Vitriol in Champagner

„Auf sie mit Idyll“: Wiglaf Droste hat fünfzig neue Miszellen verfasst., schäumend bis ätzend

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die neuen Prosastücke Wiglaf Drostes sind drei bis fünf Seiten kurz, doch von bemerkenswerter Dichte und Ökonomie: Sparsamkeit mit Fülle. Solches ist selten, am ehesten in lyrischen Gattungen anzutreffen – in Prosa nur auf dem obersten Niveau. Dieser Band ist ein Meisterstück solcher verdichteten, geistessprühenden Essayistik, durchwegs gespickt mit (nicht nur) literarischen Anspielungen – unter anderem auf Daniel Kehlmann und Karl May –, dies aber dezent, sodass der ‚Eigengeschmack‘ Drostes nicht übertäubt wird. Wie nebenbei, ohne sichtbare Mühe, streut dieser Autor Dutzende geschliffener Aperçus ein, und seine Charakterisierungskunst ist eines Satirikers und Moralisten in Jean de La Bruyères, William Hogarths und Daniel Chodowieckis Tradition würdig.

So heißt es im „Nachruf auf den Fußballtorhüter Oliver Kahn“: „Weltklassetorhüter gab es in der Geschichte einige, aber allein bei Oliver Kahn wurde diese Klasse stets aus der Tiefe seines existenziellen Raums begründet: Hier agierte ein Gehetzter, ein manisch Getriebener, der sich wie eine wagnerianische Heldengestalt inszeniert, und das in kurzen Hosen. […] Der mahlende Kiefer, der finstere Blick, die körpersprachlich demonstrativ ausgestellte Bereitschaft zur Aggression unterstrichen noch den Eindruck rüder, atavistischer Männlichkeit. […] Kahn war physisch ganz Mann; in Zeiten, in denen sogar James-Bond-Darsteller Männlichkeit nur mit überdeutlichen und augenzwinkernden Ironiesignalen zeigen dürfen, war er vielleicht sogar der ‚letzte Mann‘ – wie einst Emil Jannings in Fritz Murnaus gleichnamigem Film. […] Ein Liter Spenderblut von Oliver Kahn, sagt man, bringe einhundert Sieche wieder auf die Beine.“

Der Titel – „Auf sie mit Idyll“ – erklärt sich aus einem Aufenthalt im brandenburgischen Rheinsberg. Dort wirkte Droste, der so ungeeignet für Ämter und Ehrungen scheint, 2009 für einige Monate als „Stadtschreiber“. Dass diese Auszeichnung zum Gedenken an Kurt Tucholsky vergeben wird, mag sie erträglich gemacht haben. Was freilich Rheinsbergs bukolisches Ambiente betrifft, erweist sich Droste als Meister der Ambivalenz, der ein Idyll jederzeit melancholisch oder ironisch zu überformen versteht, mit Glück stets dessen Brüchigkeit aufweist. Auch darin zeigt er sich auf Augenhöhe mit Tucholsky und dessen „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte.“.

Wer nur den scharfen Polemiker kennt, habituell unfähig zu irgendwelchem Konsens, wird staunend erkennen, welche zarten, pastellenen Töne dieser Dichter auf der Palette hat – und welches szenische Geschick, welche Bildkraft ihm zu Gebote stehen. Für Droste gilt, was er an Joachim Ringelnatz so rühmt: „Humor, das zeigt sich bei näherer Betrachtung, hat auch bei Ringelnatz weniger mit lustiger Flachserei zu tun als mit der Fähigkeit, die Schläge des Schicksals zu verarbeiten und zu ertragen. Hinter der schalkhaften, spitzbübischen und hüpfenden Heiterkeit steht eine Tiefe der Empfindung, die sich nicht abnutzt.“

Wiglaf Droste zählt zu den wenigen lebenden Sprachkritikern von beinahe Karl-Kraus’schem Format, dessen Ego-Monumentalismus ihm (glücklicherweise) fremd bleibt. Was den Säuregehalt seiner Einlassungen über die politische Klasse und „Journaille“ anbelangt, steht er Kraus aber nicht nach. Zu den ‚Opfern‘ zählt Horst Köhler, der ein begabter Ökonom und Kameralist gewesen sein mag, als Präsident auf sympathische Weise unbefangen und ‚authentisch‘, sprachlich – auch grammatikalisch – aber mit katastrophalen Fehlleistungen aufwartet. Droste nimmt Köhlers berühmtestes und folgenreichstes Missgeschick virtuos auseinander: „Der Hang zum routiniert engagierten Herumschwatzen war […] das hervorstechende Markenzeichen Horts Köhlers. Dann aber sprach er im Radio einen Satz, der ihm zum Verhängnis wurde und der wörtlich und ungekürzt so lautet: ‚Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.‘“ Droste, wunderbar gallig: „Nachdem ich mich durch den Rohr-frei-Schwall von 76 Wörtern zuerst hindurchgehört und später hindurchbuchstabiert hatte, fragte ich mich bang: Und wer übersetzt mir das jetzt ins Deutsche? [W]enn man […] die Möglichkeit hat, einem Bundespräsidenten bei einer Alphabetisierungskampagne zu helfen, die nicht in Afrika, sondern in seiner eigenen Gummibirne stattfindet, darf man gnädig sein und ein paar Momente Lebenszeit opfern. Behinderte verdienen unseren Respekt; bei den Indianern galten sie als besondere Lieb- und Schützlinge des Großen Manitu, daran will ich mich halten.“

Mit der ‚Lizenz zu töten‘, wenngleich nur durch Worte, tritt Droste wunderbar unbefangen allem, was anderen heilig ist, entgegen – sei es der Glaube, sei es die Nation. Zuweilen aber schlägt er selbst hymnische Töne an (ohne kritischer Nuancen zu entraten). So wenn er Raymond Chandler, Janwillem van de Wetering, Joachim Ringelnatz oder Georges Simenon porträtiert. Auch pflegt er das Andenken von Peter Hacks, dessen klassizistischer Duktus ihm offenbar zusagt: durch seine unverbrüchliche Heiterkeit, Contenance und Beherrschung der Form. (Deren politische Implikationen und Hacks’ DDR-Apologetik werden nicht thematisiert.)

Schade, dass dies ein Buch ist. Die Vortragskunst Drostes könnte den Genuss weiter steigern: Delikater, genauer rezitiert keiner. Ein sinnvoller Einwand ist dies allerdings nicht. Wer Esprit hat, Heinrich Heine liebt oder Tucholsky, wird Droste – wenigstens – mögen, denn seinesgleichen gibt es in Deutschland (und andernorts) selten. Dieser Band belegt es aufs neue. Freunde der Leichtigkeit und des Feinsinns werden die Anschaffung niemals bereuen.

Titelbild

Wiglaf Droste: Auf sie mit Idyll. Die schöne Welt der Musenwunder.
edition TIAMAT, Berlin 2011.
204 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783893201457

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