Von Leichen, Comics, Nachrichten und dem restlichen Wahnsinn
Über Lucy Frickes zweiten Roman „Ich habe Freunde mitgebracht“
Von Martin Gaiser
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Ich habe Freunde mitgebracht“ – das klingt schon beim ersten Lesen dieses sehr gelungen Buchtitels nach einem Lied- oder Plattentitel von Tocotronic oder Kante. Und es mag ja Zufall sein, doch die Autorin Lucy Fricke kommt, wie auch die vorgenannten Bands, aus Hamburg. Da lag es nahe, vorn im Buch nach einem Zitat zu suchen, das vielleicht noch mehr Verbindungen offenbaren könnte, zumal Fricke in diesem Jahr das erste Hamburger Festival für junge Literatur und Musik veranstaltete, genannt HAM.LIT. Doch Fehlanzeige. Die 1974 Geborene, die 2005 den „open mike“-Wettbewerb gewann und mit ihrem Debüt „Durst ist schlimmer als Heimweh“ einige Beachtung in den großen Feuilletons fand, hat sich für ihren zweiten Roman Zeit gelassen. Damit hat sie die durchaus gängige Praxis, schnell ein zweites, meist leider schwächeres Buch nachzulegen, unterlaufen, was dem Buch spürbar gut getan hat.
„Ich habe Freunde mitgebracht“ erzählt von vier Menschen, die in unserer großstädtischen Gegenwart allesamt im Medien- oder Kreativbereich tätig sind. So eng wie Henning und Martha zusammen sind – sie kennen sich seit vielen Jahren und wohnen gemeinsam – so weit entfernt voneinander sind Jon und Betty. Henning arbeitet seit vielleicht zu langer Zeit an einem Comic, der ihn so sehr in Anspruch nimmt, dass er Martha, sein Umfeld und die Entwicklungen in der Comic-Szene nicht mehr wirklich bemerkt. Martha wiederum ist extrem nah an allen Dingen dran, da sie bei einem Radiosender unter anderem die Nachrichten spricht. Jon wiederum hat mit dem Leben insofern gar nichts zu tun, da er als Schauspieler scheinbar auf die Rolle von Toten, also Leichen abonniert zu sein scheint. Schließlich arbeitet Betty als sogenannte Continuity beim Film – eine Arbeit, die die Autorin sehr gut kennt, da sie vor ihrer Entscheidung für die Literatur selbst lange als Script/Continuity gearbeitet hat. Mag sein, dass auch ihre literarische Technik dieser Zeit entstammt, da Lucy Fricke sehr gekonnt schnelle Perspektivwechsel vornimmt und die Anschlüsse zwischen mehreren Textteilen geschickt verbindet, ähnlich der Szenen beim Film oder beim Fernsehen. „Wege zum Ruhm“, „Null zu vier“ und „Flucht ist immer eine Option“ heißen die drei unterschiedlich langen Kapitel.
Im ersten stellt die Autorin dem Leser ihre Protagonisten in ihrer jeweiligen Umgebung vor und alles scheint im Fluss zu sein, scheint zu laufen. Dann zeigen sich erste Abweichungen vom Gewohnten: Das leichte Leben wird von den Schwierigkeiten torpediert, die die Realität dummerweise glaubt transportieren zu müssen. In herrlich artifiziellen, doch immer irgendwie vertraut klingenden Dialogen seziert Lucy Fricke peu à peu die Wunschbefindlichkeiten unserer Helden des Alltags, geht durchaus hart mit ihnen um, gewährt ihnen aber noch so etwas wie Auswege. Aus den unterschiedlichsten chaotisch-tragischen Situationen werden Betty, Martha, Henning und Jon ans Meer zu Jons Mutter Gerl katapultiert, wo sich auf wundersame Weise die sprichwörtlichen Wogen glätten, die Hektik des Alltags einer eigentümlichen Langsamkeit weicht und sich ein noch nicht bewusst gemachter Traum in Form eines kuriosen Wohnmobils materialisiert.
Klar – Lucy Fricke schreibt nicht entlang des grauen Alltags. Ihre Wendungen dürfen nicht ausschließlich als heroische Widerstände gegen Routinezwänge, sondern vielmehr als märchenhafte Fingerzeige gelesen werden. Trotzdem zeigt sie auch auf, dass zu viel Normalität zu beklemmender Tristesse und Überdruck auf das Ventil des Lebens führen kann. Was sie daraus macht, gefällt wohl vor allem denen, die kritisch und mit Anspruch zeitgenössische Ausdrucksformen für die Gegenwart suchen.
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