Ein handlicher, hervorragender Konferenzband
Joachim Knapes und Olaf Kramers unverzichtbarer Band „Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard“
Von Clemens Götze
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseNaturgemäß war sein Lieblingswort, die Kunst der Invektive sein bevorzugtes Stilmittel. Thomas Bernhard hat in einem umfangreichen Werk in gut 30 Jahren die österreichische und deutsche Literaturlandschaft sprachlich wie kein Zweiter geprägt. Die im Frühjahr 2010 an der Universität Tübingen veranstaltete Tagung zu „Rhetorik und Sprachkunst bei Thomas Bernhard“ hat die unterschiedlichen Sichtweisen seiner Sprache aufbereitet und nun in einem übersichtlichen und zugleich gehaltvollen Band vorgelegt.
Die für Thomas Bernhards Werk so stilprägende Form der Rhetorik expliziert der Herausgeber Joachim Knape am Beispiel des Textes „Exempel“ aus dem Prosaband „Der Stimmenimitator“ und verdeutlicht das mimetische Verfahren des Autors, das schon Wendelin Schmidt-Dengler als die Unbelangbarkeit Bernhards durch die Literaturwissenschaft beschrieben hat. Ihm gelingt damit eine fundierte Verortung Bernhards als „Künstler in der Kommunikatorrolle“, der diese spielt, sie aber zugleich partiell negiert und das Werk in den Vordergrund rückt. Der von Knape eingeführte Begriff des „Poetischen Faktizitäts-Paradox“ lässt sich überdies auch auf die autobiografischen Schriften Bernhards anwenden. Mit denen beschäftigt sich der zweite Herausgeber des Bandes, Olaf Kramer. In seinem Beitrag begreift Kramer den Autor Bernhard als ein Gesamtkunstwerk, das sich nicht nur durch das literarische Œuvre, sondern zugleich eine gezielte Lancierung seiner Person durch öffentliche Auftritte und Inszenierungen erzeugte. Dieses Konstruktionsschema überträgt er auf die autobiografische Pentalogie und erkennt darin „die Perfektionierung der rhetorischen Strategien Thomas Bernhards“. Bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch die Erkenntnis, dass Bernhard den vermutlich wichtigsten Kunstgriff bei der Vermischung von Realität und Fiktion den Rezipienten seiner Werke zu verdanken habe, indem diese oftmals schon von vornherein eine bestimmte Erwartungshaltung auf den literarischen Text implizierten. Dies ist natürlich ein nicht zu unterschätzendes Kalkülmoment, dem sich der „Nestbeschmutzer“ Bernhard wiederholt und ganz ohne sein direktes Zutun sicher sein konnte. Dass Kramer überdies in der Autobiografie Bernhards eine Anleitung rhetorischer Strategien für den Umgang des Autors mit seinem Werk sieht, scheint ein neuer, dem Text gerecht werdender Impuls zu sein, den die Forschung hoffentlich aufgreifen wird.
Auch Eva Marquardts Beitrag zum Erfinden und Erinnern in Thomas Bernhards Autobiografie versucht die Grenzmarke zwischen Fiktion und Realität neu zu ziehen, indem sie das Verständnis des Autobiografiebegriffes von Bernhard herausarbeitet und auf die Wirklichkeitskonstitution verweist, die der Autor durch seine Häuser vorgenommen hat. Deren Bedeutung auch für das literarische Werk und sein Vermächtnis als Autor hatte schon sein Biograf Hans Höller wenige Jahre nach Bernhards Tod beschrieben. Insofern schafft der Band fruchtbare Synergien. Hans Höller, der sich in diesem Jahr aus dem Universitätsbetrieb in den Ruhestand verabschiedet, bleibt der Bernhardforschung aber – so steht zu hoffen – noch lange erhalten. Sein wegweisender Aufsatz in diesem Tagungsband besinnt sich auf die Sprachkunst in Bernhards Werk und stellt frappante Querweise und Berührungspunkte von Ludwig Wittgenstein und Martin Heidegger her, die das System von Geschichtenzerstörung und Künstlichkeit beschreibbar machen.
Ein weiteres Novum ist der Aufsatz von Anne Ulrich, in dem sich die Autorin ausgehend von Bernhards posthum erschienenem Prosaband „Meine Preise“ mit der Rhetorik in seinen Preisreden auseinandersetzt. Als einer der ersten Beiträge zur rhetorischen Analyse der bernhardschen Reden verdeutlicht die Autorin ihre Erkenntnisse auch anhand des Briefwechsels von Bernhard und seinem Verleger Siegfried Unseld, der seit kurzem als wichtige Folie für die Bernhardforschung dient. Sie zeichnet darin chronologisch den Weg von Bernhards Provokationen durch die öffentlichen Reden anlässlich der ihm verliehenen Preise als strategische Kommunikationsform seiner Etablierung im literarischen Feld und schlägt damit just denselben argumentativen Weg ein, den etwa Michael Billenkamp in seinen Arbeiten zum Werk des Österreichers überzeugend beschritten hat. Der eine oder andere Hinweis auf das literarische Werk hätte diesem Beitrag vielleicht noch mehr Tiefe verliehen und somit noch deutlicher den Gesamtkosmos von rhetorischer Perspektive und öffentlicher Wirksamkeit herausgestellt. Hinsichtlich der Betrachtung zu dem bislang kaum untersuchen Gegenstand der Reden Bernhards muss man in diesem Text gewiss dennoch eine erste gelungene Bestandsaufnahme sehen, an der die Forschung in diesem Bereich nicht vorbeikommt.
Die linguistische Perspektive diskutiert die auf diesem Gebiet herausragende Anne Betten und macht dabei deutlich, dass Bernhard zur Erzielung mimetischer Effekte gänzlich auf die Einhaltung grammatischer Regeln verzichtet. Ihre Analyse zeigt die Abbildung einer Ausweglosigkeit von Bernhards Protagonisten in der sprachlichen Struktur auf eindrucksvolle Weise, wobei sie dafür plädiert, die rhetorischen Strukturen von Texten nicht bloß als Oberflächenphänomen zu betrachten, sondern die genaue Lektüre der Textstrukturen und Worte Thomas Bernhards anzustreben. Jüngere Forschungsbeiträge tragen diesem von Wendelin Schmidt-Dengler zuerst angeregten Analysebereich inzwischen glücklicherweise immer mehr Rechnung.
Spannend ist gleichsam der Beitrag von Bernhard Sorg, der als Verfasser der ersten Bernhard-Monografie für ein breiteres Publikum auch abseits des Wissenschaftsbetriebes schon früh dessen Popularität zu einem Faktor der Rezeption gemacht hat. In diesem Band beschreibt Sorg eingehend die Problematik der Unterwerfung in Bernhards Werk, die aus dem rhetorischen Prozess des Gegen alles-Seins abgeleitet werden kann. Sorg begreift Rhetorik bei Bernhard als „Medium einer desperaten Inhaltslosigkeit“, die eine Auseinandersetzung mit realen Sachverhalten unmöglich macht. Stattdessen kommt es in seinen Texten zu einer „substanzlosen Sprache der Behauptung“. Die figuralen Selbstgespräche dienen Bernhard zur Unterwerfung und Konstitution einer Überlegenheit, die das Privileg beinhaltet, die Welt (sich selbst eingeschlossen) zugrunde zu reden.
Wer sich hingegen künftig mit Machtkonstellationen im Werk Bernhards auseinandersetzen möchte, findet in dem Aufsatz von Stefan Krammer einen weiteren wichtigen Beitrag, der die Zusammenhänge von Machtstrukturen und rhetorischem Potenzial untersucht. Diese Auseinandersetzung mit dem Thema ist zwar nur auf das dramatische Werk des Autors gerichtet, aber dennoch äußerst aufschlussreich. Krammers konzise Aufbereitung der Sprechkonstellationen in „Der Theatermacher“ verdeutlicht die Oszillation zwischen den Extremen, was bei Thomas Bernhard in allen Bereichen seiner Literatur funktioniert. Dass insbesondere das Dramenwerk im Fokus dieser Untersuchungen steht, ist auch aus dem Grund zu begrüßen, da dieses sonst nach wie vor weniger Forschungsreflexion als die Prosa erfährt.
Ein wenig prosaisch erscheint dagegen der Schlusstext des überdies zu Bernhard promovierten Schriftstellers Andreas Maier, der geraume Zeit mit Bernhard verglichen wurde und sich somit gewissermaßen in dessen Ruhm sonnen konnte. Nun aber entblößt er die eigentliche Sprachkunst dieses Dichters als strategische und somit höchst fragwürdige Schreibe, sieht in Bernhards Kunst ein unausgereiftes „Hybridstadium“, das einem nach der Lektüre das Gefühl eines Katers am Morgen nach durchzechter Nacht gebe. Diese sehr persönliche Abrechnung mit Thomas Bernhard passt so gar nicht in das sonst sehr homogene Konzept dieses Konferenzbandes, der sonst erstklassige Forschungsberichte liefert. Man fragt sich, was Maier uns mit diesem Text sagen wollte. Dass es eine Zeit gab, als er Thomas Bernhard gemocht habe. Wozu ist es notwendig, das zu erfahren? Er wolle Bernhard keinen Vorwurf machen und tut es dennoch. Soll dieser Text gar ein satirisches Exempel für bernhardeskes Schreiben darstellen? Seine Diagnose des name dropping im Werk des Österreichers ist mit Sicherheit kein Novum und entspricht schon länger dem aktuellen Forschungsstand. Darin eine Provokation erblicken zu wollen, und es deshalb an dieser Stelle als Argument gegen Bernhard einzuführen, ist schier lächerlich. Was Maiers Motiv ist, bleibt dem Leser verborgen. Und das nagt dann doch ein wenig an dem sonst so substanzreichen Band. Der Leser wird ein wenig ratlos entlassen und gewinnt das Gefühl, irgendetwas verpasst und überlesen zu haben. Vielleicht ist das aber gerade die Absicht der Herausgeber, ganz in der Tradition ihres Forschungsgegenstandes Thomas Bernhard, der für seine Textschlüsse berühmt ist. Man könnte hier den Schlusssatz aus Bernhards letztverfasstem Roman „Alte Meister“ anführen und auf Maiers Text anwenden: „Die Vorstellung war entsetzlich.“
Zu guter Letzt bleibt festzuhalten: Selten gab es einen so verdichteten Tagungsband, der trotzdem eine gewisse Bandbreite an Bernhards Werk abzubilden imstande ist. Was diesem Band jedoch unzweifelhaft fehlt, ist die Stimme aus dem Bernhard-Archiv, ohne die freilich kein solches Projekt auskommen sollte. Ferner wäre auch die Integration neuer Stimmen aus der Wissenschaft nicht abträglich gewesen, etwa dergestalt wie es die Thomas Bernhard-Jahrbücher seit ihrer Gründung vor zehn Jahren praktizieren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass hier ein thematisch längst überfälliger Band entstanden ist, der das sprachliche Geflecht und die rhetorische Performanz in Bernhards Texten eingehend untersucht und facettenreich beschreibt. Für eine weitere Beschäftigung mit Thomas Bernhards Werk ist diese Sammlung von Tagungsbeiträgen eine unerlässliche Bestandsaufnahme, die hoffentlich in der Forschung eine starke Verbreitung finden wird.
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