Zwischen Überfluss und Understatement

Bei allem, was auf den Websites von Verlagen multimedial gemacht wird, droht eines in den Hintergrund zu geraten: das Buch

Von Franziska FinkensteinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franziska Finkenstein und Johanna MildeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Milde

Einst hatten nur Kenner des Lateins die Möglichkeit, Bücher zu lesen. Später – nach dem Buchdruck und vor allem nach der Reformation – lernten es auch die niederen Stände, und es wurde mehr und mehr gelesen. Damals wurden Bücher durch Überlieferungen populär. Doch wie geschieht diese Überlieferung, das In-Umlauf-Bringen von Büchern heute? Was tun Verlage, um für ihre Bücher zu werben? Welche Marketinginstrumente benutzen sie, und welche Rolle spielt dabei das Marketing über die Verlags-Website?

Ob eine solche Internet-Seite überhaupt für einen Buchverlag existenziell ist? „Ich denke schon“, sagt die Verlegerin Daniela Seel, „weil das Internet eine allgegenwärtige Kanonisierung geschaffen hat, sodass fast schon die Auffassung herrscht: Was nicht im Internet ist, das existiert nicht.“ Als Schaufenster sei die eigene Website somit sehr bedeutend. Seel, Jahrgang 1974, betreibt seit über sieben Jahren zusammen mit Andreas Töpel den Verlag Kookbooks. Die Wahl-Berliner verfolgen seit der Gründung des Hauses – und damit auch der Website – ein bestimmtes künstlerisch-literarisches Konzept. So ist es nur konsequent, dass Bücher und deren grafisches Erscheinungsbild auch im Internet das Hauptthema sind: Keine Werbebanner, keine Video-Clips, keine Community-Features lassen sich auf kookbooks.de finden. Mit ihrer Grundierung durch feine hellblaue Bindestriche oder Minuszeichen strahlt die Seite eine sympathische Simplizität aus, sie ist übersichtlich und navigierfreundlich. Auch der Berliner Verbrecher Verlag, den Jörg Sundermeier und Werner Labisch betreiben, hat seit seiner Gründung eine Online-Präsenz. „Im neuen Jahrtausend hatte jeder eine Website, und somit haben wir auch eine gemacht, weil man damit auch mehr Leute erreicht“, erklärt Labisch.

Warum auch nicht? Heutzutage reicht es nicht mehr, seine Bücher nur in Buchhandlungen ausstellen zu lassen und sie über Mundpropaganda, herkömmliche Werbeträger wie Anzeigen, Plakate und Prospekte oder die journalistische Resonanz an die Leser zu bringen. So wie sich Themen, Tratsch und Trash über das Internet verbreiten, verbreiten sich auch Buchempfehlungen. Amazon.de und libri.de, im Wesentlichen Buchsuchmaschinen mit Bestellfunktion, hübschen ihren schnöden Zweck gern mit allerlei informativen Dekor rund ums Buch, den Autor und seinen Leser auf. Aber auch die Verlage stellen ihre Bücher im Netz zur Schau. Die Welt dieser Verlagswebseiten ist groß und damit auch die Vielfalt in der Präsentation der Bücher und in den Marketingkonzepten.

Bei größeren Verlagen wie Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch oder Bastei Lübbe leuchten dem Buchinteressierten neben neuen Titeln bei jedem Klick viele Farben, Videos, Lesungstermine und auch mal Fotos anderer Nutzer entgegen, die gerade zeitgleich mit ihm die Website aufgerufen haben. Die Welt ist voller Möglichkeiten, auch die der Bücher, und das soll man auf der Website gleich sehen. Die Orientierung fällt jedoch mitunter nicht so leicht.

Teilweise kümmern sich in diesen Verlagen sogar Mitarbeiter eigens um Social Media, um die Einbettung und Bewerbung von Community-Features oder von Video-Clips. Welche Bedeutung Social Media im Marketingmix der Verlage hat, darüber lässt sich derzeit nur spekulieren, also auch trefflich streiten: Generell ist es eher schwierig, eine ursächliche Beziehung zwischen Buchkauf und Onlinenutzung herzustellen.

Abgesehen von den großen, strahlenden, blinkenden Websites der großen Verlage gibt es eben die der kleinen, die sich durch ihren oft reduzierten, fast minimalistischen Aufbau auszeichnen. „Ich finde es gut, wenn die Website nicht so durchgestylt ist, so wie diese Social-Media-Marketing-Sachen, die immer stärker zunehmen“, sagt Daniela Seel. Außerdem störe es sie, wenn in den so geknüpften Netzwerken eigentlich nur noch professionelle Marketingleute agierten und sich irgendwelche dämlichen Kampagnen ausdächten, aus denen dann extra Websites für einzelne Titel entstehen, „wo Kunstfiguren geschaffen werden“. Kreativer findet sie es da schon, wenn Autoren selber aktiv ihre Website pflegen.

Während Kleinunternehmen wie Kookbooks und der Verbrecher Verlag bereitwillig über ihre vergleichsweise sparsamen Online-Aktivitäten sprechen, geizen die großen Verlage oder Agenturen, in denen es um Budgets ganz anderer Größenordnung geht, mit Auskünften: Beim Lübbe Verlag gibt es eigene Online-Media-Experten, die sich allerdings nicht zum Konzept ihres Verlags äußern wollten – weder per E-Mail noch am Telefon. Auch bei Dirk Moldenhauer, der die auf den Buchmarkt spezialisierte Agentur iRead Media leitet und früher die Internet-Aktivitäten beim Rowohlt-Verlag koordinierte, stoßen wir auf Reserviertheit: kein Rückruf, keine E-Mail, kein Interesse. Das ist schade.

Warum diese Distanz? Sind es geheime Gründe, die hinter den Marketingkonzepten stecken? Sind die Online-Aktivitäten in den großen Verlagen noch so umstritten, dass sich ihre Befürworter keiner Bewertung von außen aussetzen wollen? Vielleicht reden sie ja einfach nicht gerne und werkeln lieber an ihrer Homepage herum. Vielleicht ist es aber auch ein Stück Verzweiflung, das hier zum Vorschein kommt: Die Seite rowohlt.de ist überfrachtet mit einem Sammelsurium von gefühlten hundert Themen auf der Startseite, Lübbes Community-Verweis nimmt auf der Homepage fast mehr Platz ein als die Präsentation der Bücher, und der S. Fischer Verlag weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Themen – hauptsache alles auf die Startseite. Attraktivität sieht anders aus. Und ein erkennbares Konzept wohl auch. Ob die Besucher der Seiten sich hier zurechtfinden und auch zurechtfinden wollen, steht in den Sternen. Immerhin kann man Videos anschauen und erfährt, was die Autoren so sagen, wenn sie nicht gerade schreiben. So aufdringlich diese Seiten auch wirken: Die Bücher rücken, unter anderem durch die Werbeeinbettungen, bei S. Fischer oder Lübbe in den Hintergrund. „Weniger ist mehr“, hält Daniela Seel dagegen. Sie verzichtet lieber auf „großes Brimborium“. Wie der Verbrecher Verlag bewahrt Kookbooks so die respektvolle Beziehung zum Buch.