Böses Kätzchen

Angela S. Choi schreibt in „Hello Kitty muss sterben“ gegen den Verniedlichungswahn der Prosecco-Generation an

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Chinesische Einwanderer scheinen eine erstaunliche Kompromisslosigkeit an den Tag zu legen, zumindest was die Verwurzelung in der Tradition einerseits sowie andererseits die exaltierte Höflichkeit im gegenseitigen Umgang betrifft. Und Firmenanwältin Fiona Yu befindet sich mitten in einer solchen exilchinesischen Familie: beste Voraussetzungen also für einen fulminanten Ausbruch aus diesem starren Gefüge.

Dabei ist die Protagonistin von Anfang an ein zynischer, destruktiver Charakter und alles andere als ein zahmes Kätzchen. Als erfolgreiche Anwältin braucht sie keine finanziellen Engpässe zu befürchten, zumal sie noch bequem im Haus ihrer Eltern wohnt – welche nicht mehr von ihr verlangen, als nett zu sein, ja zu sagen und möglichst bald einen chinesischen Mann zu heiraten. Wobei heiraten die wirklich letzte Sorge Fionas ist: nach einem mehr oder weniger geglückten Selbstdeflorationsversuch besteht ihr einziges Interesse darin, einen qualifizierten Hymenalrekonstruktionschirurgen aufzutreiben, was in San Francisco ein leichtes Unterfangen ist. Dabei geht es ihr weniger um die Rückkehr zur Traditionsbewusstheit: „Ich wollte bloß ein bisschen Familienehre, die ich in blutige Stücke zerfetzen und um den Hals tragen konnte.“

Wer nach diesem rasanten, detaillierten Romaneinstieg jedoch einen Fremdschäm-Klamauk à la „Feuchtgebiete“ erwartet, wird überrascht werden. Choi will weniger durch schmuddelige, postpubertäre Schock-Passagen glänzen als durch bissige Seitenhiebe und eine gewaltige Dialogintensität. Die Protagonistin verkörpert dabei das radikalfeministische Gegenbild der Hello-Kitty-Generation: ein im wahrsten Sinne des Wortes männermordender Vamp, welcher jeglichen sexuellen Intentionen erbittert die Stirn bietet.

An Fahrt gewinnt die Erzählung beim Zusammentreffen Fionas mit ihrem Chirurgen, in dem sie einen längst verloren geglaubten Schulfreund wiedererkennt – und welcher sich als Serienkiller entpuppt. Das Teilen dieses Geheimnisses macht sie zu Komplizen, unter denen alsbald sich eine zwar asexuelle, aber dennoch heiße Affäre entspinnt.

Zu weit weg von der Realität? Auf jeden Fall. Der Autorin geht es jedoch ganz bestimmt nicht um eine naturgetreue Abbildung dieser; stattdessen entwirft sie ein bluttriefendes, tarantinoeskes Thriller-Roadmovie, welches vor abgrundtief schwarzem Humor und abgebrühten Dialogen nur so strotzt. Das Rad erfindet sie damit nicht neu, eine mehr als unterhaltsame Berg- und Talfahrt gelingt ihr jedoch. Sicher, man muss schon ein bisschen auf den Typus des amerikanischen Antihelden stehen, welcher – den richtigen Spruch zur richtigen Zeit auf den Lippen – mit zielsicheren Schritten über den mit Leichen gepflasterten Weg stolziert.

Angela S. Choi hat sichtlich ihren Spaß daran, zwei weitestgehend mitleidsfreie Charaktere amokgleich durch eine in festen Regeln erstarrte Plastikwelt wüten zu lassen. Lektüre für lauschige Winterabende am Kamin ist dieses Buch eher nicht; Spaß macht es allerdings ungemein. Und dass die Welt schon lange reif für rasante Unterhaltungslektüre wie diese ist, beweisen erfolgreiche Veröffentlichungen wie die ihrer männlichen Kollegen Charlie Huston und Chuck Palahniuk. Schön, wenn Choi in dieser Bad-Boy-Domäne mitschwimmen dürfte. Dieses Buch könnte die Eintrittskarte sein.

Titelbild

Angela S. Choi: Hello Kitty muss sterben. Roman.
Übersetzt ins Deutsche von Ute Brammertz.
Luchterhand Literaturverlag, München 2010.
286 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873398

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