„Ohne den Löwen hätte ich ‚Blumenberg’ nicht geschrieben“
Sibylle Lewitscharoff im Interview
Von Maximilian Humpert
Ihr aktuelles Buch „Blumenberg“ (siehe literaturkritik.de 11-2011) gilt als eine der erfolgreichsten und bedeutendsten Veröffentlichungen des vergangenen Herbstes. Der Roman über den 1996 verstorbenen Philosophen Hans Blumenberg wurde mit vier Literaturpreisen und einer Nominierung für den Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Im Interview erklärt Sibylle Lewitscharoff, warum der Löwe, den sie dem Philosophen vor die Füße legt, die heimliche Hauptfigur des Romans ist und warum sie mit E-Books nicht viel anfangen kann.
Frau Lewitscharoff, warum haben sie Hans Blumenberg zur zentralen Figur ihres Romans erkoren? Was fasziniert sie so an diesem Philosophen?
Zunächst einmal habe ich Blumenberg gewählt, weil ich seine Werke seit sehr langer Zeit lese. Das fing schon in meiner Abiturzeit an. Am Anfang verstand ich nur weniges, doch mit der Zeit wurde es mehr und mehr. Blumenberg ist fast der einzige Philosoph, der mich durch meine ganze Studienzeit wirklich fasziniert hat. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum ich den Roman schreiben wollte. Mir kam die Idee, diesem Philosophen einen Löwen an die Seite zu geben. Das war die Geburt der Romanidee. Ohne den Löwen hätte ich „Blumenberg“ nicht geschrieben. Der Löwe ist die heimliche Hauptfigur durch das Buch hindurch. Aber nicht weil er groß in Aktion wäre. Es geht eher darum: Was macht der Philosoph mit dem Löwen? Was macht ein skeptischer, moderner Philosoph, der sich zwar in der Geschichte der Bedeutung der Wunder und heiligen Legenden hervorragend auskennt, aber zugleich ein Agnostiker ist? Das hat mich als Phänomen interessiert.
Wie viel Biografie steckt in ihrem Roman?
Blumenberg hat sehr diskret gelebt. Er hat nie Interviews gegeben, Fernsehjournalisten waren hinter ihm her, aber er hat ihnen nie Zutritt gewährt. Trotzdem weiß man natürlich einiges. Ich bin so verfahren, dass ich mir im Bezug auf seine Verfolgung im „Dritten Reich“ keine Erfindung erlaubt habe. Er war auch wirklich Professor in Münster. Seine Familie wird kurz in einem Nebensatz erwähnt, aber sonst nicht weiter berührt. Auch von seiner Ägypten-Reise erzähle ich. Diese hat wirklich stattgefunden. Über weite Strecken ist der Inhalt des Buches aber reine Erfindung. Also eine Biografie ist es ganz sicher nicht.
Sie haben bei der Entstehung des Buches eng mit der Tochter von Blumenberg, Bettina Blumenberg, zusammengearbeitet. Wie lief diese Zusammenarbeit ab?
Bettina Blumenberg hat mir wirklich sehr geholfen. Deshalb bin ich ihr auch zum Dank verpflichtet. Ich habe ihr das Buch auch gewidmet. Sie hat mir zum Beispiel die schöne Geschichte von der Ägypten-Reise erzählt. Von dieser Reise wusste ich bis dahin gar nicht. Aber ich war sehr um Diskretion bemüht. Ich wollte von ihr nicht wissen, wie Blumenberg als Hausvater war oder wie er mit der Familie umgegangen ist. Das würde einen Biografen interessieren, mich aber nicht. Ich wollte Blumenberg hauptsächlich als Philosophen würdigen. Was den Umgang mit dem philosophischen Werk Blumenbergs angeht, habe ich großen Freiraum gestattet bekommen. Ich hatte natürlich Angst davor, dass Kenner der Materie mir vorwerfen würden, so ein Buch über Blumenberg geschrieben zu haben. Das ist bisher aber noch nicht passiert.
Hat man einen größeren Lesegenuss, wenn man Blumenbergs Werk kennt?
Also ich habe das Buch absichtlich so geschrieben, dass jemand, der sich gerne mit Literatur beschäftigt und eher ein avancierter Leser ist, dem Buch gut folgen kann. Aber man muss Blumenberg nicht zwingend kennen. Man versteht vielleicht ein paar mehr Anspielungen, aber ein Roman sollte letztendlich für ein größeres literarisches Publikum gut lesbar sein.
Warum haben sie einen Löwen in die Handlung mit eingebunden?
Ich kam auf die Idee, weil der Löwe das wichtigste Begleittier der großen Herrscher und Heiligen darstellt. Außerdem kommt er im neuen und im alten Testament vor. Der Löwe ist demnach schon wichtig. In der Religion war er zudem immer das stärkste Tier, das die Menschen kennen. Zugleich konnte der Löwe von den Menschen beherrscht werden. Es war ein Symbol dafür, dass der Mensch die Kontrolle über die Natur mit ihren Trieben und Gefahren behalten kann.
Wieso haben sie sich dazu entschieden, „Blumenberg“ nicht als E-Book zu veröffentlichen?
Ich bin skeptisch, ob es gut ist, solche Bücher so zu lesen. Das Lesen mit dem E-Book geschieht für mich auf eine sehr flüchtige Art. Mir ist die Vorstellung nicht angenehm, dass man komplexe Bücher beim Lesen einfach so runterwischt. Zudem geht auch das haptische Erlebnis, das man von einem normalen Buch gewohnt ist, verloren. Ich bin einfach ein Buchmensch und würde einen Roman eher nicht auf diese Art lesen wollen. Die Geräte haben sich aber technisch auch sehr verbessert. Der optische Eindruck ist durch die besseren Bildschirme deutlich lesefreundlicher geworden. Deshalb bin ich ein bisschen hin- und hergerissen, ob ich das Buch nun als E-Book anbieten sollte oder nicht. Was mich bei dem Thema aber wirklich auf die Palme bringt, sind die Raubkopien, mit denen der Buchmarkt auf einmal konfrontiert wird. Die Musikindustrie ist durch die Piraterie in die Knie gegangen. Ich weiß, was es bedeutet, einen großen Verlag mit guten Lektoren zu unterhalten. Diese Stellen könnten durch diese negative Entwicklung gestrichen werden. An einem Buch hängen nun mal viele Menschen, die damit ihr Geld verdienen müssen.