„Vor ihm lag das Land – spröde, offen und tot“

Nach fast 30 Jahren liegen die Stories von Breece D’J Pancake auf Deutsch vor

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist erst wenige Wochen her, dass eine der auffälligsten Personen des Kulturbetriebs, eine Künstlerin mit Leib und Seele, viel zu früh gestorben ist. Amy Winehouse teilt damit das Schicksal einiger anderer Musikerinnen und Musiker, deren Leben bereits mit 27 Jahren zu Ende gegangen ist. Dass es auch in anderen Künsten Frühvollendete und (zu) früh Verstorbene gibt, wird häufig nicht so sehr bekannt, da außer Musikern nur noch Filmstars – hier wäre neben James Dean der frühe Tod River Phoenix’ hervorzuheben – medial von extremem Interesse sind.

Ebenfalls mit 27 Jahren starb der US-amerikanische Schriftsteller Breece D’J Pancake, der 1952 in Milton/West Virginia zur Welt kam und bereits 1979 verstarb. Zu Lebzeiten veröffentlichte er gerade einmal sechs Kurzgeschichten, weitere sechs blieben unveröffentlicht. Sein Werk besteht somit aus zwölf Geschichten oder Erzählungen, die 1983 erstmals in den USA veröffentlicht wurden. In deutscher Übersetzung wurden diese eigenwilligen und hoch verdichteten Texte, die ein ungeheures Talent erkennen lassen, bis zu diesem Jahr nicht angeboten.

Der Verlag Weissbooks in Frankfurt am Main hat diese Lücke dankenswerterweise geschlossen, denn Pancakes Œuvre verweist sowohl darauf, was ihm wichtig war, wo er seine künstlerische Herkunft hatte, als auch darauf, wer von ihm mittelbar oder ganz direkt beeinflusst wurde. Mit „Trilobiten“ wird der Band, der schlicht „Stories“ betitelt ist, eröffnet, jener Erzählung, mit der Pancake 1977 in der Zeitschrift „The Atlantic Monthly“ erstmals an die Öffentlichkeit trat. Darin sind viele, wenn nicht alle Bestandteile und Merkmale des Pancake’schen Schreibens enthalten, als da wären das ländliche Leben, Tiere, Landwirtschaft, Autos, Traktoren, aber auch eine gewisse Traurigkeit und Einsamkeit, eine nicht klar benennbare Sehnsucht nach mehr, nach etwas anderem.

Männer sind die Hauptakteure in Breece D’J Pancakes Geschichten, Frauen kommen bloß als Projektionsfläche für erotische Fantasien, als Mütter oder als scheinbar willenlose Partnerinnen vor. Wenn eine Frau, wie Alena in der Geschichte „So, wie es sein muss“ ihrem Freund Harvey, der aus dem Knast raus ist und nun mit Alkohol und seiner Waffe den starken Mann markiert, klar macht, dass sie ihr Leben anders leben möchte, bekommt sie Folgendes zu hören: „Er zog seine Pistole und zielte auf sie. Sie saß still, sah ihn mit vor Angst geweiteten Augen an, lehnte sich über den Stuhl und erbrach einen Schwall gelbe Galle. Als sie mit der Husterei aufgehört hatte und sich das Kinn abwischte, saß Harvey zusammengesackt in einer Ecke. Die Pistole baumelte in seiner Hand. ,Du verdammtes Miststück‘, murmelte er. ,Jetzt brauche ich dich, und du bist ein verdammtes Miststück.‘ Er hob die Pistole an seine Schläfe, aber Alena sah ihn lächeln. Er stieß Luft durch die Lippen und schob die Pistole in ihren Halfter zurück. ,Ich geh saufen‘, sagte er und stand auf.“

Pancakes kurze, sehr kunstvoll gearbeiteten Texte (keiner ist länger als 30 Seiten) bestechen durch ihre große Nähe zu den Menschen West Virginias, zu ihren (und des Autors) Leidenschaften, wie Jagen, Fischen, Leben in und mit der Natur. Und wie der Autor offenbar selbst, sind auch die Protagonisten dieser Geschichten, die häufig eigentümliche Namen tragen (Enoch, Estep, Skeevy, Cephus…), ziemliche Eigenbrötler. Es ist nicht immer leicht, mit ihnen umzugehen, sie sind starrköpfig und nachtragend, sie sind häufig, so muss man vermuten, psychisch labil oder gar seelisch verletzt. Und man muss diese Literatur, die von vielen sehr bedeutenden Autorinnen und Autoren auf das Höchste gerühmt wird und mit den „Dubliners“ James Joyce’ verglichen wurde, konzentriert lesen, denn der Autor setzt Mitdenken und Empathie voraus. Oftmals ist man mit den ersten Sätzen schon mitten im Geschehen, an dem mehrere Personen beteiligt sind, die der Leser noch gar nicht kennt. Über die teilweise kruden Dialoge, die scheinbar der Alltagssprache entstammen, muss man sich den Zusammenhang, die persönlichen Beziehungen und den Plot erschließen.

Gerade durch diese Technik, die sich stark abgrenzt vom klassischen Durcherzählen eines fiktionalen Textes, entsteht die Nähe zu Schauplatz, Protagonisten und Atmosphäre. Inhaltlich kann man diese „Stories“ zu aktuellen Werken von zum Beispiel Josh Weil, Philipp Meyer oder auch Daniel Woodrell stellen. Man mag es beklagen, dass Breece D’J Pancake – der Name entstand durch einen Druckfehler in „The Atlantic Monthly“, wo das „D.“ (für Dexter) und das „J.“ (für John) als „D’J“ gedruckt wurden, was der Autor fortan beibehielt – ein so schmales Werk hinterlassen hat. Man kann sich aber auch freuen über diese großartigen Texte und sie – wie Amy Winehouses „Frank“ und „Back to Black“ – immer wieder zur Hand nehmen und über diese famose Kunst staunen. Ein wenig schade ist, dass der Verlag ebenfalls einige Druckfehler zugelassen und offenbar an der Qualität des Papiers gespart hat. Und ein paar Hinweise zu den Erstveröffentlichungen der Erzählungen hätten das Buch, das ja einen bedeutenden Schriftsteller des 20. Jahrhunderts vorstellt, angemessen ergänzt und vervollständigt.

Titelbild

Breece D' J Pancake: Stories.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Katharina Böhmer.
Weissbooks, Frankfurt am Main 2011.
216 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783940888105

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