„Das Ghetto-Sex Tagebuch“

Sila Sönmez bricht in ihrem Roman-Debüt mit deutsch-türkischen Klischees

Von Peter ZimmermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Zimmermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Junge türkische Frauen sind in deutschen Medien bekanntlich meist verschleiert, unterdrückt, verklemmt und minderbemittelt. Und Feministinnen wie Ex-Banker plädieren lautstark für ihre Emanzipation oder Ausweisung aus deutschen Landen. In diesem Klima kommt ein Buch wie gerufen, in dem eine schöne junge Deutsch-Türkin mit diesen Klischees bricht und alle Hüllen fallen lässt. Dies tut die 26-Jährige Studentin Sila Sönmez in ihrem Roman-Debüt „Das Ghetto-Sex Tagebuch“ so frech und provokant, dass die „Bild-Zeitung“ über 100 Tabuwörter zählte und sie zu Deutschlands neuer Sex-Autorin erklärte. Sila Sönmez wurde 1984 in Köln geboren und ist dort in einer liberalen türkischen Familie aufgewachsen. Jetzt wohnt sie in Berlin-Kreuzberg und studiert Kulturwissenschaften an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder.

Die 17-Jährige Schülerin Ayla, die fiktive Verfasserin dieses Tagebuchs, nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie liebt Gruppensex und ist in therapeutischer Behandlung: „Für die Klapse bin ich nicht psycho genug, doch für mein Alter anscheinend nicht normal, für Türken verdeutscht, für Deutsche eine Türkin.“ Ihr Ghetto ist ein vor allem von türkischen Familien bewohntes Viertel in Köln. Sie trägt Minirock und knappes Top, kifft gelegentlich, findet Telefonsex geil, wohnt bei ihren Eltern, geht noch brav zur Schule und hat ein Profil auf Facebook, studiVZ und Myspace. Das Macho-Gehabe junger türkischer Männer stößt sie ab und in ihrem ‚Ghetto‘ gilt sie als cool und unnahbar. Als ihr einer empfiehlt, erst mal richtig Türkisch zu lernen, denkt sie, „lern doch Deutsch, du Spinner“.

Ihre erotischen Dates organisiert sie nach der Schule per Internet – aber möglichst außerhalb Kölns und stets so, dass sie abends wieder zu Hause ist: Auf Myspace lernt sie Sven Fiftytwo kennen, einen schmierigen Typen, der sie mit seinen Freunden zum Gang Bang nach Dortmund einlädt. In einer Wohngemeinschaft von Alt-Achtundsechzigern lernt sie die Liebeskunst des Tantra kennen. Dann wieder lässt sie sich von einem alten fettbäuchigen Rentner zum Nacktputzen bestellen: „Lahmarschiger zärtlicher Sex ist ein No-Go für solche Begegnungen. Dann ziehe ich meinen String aus.“ Nach den Ausschweifungen kommen der moralische Kater und ihre Therapeutin, die ihr einredet, sie arbeite damit ödipale Bindungen zu ihrem Vater ab. Das kotzt sie erst recht an.

Die Schilderung sexueller Obsessionen wirkt allerdings gelegentlich wie ein Köder, mit dem der Leser mit einigen Schwächen dieser Coming-of-Age-Story versöhnt werden soll. Denn wenn sich Ayla zu guter letzt in einen jungen Mann verliebt und ihre Internet-Kontakte löscht, läuft auch diese Geschichte auf das übliche Happy End hinaus. Beeindruckend sind vor allem die Schilderungen von Milieu und Jargon einer deutsch-türkischen Jugendszene, die von Thilo Sarrazin und anderen lediglich als asozial wahrgenommen wird. In der von Klischees und Vorurteilen beherrschten Integrationsdebatte der letzten Jahre wirkt dieser Roman wie der Befreiungsschlag einer jungen Frau, die die Medienklischees selbstbewusst mit dem Gegenbild einer anderen Sozialisation konfrontiert.

Titelbild

Sila Sönmez: Das Ghetto-Sex-Tagebuch. Roman.
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2010.
221 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783896025654

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