Ein Handbuch zur Geschichte der Sklaverei
Michael Mann gibt in seinem Buch „Sahibs, Sklaven und Soldaten“ einen konzisen Überblick über Geschichte, Kultur und Zwangsökonomie im südasiatischen Raum seit dem Auftreten der Europäer
Von Klaus-Jürgen Bremm
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseMonokulturen hatten stets einen hohen Arbeitskräftebedarf, der über weite Phasen der menschlichen Geschichte durch Sklaverei oder sonstige Formen erzwungener Arbeit gedeckt wurde. Allerdings gab es seit der Antike viele Abstufungen im Status der Unfreiheit, die je nach Kultur und wirtschaftlichen Erfordernissen die völlige Abhängigkeit des Sklaven von seinem Herrn mildern konnten. Der Berliner Historiker Michael Mann widmet in seiner Geschichte des Menschenhandels um den Indischen Ozean ein einführendes Kapitel den verschiedenen Erscheinungsformen der Sklaverei seit ihren überlieferten Anfängen in Altägypten. Sein Hauptthema beschreibt der Professor an der Humboldt-Universität vor allem aus wirtschaftlicher und kultureller Perspektive, was es in seiner Darstellung durchaus erforderlich macht, gelegentlich daran zu erinnern, dass die Sklaverei, die im arabischen Raum noch in den 1940er-Jahren beobachtet werden konnte und selbst heute noch nicht ganz verschwunden ist, zu einem der größten Menschheitsverbrechen gezählt werden muss.
Klammert man jedoch zunächst die endlose Leidensgeschichte der Betroffenen aus, ihre Verschleppung und das Auseinanderreißen von Familien, die riesigen Verluste auf den Wegen zu den Sklavenmärkten, Schläge, Folter und Verstümmelungen und die erbarmungswürdige Schufterei für eine selbsternannte Herrenrasse, dann trifft Manns Auffassung durchaus zu, dass die Sklaverei im Atlantik, die er fallweise in seine Betrachtung einbezieht, wie auch im Indischen Ozean wesentlicher Teil einer komplexen Ökonomie mit weitreichenden Handelsnetzen war und man vielleicht sogar schon von einer frühen Globalisierung sprechen kann.
Der Verfasser versucht daher in seiner knappen Studie, einen integrativen Ansatz zu wählen und den Indischen Ozean – Mann bezeichnet ihn gern als „Indik“, ohne dass deutlich wird, worin der Vorteil dieser neuen Nomenklatur besteht – als einen einheitlichen Kulturraum mit zahlreichen Austauschverhältnissen zu betrachten. Das gelingt ihm jedoch nur ansatzweise. Im Grunde revidiert er sogar seine ganzheitliche Perspektive, indem er anschließend die Sklaverei in den einzelnen Regionen des Indischen Ozeans in jeweils gesonderten Kapiteln beschreibt, ohne dass dabei die von ihm vermuteten Interdependenzen deutlich werden. Es hätte auch bestimmt geholfen, eine einleitende Dachthese zu entwickeln, so aber verliert sich Manns Darstellung von Insel zu Insel zuletzt in zu vielen Details, die man sich als Leser gar nicht alle merken mag.
Im Vordergrund seiner Studie stehen die europäischen Akteure, die mit Portugiesen und Spaniern an der Spitze seit Anfang des 16. Jahrhunderts in den südasiatischen Raum vordrangen. Zuletzt waren es Holländer, Briten und Franzosen, die im großen Stil in Südafrika, Mauritius, den Seychellen und Madagaskar eine Plantagenwirtschaft aufbauten, die ohne Sklavenarbeit nicht zu funktionieren schien. Die Tausenden von Sklaven, die aus Ostafrika oder Indien zu den Inseln im Indischen Ozean gebracht wurden, arbeiten jedoch nicht nur im Agrarsektor, sondern auch beim Straßen- und Festungsbau. Wesentlicher Bestandteil des hierarchisch geprägten Weltbildes der Sklavenhaltergesellschaften war die Vorstellung, dass Menschen aus Afrika einen niedrigen Kulturstatus besaßen (die Indischen Sklaven nahmen hier eine mittlere Position ein) und ihnen daher durch ihr Sklavendasein sogar eine „Zivilisierung“ zuteil würde. Die bestand natürlich nicht in der Möglichkeit, sich zu bilden und sein Analphabetentum zu überwinden, sondern schlicht in der erzwungenen Gewöhnung an regelmäßige und schwere Arbeit.
Das Verhältnis der islamisch geprägten Gesellschaften zur Sklaverei erscheint dagegen bei Mann recht idealisiert. Die islamische Lehre selbst habe offenbar mäßigend auf das Verhältnis moslemischer Herren zu ihren Sklaven gewirkt. Nach dem Vorbild des Propheten sei es auch im Islam erstrebenswert gewesen, Sklaven unter gewissen Umständen freizulassen. Mann kritisiert daher auch scharf die wiederholten Invektiven europäischer Kleriker des 19. Jahrhunderts wie etwa den französischen Kardinal Lavigerie, dass die Sklaverei genuin islamisch sei als „grobschlächtig“ und „ungerechtfertigt“. Derartige Klischees, so Mann, hätten sich leider selbst in der modernen Historiografie erhalten.
Tatsächlich kann er einige moslemische Autoren nennen, die sich mit ihren Schriften gegen derartige Pauschalisierungen seitens der Europäer wandten und in zum Teil scharfen Formulierungen die rasche Abschaffung der Sklaverei forderten. Im Vergleich zu diesen wenigen offenbar isolierten Stimmen im islamischen Raum entstand aber in Europa seit der Revolution von 1789 vor allem in Großbritannien eine starke öffentliche Strömung, die zunehmend Druck auf die Regierungen ausübte, die Sklaverei und den Sklavenhandel in den Kolonien abzuschaffen.
Allerdings gingen diese Impulse überraschenderweise nicht von den Vertretern der Aufklärung aus, die gewöhnlich Freiheit und Menschrechte nur für Europäer reklamierten, sondern entsprangen hauptsächlich kirchlich geprägten Kreisen des Vereinigten Königreiches. Insbesondere die britische Regierung versuchte im Verlauf des 19. Jahrhunderts, auch nach ihrer offiziellen Abschaffung im Jahre 1834 die Sklaverei und den Sklavenhandel nicht nur in den Kolonien, sondern sogar in den daran angrenzenden Nachbarstaaten wie etwa im Osmanischen Reich und in Persien durch wiederholte diplomatische Initiativen und Verträge zu unterbinden.
Auch wenn sich London hierbei nicht immer durchsetzen konnte – Mann beschreibt hier ausführlich die Resistenz der indischen Regierung gegen entsprechende europäische Bemühungen – so überraschen doch Dauer und Ernsthaftigkeit dieser Bewegung, der sich im islamischen Raum eben nichts Gleichartiges gegenüberstellen lässt. Trotz seiner Schattenseite war es gerade der seit 1885 forcierte Kolonialismus der europäischen Mächte in Afrika, der den jahrhundertealten und von Arabern dominierten Sklavenhandel auf dem „Schwarzen Kontinent“ vorerst zum Erliegen brachte.
Gleichwohl verschwand damit keineswegs in den neuen Kolonien, wie Mann diagnostiziert, die unfreie Arbeit. Die Zwangsarbeit bestand auch unter der Herrschaft der Europäer fort, auch wenn sie jetzt anders genannt wurde und selbst die neuen Kolonialherren duldeten die Sklaverei auf Seiten der autochthonen Gesellschaften, um Unruhen zu vermeiden. Mann resümiert dann auch am Ende seiner Studie, dass die gewohnte Dichotomie von freier Arbeit und Sklaverei in der Historiografie nicht hilfreich sei, weil sie die vielen vorhandenen Abstufungen übersehe. Strenggenommen sei ja auch die abhängige Lohnarbeit in modernen Industriegesellschaften nicht wirklich frei, da die Arbeitgeber Zeit, Ort und Umstände der Leistungserbringung bestimmen könnten. Man könnte den ideologisch geprägten Begriff von der freien Lohnarbeit durchaus auch als Oxymoron bezeichnen. Doch als normatives Leitmotiv zur Beschreibung erzwungener Arbeit in ihren historischen Erscheinungsformen sollte man doch besser nicht darauf verzichten.