Steinbruch der Stadtforschung

Ein Sammelband des Saarbrückener Frankreichzentrums widmet sich „Städtischem Raum im Wandel“ – weit über Deutschland und Frankreich hinaus

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Geschichte, Literatur, Soziologie, Architektur, Kino oder Interkulturalität – auf vielfältige Art werden am Beispiel vor allem deutscher und französischer Städte verschiedene Aspekte der Modernität herausgearbeitet. Die Hauptfragestellungen widmen sich sozialen Gruppen, Migrationsströmen, Integrations- und Ausschlussphänomenen, Orten der Soziabilität, Kulturveranstaltungen, Erzählformen sowie theoretischen Analysen. Die Beiträge zur Stadtforschung geben so, im zeitlichen Rahmen vom 17. Jahrhundert bis hin zur Schwelle des 21. Jahrhunderts, den Forschungsstand verschiedener Disziplinen wieder und untersuchen die Relevanz zeitgenössischer Herangehensweisen.“

Damit ist alles gesagt: Dies ist ein ‚Sammelband‘ im strengsten Sinne. Er gleicht einem Container, der mit zwei Dutzend vager Beiträge gefüllt ist. Die eklektische Anmutung rührt nicht zuletzt daher, dass die Beiträge teilweise deutsch, teilweise französisch verfasst worden sind, je nach Muttersprache des Autors. (Der Anhang bietet Abstracts in beiden Sprachen.) Als Herausgeber firmiert die Universität des Saarlandes beziehungsweise deren „Frankreichzentrum“. Die grafische Darbietungsform und Bebilderung dieses vierten Bandes der „Deutsch-französischen Kulturstudien“ ist – verglichen mit dem Gros wissenschaftlicher Literatur – luxuriös.

Die Beiträge teilen sich in drei Gruppen: „Politische Spannungsfelder“, „Soziale Identitäten und Inszenierungen“, „Kulturen und Repräsentationen“. Diese Prägungen sind wenig aussagekräftig, die kluge, konzise „Einleitung“ aber, von Gabriele Clemens und Hans-Jürgen Lüsebrink verfasst, weiß recht genau über die Inhalte zu orientieren. Sie erstrecken sich über die ganze Breite der Kulturwissenschaft, zwischen Literatur und Film, Städtebau und Kunstbetrieb, Migration und Bildungswesen.

Das deutsch-französische Profil wird äußerst großzügig ausgelegt, sodass auch österreichische, englische und amerikanische Themen Berücksichtigung finden: Unter dem Titel „Remapping Mozart“ schreibt Anita Schlögl über das Branding der ‚Welthauptstadt der Musik‘: Wien. Anna Richter widmet sich der ‚culture-led urban regeneration‘ und deren politischen Implikationen am Beispiel Liverpools. Aurélie Delage denkt über gesellschaftliche und räumliche Ausschluss- und Einschlussmechanismen nach – anhand der Obdachlosen von Pennsylvania Station, New York.

Auffällig bleibt, dass mehrere Beiträge von Berlin handeln, während französischerseits die ‚Provinz‘, zumal der einst heftig umkämpfte Grenzraum mit Nancy, Metz und Straßburg, eine herausgehobene Rolle spielt. Paris tritt weniger hervor als Berlin, welches gerade von französischen Beiträgern mit dem Nimbus der exzentrischen, unverbrauchten Kulturmetropole versehen wird.

Was die methodische Ausrichtung betrifft, sind gewisse Unterschiede festzustellen: Manche Texte zeigen theoretische Ambition und bedienen sich, zum Beispiel, aus dem Werkzeugkasten der Diskursanalyse. Andere bescheiden sich mit dem Sammeln und Ordnen von Fakten. Grundsätzlich sind alle Autoren um einen empirisch soliden Zugriff bemüht, ihre Arbeiten zeigen sich quellengesättigt, eher handwerklich als artistisch. Dies gilt auch für die französischen Beiträger: Man könnte den (unzutreffenden) Eindruck gewinnen, dass eine homogene deutsch-französische Wissenschaftskultur besteht.

Qualitätsunterschiede nach gedanklicher Dichte und sprachlicher Klarheit sind nicht zu vermeiden, wo über 20 Autoren zusammenwirken. Alles in allem ist ein solides Konvolut zur Stadtforschung und deutsch-französischem Kulturvergleich gelungen. Die Ambition des Bandes geht nicht darauf aus, neue Forschungsansätze zu prägen, sondern darauf, vertraute an deutschem, französischem und anderem Material zu erproben – dies ist vielfach gelungen.

Titelbild

Hans-Jürgen Lüsebrink / Gabriele B. Clemens / Jean El Gammal (Hg.): Städtischer Raum im Wandel.
Akademie Verlag, Berlin 2011.
436 Seiten, 59,80 EUR.
ISBN-13: 9783050046204

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