The Great Pretender

Marc Degens Kolumnensammlung „Unsere Popmoderne“ imitiert Literatur – und den dazugehörigen Betrieb gleich mit

Von Jule D. KörberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jule D. Körber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tiere, die geschickt nachahmen, haben bessere Überlebenschancen. Mimikry nennt es die Biologie, wenn sich zwei Arten aneinander anpassen, um von einer dritten Art miteinander verwechselt zu werden. Besonders beliebt in der Insektenwelt ist es beispielsweise, so auszusehen wie eine Wespe, um nicht attackiert zu werden. Solch komplexe Anpassungsprozesse dauern oft Jahrhunderte.

Ob sich diese Nachahmung für den Vortäuscher lohnt, liegt an denen, die auf den Betrug hereinfallen sollen. So gibt es beispielsweise eine Gottesanbeterin, die wie eine Blüte aussieht. Will sich nun ein fressbares Insekt auf dieser vermeintlichen Blüte niederlassen, schnappt die Falle zu. Darauf reingefallen und schon tot, so schnell kann es manchmal gehen.

In der menschlichen Kultur geht es da schon ein wenig komplexer zu. Denn auch in den Künsten gibt es das Prinzip der Nachahmung, hier wird sie als Mimesis bezeichnet. Inwieweit etwas Nachgeahmtes einen künstlerischen Eigenwert besitzt, darüber sind sich die ästhetischen Theoretiker von Platon über Immanuel Kant und Theodor W. Adorno bis hin zu Jacques Derrida uneinig. Einigkeit herrscht nur darüber, dass der Nachahmer eine gewisse künstlerische Leistung vollbracht hat.

Ein ganz Großer unter den Nachahmern, sozusagen der Great Pretender des Popliteraturbetriebs, ist der Autor Marc Degens, seines Zeichens Herausgeber des Online-Feuilletons satt.org und Programmleiter des SuKuLTuR Verlags.

Mit Nachahmung kennt sich Degens aus, erschien doch 2009 in seinem Verlag der Roman „Strobo“ des Bloggers Airen, aus dem dann nur ein Jahr später bestsellertauglich Helene Hegemann für ihren Roman „Axolotl Roadkill“ abschrieb – ohne allerdings den Unterschied zwischen Mimesis und „Copy & Paste“ zu beachten.

Degens, der selbst auch Romanautor ist, macht es da schon klüger. Zwei Jahre lang veröffentlichte er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ eine Kolumne namens „Unsere Popmoderne oder Das Beste aus schlechten Büchern“, die als Sammlung 2005 in seinem Verlag SuKuLTuR veröffentlicht wurde und seitdem in der Literaturzeitschrift „Volltext“ fortgeführt wird. Die Neuausgabe, die nun im Verbrecher Verlag erschienen ist, „bietet ein Best-of aus zehn Jahren – mit vielen erstmals in Buchform veröffentlichten Texten“.

In „Unsere Popmoderne“ werden 34 Schlüsselstellen und Romananfänge von 35 Gegenwartsautoren aus 16 Ländern präsentiert, mitsamt Erläuterungen zum Autor und zu der Wirkung des Werkes. Der Clou der Kolumne: Degens ist Autor all dieser Bücher. Und auch die Information rund um die Autoren und die Werkgeschichte sind vom ihn erdacht.

Die fiktiven Werke der Popmoderne sind teilweise sehr lesenswert, doch meistens führen sie das Grauen der Fließbandpopliteratur der Jetztzeit vor. Da gibt es einen von einem Computer verfassten Liebesroman, das Traumtagebuch eines pubertierenden Gymnasiasten, einen schwulen, mordenden Sherlock Holmes, eine Langzeitstudenten-WG, die in einem Turm haust, den sie bekifft selbst abbrennt und vor allem: Viel Sex, meistens in abstrusen Konstellationen.

Grandios wird es zum Beispiel in Romanauszügen wie in „Der letzte Kampf“, in welchem der Superheld Batman alias Bruce Wayne die Hauptfigur ist. Der ist in dem Romanausschnitt nicht nur rapide gealtert, sondern auch ein verwahrloster Alkoholiker, der seinen Butler Alfred lallend beschimpft und Helferlein Robin zu Stubenarrest verdonnert hat. Der hat sich aber nicht an die Anweisung gehalten und ist in die Disco gegangen, ohne sein Bathandy anzuschalten. Gerade, wenn Commisioner Gordon anruft, weil er Superheldenhilfe braucht, sind auch noch alle Batanzüge in der Wäsche und der volltrunkene Bruce Wayne muss den Batschneeanzug zum Einsatz anziehen. „Der gute Geist von Gotham City…. ein Wesen halb Mensch, halb Schneehase.“

In Kombination mit den erklärenden Texten zu den fiktiven Romanauszügen wird „Unsere Popmoderne“ zum Meta-Buch, dass die Mittel der nach Witzen heischenden Parodie gar nicht nötig hat, um den Irrsinn des Literaturbetriebs vorzuführen. Degens’ Mimesis ist so nah an den wirklichen Werken der Popliteratur, dass sie, wie vom guten alten Aristoteles in seiner Poetik erwünscht, zur Katharsis durch Jammern und Schaudern führt.

Manchmal sind die „Vorbilder“ leicht zu erkennen – wie bei „Wort wird brennen“ von Preben Rommedahl, der, wie das Nachwort erklärt, von seiner eigenen Frau verklagt wurde, weil diese „in dem siebenhundert Seiten langen Alltagsjournal an keiner einzigen Stelle erwähnt wird. Der Oberste Gerichtshof in Kopenhagen entschied daraufhin, dass das Buch nur mit Textergänzungen, die Tine Rommedahls Anwesenheit und Wirken belegen und die mindestens zehn Prozent des Gesamtumfangs des Buches ausmachen müssen, veröffentlicht werden dürfte. Dieser erste Fall, in dem sich eine Person erfolgreich in ein belletristisches Werk geklagt hat, sorgte weltweit für Aufsehen und Diskussionen.“

Diese absurde Werksgeschichte liest sich wie ein gelungener Seitenhieb auf den Fall des gerichtlich verbotenen Maxim Biller Romans „Esra“, bei dem die Ex-Freundin des Autors geklagt und gewonnen hatte. In zu vielen Passagen des Buches hatte sie sich und ihre Mutter damals erkannt.

An anderer Stelle wird im toternsten Ton die Schreibratgebermanier des „Show, don’t tell“ hochgenommen: „… dieser Roman (ist) vollständig nach den Regeln des sogenannten Hamburger Dogmas verfasst worden. Das Manifest, das sich bewusst an das berühmte „Dogma 95“ dänischer Filmschaffender anlehnt, will die zeitgenössische Literatur erneuern und regelt in sieben Punkten das Schreiben belletristischer Texte. So sind unter anderem gebrauchte Metaphern verboten, Adjektive sollen vermieden und als Tempus das Präsens gewählt werden. Zudem darf ein Satz nicht länger als fünfzehn Worte sein, und Gefühle sollen nicht benannt, sondern dargestellt werden“.

So oder so ähnlich gibt es das auch in den unzähligen Schreibratgebern für den Hausgebrauch nachzulesen. Teilweise lesen sich gerade die Romanauszüge eher wie Textkondensate, mit viel zu schnell erzählter Handlung in kleinen plakativen Sätzen, durchsetzt mit Klischees. Das ergibt oft einen leicht nervigen Ton, der aber seiner selbst gesetzten Aufgabe – „Das Beste aus schlechten Büchern“ – gerecht wird, die Arbeitsweise von Popliteratur vorzuführen, ohne aussprechen zu müssen, was daran kritisierbar ist. Literaturkritik nach dem „Show, don’t tell“-Prinzip.

Und auch die Werkgeschichten sind eine Art Kondensat der Daily Soap Literaturbetrieb. Das kommt nahezu ohne Übertreibung aus, denn die Realität des deutschen Buchmarktes bietet genug Absurditäten zur mimetischen Nachahmung an. Bei Marc Degens wird der Leser zur der dritten Art, die bereitwillig auf die Mimikry hereinfällt – und die erste Art von jener zweiten, die die erste imitiert, nicht wirklich unterscheiden kann.

Titelbild

Marc Degens: Unsere Popmoderne. Kolumnen.
Verbrecher Verlag, Berlin 2010.
159 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783940426598

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch