. Angeführt wird der Trupp von Moriarty und Eleanor Cameron, die davon träumen, in San Francisco mit einem Theater sesshaft zu werden. Für ein solches Vorhaben wird allerdings Geld benötigt – und so kommt es der Gemeinschaft zugute, dass die Akteure Buck Miller und Billy Joe Speed auch über ein läuferisches Talent verfügen, das Moriarty mit der „englischen Methode“ – einem speziellen Trainingsprogramm – zur Perfektion führt. Dies beschert der Gruppe neben Preisgeldern auch einiges an Wetteinnahmen. Oder ist etwa doch alles nur ein abgekartetes Spiel?
McNab schildert seine Geschichte über „Entbehrungen und Hoffnungen, Niederlagen und Triumphe“, aber auch über Neid, Missgunst und Betrug abwechslungsreich und spannend, was auch daran liegt, dass der Autor es versteht, abenteuerliche Sequenzen einzuflechten – inklusive der obligatorischen Goldsucher und Indianerüberfälle –, ohne jedoch die eigentliche Handlung aus den Augen zu verlieren.
Fragwürdig ist allerdings die Darstellung der ,fremden‘ Kulturen. So erscheinen die Indianer der Prärie im Unterschied zu den ,Domestizierten‘ eher wild und riechen stark nach Moschus. Zudem ,missbrauchen‘ zwei Indianermädchen die gefesselten und hübschen blonden Bleichgesichter für ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Man erfährt außerdem, dass der Sextourismus damals in Mexiko stattfand, wobei der Mexikaner zum Einstieg einem lebenden Hahn den Kopf abbeißen darf und ansonsten hauptsächlich Tequila trinkt. Diese Passagen sind eher bizarr und hinterlassen beim Leser einen faden Beigeschmack. Das sportliche Finale des Buches liefert jedoch einen einzigartigen Showdown, der mit einem überraschenden Ende aufwartet.
Auch McNabs Debüt „Flanagan’s Run“ (1982) war seinerzeit ein Erfolg und erschien in Deutschland unter dem Titel „Das Rennen“. Mit „Trans-Amerika“ legte der Aufbau Verlag 2008 eine Neuübersetzung dieses Romans vor. Der Erstling spielt im Jahre 1931 „auf dem Gipfelpunkt der Großen Depression“ und beginnt mit einer großen Vision: Charles C. Flanagan ruft weltweit zum Trans-Amerika-Super-Marathon auf, einem Rennen quer durch die Vereinigten Staaten von Los Angeles nach New York. Als Preisgelder winken insgesamt 360.000 Golddollar, ein Anreiz, der knapp zweitausend Läuferinnen und Läufer nach Los Angeles lockt.
Die Motivationen sind so unterschiedlich wie die Läufer selbst. Doc Cole ist der alte Hase unter den Läufern, der nach seiner Karriere sein Geld damit verdiente, naiven Farmern ,Wundermittelchen‘ zu verkaufen. Ein Leben, das er gerne hinter sich lassen würde. Das möchte auch Kate Sheridan, die ein schlecht bezahltes Dasein als Showgirl in Minsky’s Varieté führte. Lord Peter Thurleigh geht es vielmehr darum, sich selbst zu beweisen, dass er in der Lage ist, eine solche Herausforderung zu bewältigen, denn über Geldmangel konnte er sich noch nie beklagen. Juan Martinez läuft hingegen nicht nur um sein Leben, sondern um das Leben seines ganzen Dorfes, das die 200 Dollar Startgebühr kaum aufbringen konnte. Neben Bergarbeitern und Preisboxern darf in dieser Zeit – als Teil der Polit-Kampagne eines aufstrebenden Politikers – ein Team der Hitlerjugend nicht fehlen, das die Überlegenheit der arischen Rasse demonstrieren soll.
Egal wie die Motivation der Läufer aussieht, die Verpflegung muss gewährleistet sein, was Flanagan und seinem Mitorganisator Willard einiges abverlangt. Über die ganze Strecke von 3.146 Meilen und 220 Yards, die in je zwei Tagesetappen zu etwa 40 Kilometern überbrückt werden soll, wird die Kolonne von Flanaganville, einem beweglichen Olympischen Dorf mit Zelten und Cateringservice begleitet.
Auf ihrem Lauf durch die Rocky Mountains und die Mojave-Wüste lernen die Läufer schnell, dass Einzelkämpfer keine Chance haben und je weiter die zurückgelegte Strecke, desto enger wird die Bindung zwischen den Teilnehmern. Als dann auch noch Politik ins Spiel kommt und immer mehr Sponsoren dem Spektakel ihre (finanzielle) Unterstützung entziehen, droht die Vision wie eine Seifenblase zu zerplatzen, doch es kommt zu einer ungewöhnlichen Allianz zwischen Flanagan, ,seinen‘ Läufern und seinem Team.
Auch wenn die Schilderung des Laufs und insbesondere die ständige Betonung von Loyalität, Fairness und Zusammenhalt bisweilen ins Pathetische abdriftet, ist McNab ein beeindruckender Erstling gelungen, der vor allem eines ist: eine Hommage an die ‚Königsdisziplin‘ der Leichtathletik.
Der Trans-Amerika-Lauf ist historisch verbürgt und fand tatsächlich sowohl 1928 als auch im Folgejahr statt, allerdings mit einer deutlich überschaubareren Anzahl an Teilnehmern. Trotz großem Aufsehen, war die Veranstaltung ein finanzielles Debakel. In den 1990er-Jahren wurden weitere Versuche gestartet, doch sowohl das Teilnehmerfeld als auch das mediale Interesse hielten sich in eng gesteckten Grenzen. Es scheint, als sei Flanagans Befürchtung eingetroffen und der Trans-Amerika-Lauf eine kuriose Randerscheinung des Sports geblieben.
Umso besser, dass dem Autor der Balanceakt zwischen Fiktion und Realität derart gut gelingt, dass diesem historischen Lauf eine späte Ehre zuteil wird.
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