Prähistorische Reminiszenzen
Alexis Dworsky legt eine Kulturgeschichte der Dinosaurier vor
Von Sebastian Schreull
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIrgendwas muss wohl an ihnen sein. Denn trotz ihrer regen kulturindustriellen Verarbeitung sind Dinosaurier nach wie vor Projektionsflächen nicht nur kindlicher Regungen. Beste Voraussetzungen also für geisteswissenschaftliche Ausgrabungen auf diesem Feld.
Alexis Dworskys Band „Dinosaurier! Die Kulturgeschichte“ ist ein solcher Versuch. Und das Werk spielt mit den Erinnerungen an eine Kindheit, in denen diese Wesen ihre kulturgeschichtliche Blütezeit durchlebten: Über dem marodierenden Godzilla des Titelbildes prangt der Spruch „Das sensationellste Buch der Gegenwart“. Auch das Arrangement und die Auswahl der Abbildungen im Inneren lassen den altehrwürdigen Eklektizismus einer typischen wissenschaftspropädeutischen Kinderbuches wieder vor Augen erstehen – und die die Kapitel einleitenden Strichzeichnungen tun ihr Übriges. Als „wahrhaft fröhliche Wissenschaft“ wird die Untersuchung im Vorwort Bazon Brocks beschrieben. Und es spricht wenig dagegen, den Text selbst als ironisches Spiel mit dieser Wissenschaftlichkeit zu begreifen.
Im Bild des Dinosauriers seien Fakt und Fiktion verschmolzen, heißt es im Band. Nicht allein die Wissenschaft sei sein Präparator, sondern auch die jeweilige Gegenwart. Die Arbeit will demonstrieren, dass sich diese Historie des Dinosaurierbildes in Idealtypen fassen lässt: Ausgehend von der kriechend tumben Rieseneidechse des frühen 19. Jahrhunderts bis hin zum warmblütig agilen „Informationsvogel“ der Jetztzeit.
Eine solche Genealogie von Idealtypen ist für Dworsky nicht problematisch. Der Idealtyp selbst ist jedoch bereits eine merkwürdige Mixtur aus Fakt und Fiktion: Entweder ist er zu allgemein, weil er die ihm subsumierten Bilder, Figuren et cetera nur als Exemplare seiner selbst ansprechen kann. Oder er ist zu besonders, so dass die für ihn wesentlichen Bestimmungen nicht andere Bestimmungen ausschließen, die auch zur Markierung des unter ihn Gefassten gebraucht werden könnten.
Dworskys Antwort darauf müsste ein müdes Lächeln sein: Lass die und ihre Werke doch reden, „die vor allem wegen ihrer separaten Darstellung einer Vorgehensweise bedeutend sind, […]. Andere Werke entwickeln und verfolgen einfach eine Methode, ohne diese extra herauszustellen. Michel Foucaults ,Die Ordnung der Dinge‘ (1966) mit der darin praktizierten Diskursanalyse wäre ein solcher Fall. Ich folge diesem zweiten Weg“.
Und dies hat eine Folgerichtigkeit: Dworsky kritisiert den Idealtyp der Naturwissenschaft, der behauptet, sie allein sei wirklich wertfrei, da strikt empirisch, und wisse sich frei von gesellschaftlichen Einflüssen. Er fordert so in einer erfrischenden Forschheit eine Reflexion der Gesellschaftlichkeit von Wissenschaft ein, die längst überfällig ist (im Anglo-Amerikanischen wurde dies bereits 1998 von W. J. T. Mitchells „The Last Dinosaur Book: The Life and Times of a Cultural Icon“ geleistet. Dworskys Untersuchung unternimmt daran manchen Gedankengang).
Ob das es allerdings rechtfertigt, eine so fröhliche Wissenschaft zu betreiben, dass die Angemessenheit der Deutungen gar nicht mehr im Verfahren selbst reflektiert werden muss, markiert ein anderes Problem. Dem begegnet Dworsky erst gar nicht, sondern streicht die Beliebigkeit seiner Vorgehensweise heraus: „Anstatt den Beweis für die eine, einzig wahre Begründung zu liefern, biete ich häufig mehrere mögliche Erklärungs- und Deutungsweisen an.“ In dieser Unbekümmertheit wird aber das wirkliche Problem umgangen: Mögliche Deutungen müssten trotzdem von unmöglichen Deutungen unterschieden werden.
Und die von Dworsky entworfene Genealogie besticht auch nicht dadurch, dass sie Heuristik in Permanenz ist, sondern gewinnt ihre Plausibilität aus anderen Quellen: Sie nimmt in sich all die Topoi des paläontologisierenden Kinderbuches auf, die auch schon das Kulturgeschichtliche ihres Gegenstandes ansprachen; etwa wie sie die Fantasien über Drachen, Märchen und Mythen vielleicht anregten oder wie wir sie uns früher vorgestellt haben. An diese Erzählungen knüpft Dworsky an. Wer nie in die Belange und historischen Umständen der Paläontologie und vermittelter Bereiche verwickelt war, für den hat hier manches Detail sicherlich etwas Überraschendes. Den Leser, der schon immer ein kleiner Hobbypaläontologe war, dämmert wieder etwas von den „Fossilienkriegen“ des Wilden Westens oder der Lieblichkeit der Stop-Motion-Animationen jener Urzeitreptilien.
Und an letzteren finden sich auch die interessantere Deutungen von Dworsky, die etwa ein Verhältnis von den technischen Möglichkeiten filmischer Darstellung von Dinosauriern und der Hegemonie gewisser Modelle in der Paläontologie eröffnen. Die Geschwindigkeit der Dinosaurier in „Jurassic Park“ war auch den technischen Beschränktheiten der Entstehungszeit geschuldet. Ein langsamer, in vollem Sonnenlicht stehender Dinosaurier erforderte eine Rechenleistung, die damals noch nicht gegeben war. Nur diese Geschwindigkeit verhalf auch einer paläontologischen Theorie in der Öffentlichkeit zu einem Durchbruch, die die Dinosaurier als warmblütige, agile und soziale Lebewesen kennzeichnete.
Aber zu diesen schlüssigen Passagen gesellen sich auch Interpretationen, die die Lektüre schwierig gestalten und doch auch exemplarisch zu nennen sind. Und nicht zuletzt resultieren sie daraus, dass das Auffinden eines Idealtyps stets ein willkürliches oder schematisierendes Vorgehen ist. Anhand des Zeichentrickfilmes „In einem Land vor unserer Zeit“ und eines Zitats über die zeitgenössische Farbigkeit einer Dinosaurierdarstellung, die als „in allen Farben des Regenbogens“ schimmernd beschrieben wird, gelangt der Autor zur Globalisierungskritik: „Ich möchte zu diesem Bild daher das der regenbogenfarbenen sogenannten Pace-Fahne gesellen […]. Die Pace-Fahne sollte zeigen, dass die Welt nicht von einem grauen Empire beherrscht werden dürfe, sondern von einer bunten Multitude. Die Farben des Regenbogens repräsentieren die sich friedlich zusammenfügenden Identitäten und Differenzen. Eben diese hier positiv besetzte Vorstellung von ‚Multikulti‘ ist dann auch typisch für das Bild von der Urwelt mitsamt all den verschiedenartigen und verschiedenfarbigen Dinosauriern.“
Es ist diese Flottheit Dworskys, die die Lektüre so amüsant macht. Die jeweilige, sich im Dinosaurierbild spiegelnde Gegenwart verbleibt selbst in einer idealtypischen, gar feuilletonistischen Bildlichkeit. Die Farbigkeit einer Herde von Zeichentrickurgetümen steht dann nicht nur für „Multikulti“; diese politische Parole findet sich hier auch mit einem post-operaistischen Konzept, der Multitude, in eins gesetzt – in zwei Sätzen.
Und während man noch über seine Assoziation rätselt, fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Wer eine Kulturgeschichte der Dinosaurier schreibt, darf nie den Gestus des Jünglings verlieren, der sich an der Urwelt erfreut, an den Bildern und einem Forscherdrang, der sein Ideal im Abbilden gefunden hat. Dies darzustellen, dies auch noch der Form des Bilderbuchs anzuverwandeln, dies gelingt Dworsky wirklich vortrefflich.
Merkwürdig ist es aber schon, wenn Dworsky gegen Ende das „postmoderne“ Dinosaurierbild mit Baudrillard näher umreißt: „Die artifiziellen Dinosaurier haben die echten verdrängt. Nicht mehr die einstigen Originale beherrschen die Welt, sondern Simulationen. Letztere sind mit der Vernichtung ihrer Referenz selbst zur Wirklichkeit geworden und haben diese ersetzt.“
Dies schreibt er zu in einer Zeit, da die Funde gefiederter Fossilien den Velociraptoren in „Jurassic Park 3“ Federn auf die Köpfe brachten: In den Vorgängerfilmen waren sie noch vollständig beschuppt. Wie kann denn in aller Referenzlosigkeit das Dinosaurierbild dann noch eine Mischung aus Fakt und Fiktion sein? Der Mythos von den einstmaligen Ungeheuern befeuert doch noch immer die Aufmerksamkeit für Funde aus der Wüste Gobi oder den Weiten Patagoniens: Gerade solche Mischungsverhältnisse fordern feinere Rekonstruktionen. Dergestalt, dass sie auch gerade die Vermitteltheit von kultureller Fabrikation und paläontologischer Interpretation herausarbeiten, um zu zeigen, dass sich auch unterschiedliche Bilder der Dinosaurier um eine Hegemonie streiten, ineinander übergehen oder sich gar gegenseitig widerlegen.
Dass damit kein Verrat an der Bilderbuchform geübt werden müsste, dies versicherte uns schon Gottfried Keller: „Laßt fahren Mythos, Nibelungen, Bibel! / die alten Träume sind genug gedeutet, / der alte Drache ist genug gehäutet, / ausgewachsen längst die alte Zwiebel! […] / Malt nun der Freiheit eine Bilderfibel!“ Bis dahin ist Dworsky die amüsantere, endlich einen Überblick spendende Lektüre: zu allgemein für eine kritische Durchdringung, zu besonders in mancher Deutung und Frische.
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