Der Apparat frisst seine Kinder

Dominique Manottis bemerkenswerter Polizeikrimi ist mehr als das: „Einschlägig bekannt“

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass der französische Kriminalroman vor allem in der Tradition der „serie noir“ außergewöhnlich gute, intellektuell vergnügliche und in der Inszenierung radikale Bücher hervorgebracht hat, ist hinreichend bekannt. Dominique Manotti bestätigt das mit fast jedem ihrer Romane, die jetzt von „ariadne“ – dem Kriminalableger des Argument-Verlags – in Deutschland verlegt werden.

Man wird zurecht aus einem solchen Verlag keine Krimis erwarten dürfen, in denen der Status quo und seine Restituierung fröhliche Urständ feiert. Der Verlag Wolfgang Haugs, dessen Einführungen ins Kapital an der Freien Universität Kultstatus hatten, und von Frigga Haug, die für die radikale feministische Literaturwissenschaft mindestens als Katalysator enorme Wirkung hatte, wird wohl nie Bücher machen, in denen man lediglich das Gruseln lernen kann.

Es sei denn, das Gruseln vor Machtmissbrauch, extremer Gewalt und den Folgen eines ungerechten Wirtschaftssystems wären als Ziele eines großen Unterhaltungsromans allgemein anerkannt. Zweifelsohne hat eine melancholisch angehauchte Kulturkritik, in der der Niedergang der zivilisierten Welt wortreich beklagt wird, auch im Kriminalroman Konjunktur. Auch der Kapitalismus und seine Repräsentanten können in ansonsten biederen Krimis ganz schön mies aussehen: Spitzenmanager und die Elite der nationalen und internationalen Unternehmerschaft neigen, wie wir erfahren können, zum Beispiel zum Kindesmissbrauch. Wer reich ist… Naja, das kennen wir.

Aber eine systematische Kritik wird daraus nicht, und als links lassen sich solche Romane auch nicht bezeichnen, dazu ist es viel zu beliebig geworden (und deshalb harmlos), auf das einzuprügeln, was man Kapitalismus nennt. Manotti ist von anderem Kaliber und schließt sich dabei an die guten Traditionen radikaler französischer Krimis an. Und sie ist klug genug, den Simplifizierungen früherer radikaler Literaturansätze zu entgehen. Keine vorbildlichen Helden, kein Vorschein auf das Reich der Freiheit, kein Sieg, kein Happyend, aber eben auch keine Sündenböcke und Opfer, die sich für den gerechten Kampf hingegeben haben.

Stattdessen nichts anderes als ein komplexes Spiel, in dem die Guten noch lange nicht die Guten sind und erst recht nicht für ihr Tun belohnt werden. Eine der wichtigsten Einsichten Manottis ist, dass sich verdeckte Aktivitäten nie wirklich beherrschen lassen, zumal dann nicht, wenn Gewalt im Spiel ist.

In „Einschlägig bekannt“ ermittelt Noria Ghozali (einschlägig bekannt) gegen eine Polizeitruppe im Weichbild von Paris, die es nicht gerade genau nimmt mit dem, was in der normalen Welt Gesetze genannt wird. Die Polizisten prügeln und huren herum, sie erpressen und kassieren von den Prostituierten, die sie außerdem in ein Parkhaus zwangsumgesiedelt haben. Alles, was arabischstämmig oder nordafrikanisch aussieht, ist verdächtig, wird verprügelt und massiven Repressalien ausgesetzt.

Eine der Polizisten und noch der harmloseste unter ihnen, lässt einen jungen Mann in den Knast wandern, weil der zufällig in der Nähe war, als er in einem Handgemenge zufällig eine Kollegin zusammentritt. Statt zu dem Unfall zu stehen, wird eine Attacke junger Araber daraus und ein Unschuldiger muss hinter Gittern.

Die Chefin des Reviers will natürlich mehr, sie will eine saubere Vorstadt, und dass heißt, radikale Senkung der Verbrechensrate, die Rückzugsorte für Exilanten und Dealer sollen geräumt werden. Dass das zufällig auch dem Interesse einer Gruppe krimineller Potentaten entspricht, die auf ihren Immobilien dringend neue Projekte bauen wollen (kriminelles Geld muss ehrlich werden), ist wahrscheinlich nur Zufall. Wenn es denn so etwas wie Zufall überhaupt gibt.

Manotti entwirft eine rasante Geschichte voller Widersprüche und Brüche, die sich mit ihrem Beginn und unter tatkräftiger Mithilfe aller Protagonisten abwärts neigt. Je mehr sich die Beteiligten bemühen, den Gang der Verhältnisse zu steuern und zu bewältigen, desto extremer werden die Konsequenzen. Schließlich ist kaum noch etwas des Geschehenden zu kontrollieren oder zu steuern. Eine Aktion folgt auf die nächste, die Reaktionsgeschwindigkeiten steigen und am Ende steht ein moralisches und juristisches Desaster, das niemand hätte verhindern können. Zentraler Punkt dabei ist, dass der Polizeiapparat alles tut, um jede Krise zu überstehen. Er übersteht jede Lüge und jedes Geheimnis, und er übersteht auch die Polizisten, die auf die andere Seite wechseln, ohne je den Sitzplatz zu verlassen. Spätestens dann, wenn sie niemand mehr braucht, werden sie ans Messer geliefert.

Wer solch konsequente Krimis liebt, ist mit Manottis „Einschlägig bekannt“ bestens bedient.

Titelbild

Dominique Manotti: Einschlägig bekannt.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2011.
256 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-13: 9783867541985

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