Schwarz und weiß

Die Polarität weiblicher Schönheit im Marienbild

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Strahlende Muttergottes, die Himmelskönigin

Über keine andere Frau ist so viel gedacht und geschrieben worden wie über Maria, die Mutter Christi. Und keine andere Frau unserer Geschichte ist in einem solchen Maße mit inniger Verehrung bedacht worden wie sie, die als das Mädchen Mirjam aus Nazareth den Heiland, „das Licht der Welt“, gebar und zur Muttergottes wurde.

Es gibt einen eigenen Wissenschaftszweig, die Mariologie; aber wir wissen nicht einmal, wie Maria ausgesehen hat. Trotzdem bezweifelten weder Theologen und Gläubige noch die Künstler der zahllosen Marienbilder, dass sie unendlich schön war. Schon sehr früh sah man in der Braut, die im „Hohenlied“ besungen wird, ihr alttestamentliches Vorbild:

„Ganz und gar
schön bist du,
meine Liebste,
und makellos
du.“

Das Hohelied Salomos (4, 7). Übersetzung von K. Reichert

Das „makellos“, das im „Hohenlied“ wohl schlicht auf die Fehlerlosigkeit der äußeren Erscheinung gemünzt war, wird nun, auf Maria bezogen, bildlich verstanden: Es weist hin auf ihre Jungfräulichkeit und ihre Reinheit.

In vergleichbarer Weise übertrugen sich auf Maria viele Prädikate und Symbole, die zuvor der Kennzeichnung äußerer Frauenschönheit gedient hatten. So wurde die Rose, einstmals Blume der Aphrodite/Venus und wegen ihrer sprichwörtlichen Rosenröte ein dichterisches Bild für das weibliche Wangen- und Lippenrot, zu einem bevorzugten Mariensymbol. Denn auch in Maria ist die Liebe; nur eben nicht die Venusliebe des Leibes.

Ähnlich wandelte sich das Weiß der Lilie, mit dem die antiken Dichter den hellstrahlenden Hautton der Geliebten zu vergleichen pflegten, christlich in die Farbe von Jungfräulichkeit und Keuschheit. Rose und Lilie! Zwei Blumen des antiken Eros, die im himmlischen Mariengarten weiterblühen.

Von einer überirdischen Herrlichkeit Mariens spricht die Bibel nicht. Am meisten Raum widmet ihr noch der Evangelist Lukas im Zusammenhang von Verkündigung und Geburt Jesu. Ansonsten weist ihr das Neue Testament eine recht untergeordnete Rolle zu, so dass man allen Grund hat, sich über ihren Aufstieg zur Himmelskönigin zu wundern.

Einen ersten Höhepunkt erfährt die Geschichte der Erhebung Marias mit ihrer Ernennung zur Gottesmutter („Gottesgebärerin“) im Jahr 431 auf dem Konzil zu Ephesos, einer von Intrigen begleiteten und von Waffengeklirr umtosten Veranstaltung. Zwei wirklich feindliche Parteien standen einander gegenüber. Die schließlich unterlegenen Gegner des Gottesgebärerin-Titels hatten eingewandt, unmöglich könne Gott selbst von Maria geboren und als Baby in Windeln gewickelt worden sein, sondern lediglich der Mensch Jesus. Dagegen vertrat die Siegerpartei um den rührigen Bischof Kyrill die Meinung, man dürfe die menschliche Natur Christi nicht von seiner Göttlichkeit trennen, weshalb es durchaus logisch und völlig legitim sei, seine Mutter als Gottesgebärerin anzusprechen.

An derlei theologischen Überlegungen war das Laienvolk von Ephesos sicherlich recht wenig interessiert. Doch sobald das Konzilsergebnis öffentlich bekannt war, brach Jubel aus, und die Leute zogen in einem Fackelzug durch jene Stadt, in der einst das Heiligtum der „vielbrüstigen“ Artemis gestanden hatte.

Überhaupt zeigt sich die Volksfrömmigkeit durch die gesamte Geschichte der Marienverehrung hindurch als eine eigenwillige und starke Triebkraft, die keineswegs immer der von den Theologen und den kirchlichen Herren diktierten Richtung folgen mag. In Ephesos verhielt es sich damals wohl so, dass der Volksseele mit der Abschaffung der Großen Göttin Artemis das zentrale weibliche Verehrungsobjekt abhanden gekommen war; und nun freute man sich, mit Maria eine tatsächliche „Gottesmutter“ bekommen zu haben. Womöglich vergaß die Volksseele dabei in ihrem Überschwang, dass die christliche Lehre in Maria keine Göttin, sondern einen Menschen sieht.

Gemeinhin wird angenommen, dass es dieses Großereignis von Ephesos war, das den Anlass für die Errichtung der ersten und wichtigsten Marienkirche der Stadt Rom, Santa Maria Maggiore, gab. Die Legende will, dass der Himmel den Bauplatz bestimmte, indem er mitten im Sommer Schnee auf den Esquilin-Hügel herabfallen ließ. So erhielt die Kirche Santa Maria Maggiore mitsamt ihrem hochbedeutenden Gnadenbild den Beinamen „Maria Schnee“. Der weiße Schnee: Ein weiteres Bild für die vollkommene Reinheit der Jungfrau der Jungfrauen und Muttergottes, die laut katholischem Dogma als die einzige Frau unbefleckt, das heißt ohne Sünde geboren, „empfangen“ wurde. „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“, sagte 1858 die ganz in Weiß gekleidete Marienerscheinung in der französischen Pyrenäenstadt Lourdes, die seitdem in Tausenden und Abertausenden von Nachbildungen den wundersamen Marienglauben auch heutiger Menschen verkörpert.

Die Entwicklung der Marienverehrung in Rom und in der westlichen Hälfte des Reiches verlief allerdings während der ersten Jahrhunderte insgesamt etwas zögerlicher als im byzantinischen Osten. Von dort ist als ein hochrangiges und sehr frühes Dokument des Marienlobs der griechische „Hymnos Akathistos“ (das heißt „stehend zu singender Hymnus“) überliefert. Der Gesang grüßt Maria in all ihrer Gnadenfülle und feiert sie, wie die folgenden ausgewählten Beispiele zeigen, in den vielfältigsten Bildern des göttlichen Lichts und des heiligen Glanzes:

„Sei gegrüßt, durch Dich wird leuchten die Freude.“
„Sei gegrüßt, Du Morgenstern des Lichtes.“
„Sei gegrüßt, Morgenglanz des heiligen Tages.“
„Sei gegrüßt, die Macht der Finsternis weicht vor Dir.“
„Sei gegrüßt, Komet unserer Auferstehung.“
„Sei gegrüßt, Lichtglanz der Engel.“
„Sei gegrüßt, Liebe, die alle Sehnsucht übertrifft.“
„Sei gegrüßt, Strahlenmeer der göttlichen Sonne.“
„Sei gegrüßt, Glanz des unerschaffenen Lichtes.“
„Sei gegrüßt, Blitz, der die Seelen durchleuchtet.“
„Sei gegrüßt, Quelle des himmlischen Lichtes.“

Seligpreisungen Mariens aus dem „Hymnos Akathistos“ (zwischen 4. und 9. Jh.)

Vermutlich war es östlicher Einfluss – hervorgerufen oder verstärkt durch die Heirat Kaiser Ottos II. mit der byzantinischen Prinzessin Theophanu (972) –, der im Westen um die erste Jahrtausendwende einen beachtlichen Aufschwung der Marienverehrung brachte. Und möglicherweise verdankt sich auch die erste große Marienstatue: die Goldene Madonna der Essener Münsterkirche, die in dieser Zeit entstand, östlichen Vorbildern.

Andererseits nehmen einige Forscher an, es handele sich bei der Madonna aus Essen um eine gestalterische Wiederholung der ägyptischen Göttin Isis, die den Horusknaben stillt. Generell ist ja eine gewisse Verwandtschaft zwischen Isisbildern und vielen Madonnendarstellungen unverkennbar.

Unabhängig von ihrer – bis heute nicht völlig gesicherten – Herkunft weist die Essener Marienfigur, die aus lauter goldenem Leuchten zu bestehen und jede körperliche Erdenschwere verloren zu haben scheint, weit in die Zukunft. Nach der Epoche der majestätisch, gewichtig und bodennah dasitzenden romanischen Madonnen ist nämlich im weiteren eine fortschreitende Entleiblichungstendenz zu verzeichnen, insofern sich die Marienstatuen zunehmend von der – wie die Antike es formulierte, „schwarzen“ – Erde befreien und in lichte Höhen entgleiten.

Ein vergleichender Blick auf eine alte, erdgöttinnenhaft thronende romanische Sitzmadonna hier und eine in luftiger Position hoch am Mittelpfeiler eines gotischen Kirchenportals stehend aufragenden Maria dort wird diesen Vorgang der Erhöhung bald offenbaren. Und wer einmal eine der sogenannten Schönen Madonnen der Gotik mit gehöriger Aufmerksamkeit besieht, wird gewiss die zarte Körper- und Gewichtslosigkeit der fein geschwungenen, von unten nach oben hinaufstrebenden Gestalt bemerken.

Die kunstgeschichliche „Himmelfahrt Mariens“ endet in der Barockzeit: Selbstbewusst und siegessicher nach den Auseinandersetzungen mit dem Protestantismus, postiert die katholische Kirche nun die triumphierende Muttergottes allerwege auf mitunter schwindelerregend hohen Säulen inmitten der Städte, wo sie, völlig losgelöst von irdischer Not und Niedrigkeit, in den Wolken des Himmels zu schweben scheint.

Gewiss stand dem Autor des „Faust“ eine solche Säulenmadonna, umgeben noch von einem großen, ovalen Kranz aus züngelnden Goldflammen, vor Augen, als er am Ende, während Faust in die oberen Regionen der erlösten Seelen auffährt, den „Doctor Marianus“ im Anblick der „glorreichen Mutter“ sprechen ließ:

„Hier ist die Aussicht frei,
Der Geist erhoben.
Dort ziehen Fraun vorbei,
Schwebend nach oben.
Die Herrliche mitteninn‘
Im Sternenkranze,
Die Himmelskönigin,
Ich seh’s am Glanze.“

Johann Wolfgang v. Goethe, „Faust II“ (11989-96)

Vier Dogmen umschreiben das katholische Verständnis der Bedeutung Marias für die Heilsgeschichte:

• Sie ist Gottesmutter.

• Sie ist immerwährende Jungfrau.

• Sie ist sündenlos (unbefleckt empfangen).

• Sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.

Das vierte und letzte Dogma wurde 1950 von dem umstrittenen, aber überaus marienfrommen Papst Pius XII. folgendermaßen formuliert:

„Es ist eine von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit, daß die unbefleckte, immer jungfräuliche Gottesmutter Maria nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele zur himmlischen Herrlichkeit aufgenommen ist.“

Zitiert nach W. Beinert

Freilich widersprechen solche Lehrsätze der Alltagsvernunft. Aber erstens handelt es sich um Glaubenswahrheiten, die ihrer eigenen Logik folgen; und zweitens war immer auch eine erzieherische – man könnte auch sagen: zivilisierende oder kultivierende – Absicht mit im Spiel, wenn die Kirche Maria als höchstes Ideal vorzeigte. Als 1950 von Rom feierlich verkündet wurde, dass sie mit Leib und Seele im Himmel sei, wollte man, wie es damals ausdrücklich hieß, „das wahre christliche Menschenbild in strahlender Schönheit vor Augen stellen“. Zu dieser Schönheit sollten sich die Menschen erheben und nicht am Staub der Erde haften, zu dem sie ja ohnehein unausweichlich einmal werden.

 

Schwarze Madonna, Trösterin der Betrübten

Buchveröffentlichungen der letzten Jahre und zahlreiche Internetseiten zeugen von einem gewachsenen Interesse an Schwarzen Madonnen. Dabei kehren in den Titeln regelmäßig Schlagwörter wie „Geheimnis“, „Mysterium“ und „Rätsel“ wieder und bekunden: Diese Mariendarstellungen beziehen einen großen Teil ihrer Attraktivität offenbar aus dem Reiz des Ungewohnten.

Was sind eigentlich Schwarze Madonnen? Vielen kommt spontan das von Papst Johannes Paul II. sehr verehrte polnische Nationalheiligtum in Tschenstochau in den Sinn, bei dem es sich um eines der dunklen Muttergottesbilder handelt, die in der ostkirchlichen Ikonenmalerei nicht einmal so selten sind.

Oder man kennt dunkle aus Holz geschnitzte Marienfiguren. Die bekanntesten im deutschsprachigen Raum befinden sich wohl im schweizerischen Einsiedeln und im bayerischen Altötting. Schwarzen Madonnen begegnet man aber weltweit: in Italien (zum Beispiel Loreto) und in Spanien (zum Beispiel Montserrat) ebenso wie in Lateinamerika (zum Beispiel Mexiko: Guadalupe). Überall sind es hochverehrte Kultfiguren, die seit ältesten Zeiten Pilger und Massen von Wallfahrern anziehen.

Als ihre liebste Heimstätte hat die Madonna in schwarzer Gestalt jedoch die rauhe, gebirgige Vulkanlandschaft der Auvergne im französischen Zentralmassiv gewählt: Clermont-Ferrand, Le Puy oder Orcival, um nur diese drei Hauptorte der Schwarze-Madonnen-Verehrung zu nennen. Meistens sind es hier in der Auvergne dunkle oder sehr dunkle romanische Sitzfiguren, denen man ein außerordentlich hohes Alter nachsagt. Einige sollen im Mittelalter von Kreuzfahrern aus dem Morgenland mitgebracht worden sein.

Tatsächlich sehen manche der Schwarzen Madonnen der Auvergne nicht nur dunkel, sondern wirklich exotisch aus. So trägt die thronende Maria von Meymac (Corrèze) einen Turban, und überdies hatte ihr Künstler ohne jeden Zweifel eine Schwarzafrikanerin zum Vorbild.

Verwirrend wird es, wenn das Äußere einer dieser Vierges Noires („Schwarzen Jungfrauen“) aber durchaus nicht etwa schwarz, sondern lediglich vielleicht etwas bräunlich erscheint wie im obengenannten Orcival. Und im burgundischen Châtillon-sur-Seine steht eine von der Bevölkerung ganz selbstverständlich Vierge Noire gerufene Marienstatue, deren Hautton sogar so weiß ist wie Milch und die daher farbsymbolisch eher daran erinnern könnte, dass sie einst Bernhard von Clairvaux, dem großen Heiligen der weißen Zisterziensermönche, drei Tropfen aus ihrer Brust gespendet haben soll.

Wer nun Kirchenleute nach Ursprung, Sinn und Bedeutung von Schwarzen Madonnen fragt, lernt in der Regel als erstes, dass ihnen das Thema Unbehagen bereitet. Symbolisiert denn nicht schon die schwarze Farbe an sich das höllisch Böse, das Gottlos-Teuflische? In der Regel hört man dann, der Rauch der unzähligen gläubig dargebrachen Opferkerzen sei es gewesen, der einem anfänglich hellen Marienbild im Laufe der Jahrhunderte seine nunmehrige Schwärze gegeben habe. Doch wie auf diese Weise ausschließlich die Hautpartien der Maria mit dem Jesuskind dunkel geworden sind, während alles andere unversehrt geblieben ist, bleibt unergründlich.

Also sucht die Theologie Rettung beim Alten Testament und behauptet, auch auf die Figur der Schwarzen Madonna sei die Braut des „Hohenlied“ zu beziehen, wenn sie sagt:

„Schwarz bin ich
und schön,
ihr Töchter Jerusalems,
wie die Zelte Kedars,
wie die Behänge Salomos.
Seht mich nicht so an,
weil ich wie schwarz bin –
getroffen
hat mich die Sonne.“

„Das Hohelied Salomos“ (1, 5f.). Nach der Übersetzung von K. Reichert

Übrigens ist die hier wiedergegebene Fassung: „Schwarz bin ich und schön“, korrekt. Demgegenüber sehen die herkömmlichen Bibelübersetzungen seit je einen prinzipiellen Widerspruch zwischen schwarzer Haut und schöner Frau, bringen deshalb anstelle des „und“ ein „aber“ und lassen das verliebte Mädchen sprechen: „Schwarz bin ich, aber schön“. Mit gutem Willen ließe sich zur Verteidigung dieses althergebrachten Übersetzungsfehlers anführen, dass sich die Braut des „Hohenlied“ schließlich selbst als eine ungewöhnliche („seht mich nicht so an“) und rechtfertigungsbedürftige („getroffen hat mich die Sonne“) Schönheit begreift. Selbstverständlich war das „Schwarz bin ich und schön“ also auch zu Zeiten des Alten Testamentes nicht.

Dessenungeachtet kann die kirchliche Interpretation, die sich in ihrem Verständnis dunkler Marienbilder unbeirrbar auf die Selbstbeschreibung der Braut beruft, keinesfalls befriedigen. Denn abgesehen davon, dass eine solche Sicht mit der – physikalisch argumentierenden – Kerzenrauchthese schwerlich in Einklang zu bringen ist, existierten schwarze Muttergottesfiguren schon längst bevor Theologen und Schriftsteller überhaupt auf die Idee kamen, Maria mit der obigen „Hohelied“-Stelle in Verbindung zu bringen.

Da also die kirchenoffiziellen Erklärungen letztlich nicht überzeugen, hat man sich nicht zu wundern, wenn andere, zum Teil abenteuerliche Theorien aufkommen. Beispielsweise soll die Schwärze der Schwarzen Madonnen aus der mittelalterlichen Alchemie herrühren. Ferner ist immer noch, wie oben bereits angedeutet, die Annahme verbreitet, in diesen dunklen Bildern lebten antike Göttinnen, vorzugsweise Erdgöttinnen (die schwarze Artemis, Demeter, Isis etc.), auf irgendeine Weise fort. Zudem ist es neuerdings beliebt geworden, tiefenpsychologisch anzusetzen, indem man etwa in der Schwarzen Madonna das schattenhaft Unbewusste, die verdrängte Nachtseite des Menschen und allgemein das in der westlichen Kultur Verbotene und Unterdrückte verkörpert sieht. Von daher ergeben sich dann oftmals starke Sympathielinien zu feministischen Gedanken.

Wie immer man zu all diesen Anschauungen stehen mag, wird man nicht umhin kommen, in der Gestalt der Schwarzen Madonna ein Schönheitsbild wahrzunehmen, das wie von einer fremden, ganz anderen Welt herkommt. Was das Äußere angeht, wurde bereits im Mittelalter überlegt, ob Maria selbst nicht in Wirklichkeit von dunkler Hautfarbe war; möglicherweise als Orientalin schon von Geburt oder auch erst auf der strapaziösen Flucht nach Ägypten von der Sonne gebräunt. Immerhin treffen sich derartige Erwägungen mit dem unbestreitbar exotischen Anblick mancher Schwarzen Madonna.

Gewissermaßen exotisch mag aus der Perspektive der kirchlichen wie weltlichen Eliten auch die Schar derer anmuten, die mit besonderer Vorliebe zur Schwarzen Madonna kommen. Typischerweise sind es die kleinen Leute mit ihren kleinen Sorgen: Gesundheit, Ernte, Arbeit, Armut und Kinderwunsch.

Martin Luther, der die heilige Maria zeitlebens mit großer Wertschätzung bedachte und lediglich ihre Vergötterung missbilligte, spürte genau ihre Nähe zum „gemeinen Volk“. Die Stelle des Lukasevangeliums (1, 48), wo die schwangere Maria sagt, Gott habe „die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“, versteht er nämlich in dem sehr konkreten Sinn, dass die Mutter des Erlösers zur sozialen Unterschicht gehörte. Folglich hatte sie auch das Aussehen einer Bediensteten und weder Zeit noch Geld, ihr Haar blond („gelb“) zu färben. Und, so dürfen wir wohl ergänzen, sie war auch nicht in der Position, wie eine herrschaftliche Dame ständig darauf achten zu können, ihren Teint weiß zu halten. In einer Predigt zum Fest Mariä Heimsuchung lässt Luther die Magd Maria erklären:

„… deswegen frohlocke ich, weil Gott angesehen hat nicht meinen hohen Stand, gelbes Haar, sondern weil ich ein verachtetes Aschenbrödel bin“.

Martin Luther am 2. Juli 1533

Vieles spricht dafür, dass wirklich der Aspekt der Unscheinbarkeit, der glanzlosen Niedrigkeit, eine verwandtschaftliche Nähe zwischen den Schwarzen Madonnen und ihren Verehrern stiftet. Die Schwarze Madonna aus dunklem Lindenholz in der Kölner Kupfergasse bietet nicht nur alltagsgestressten Passanten Rast, sondern ist Zuflucht gerade auch sogenannter gesellschaftlicher Randgruppen, die von dem Gnadenbild mit Namen „Mutter der Barmherzigkeit“ Trost und Hilfe und vom angrenzenden Altersheim eine kleine Mahlzeit erbitten. Einem Pastor der Kirche St. Maria in der Kupfergasse wollte es einmal so scheinen,

„als habe die Madonna mit dem Kind mit der dunklen Farbe auch das Leid und die Krankheit der Menschen, die zu ihr um Hilfe gefleht haben, angenommen.“

W. Plenker (1973/74)

Vorzugsweise an dunkle Madonnen wenden sich ebenfalls die, die sich ins Abseits der bürgerlichen Gesetzlichkeit gestellt haben; um es ungeschminkt zu sagen: die Unterwelt, das „Milieu der Nacht“. So hängt in der Kirche Santa Maria del Carmine zu Neapel eine Muttergottesikone mit dem Namen La Bruna („Die Braune“). Das Bild steht im Zentrum der Verehrung von Gaunern, Banditen und Prostituierten und zeigt, mit welch inniger Liebe Maria ihr Kind umarmt, das seine Wange an ihr schönes Gesicht schmiegt. Zwar dulden die zuständigen Karmelitenmönche diesen – gar nicht immer kirchengemäßen – Kult, halten ihn aber doch für ziemlich „reinigungsbedürftig“. La Bruna indes, so scheint es, schenkt ihre schützende Liebe den Sündern gern und ohne Vorbehalte.

An die eben nicht wählerische, grenzenlose und verschwenderische Liebe Marias glaubte auch Pfarrer Frumb, als er seinerzeit anlässlich einer Wallfahrt über die Schwärze der Madonna im bayerischen Teising meditierte, die dem Gnadenbild von Einsiedeln nachempfunden ist:

„Schwartz ist es worden von der Sonnen, das ist, theils von ihren eigenen Kind, theils von der Hitz ihrer mehr als Seraphischen Liebe … . Unser Frau liebt alle, allen lauffts zu, für alle bittet es, für alle gibt es ab eine Fürsprecherin, und gar keinen schließt sie aus von ihrer Liebe.“

Pfarrer Benedikt Frumb aus Aich in Niederbayern (1727)

Die Not des Lebens, die immer eine finstere Sache ist, überspringt aber mitunter alle Standes- und Klassengrenzen. Deshalb darf abschließend die Schwarze Madonna der rheinischen Stadt Remagen erwähnt werden, die ein kriegsgefangener Künstler 1945 in seinem Elend aus Lehm formte und die noch heute dort in einer ärmlichen Behausung am Straßenrand an die Trübsal erlittenen Leids erinnert und so zum Frieden unter den Menschen mahnt.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag basiert auf Passagen aus Franz Siepes Buch „Die Farben des Eros. Das Schönheitsideal im Wandel der Zeit“. Verlag Wolf Jobst Siedler: Berlin  2007.