„Word-Splatter-Moves“ und entautomatisierte Wahrnehmung

„Stadt unter“, so heißt der neue, postmoderne Roman von Autor und Kulturjournalist Carsten Klook, der Kriminalroman, Meta-Text und Spielwiese in einem zu sein scheint

Von Stella HoffmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stella Hoffmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Künstlerhaus, Klischees, Konstruktionen – Katastrophe?! Oder heißt es doch gleich wieder: Kommando zurück? Carsten Klooks neuester Roman „Stadt unter“ entstand zum Teil während seines Stipendiums im Künstlerhaus Lauenburg/Elbe. Der geneigte Leser sollte sich jedoch nicht gleich von dem ersten Absatz, der wie folgt beginnt: „Grünbraun-graphitgrauer Strom, blau meliert tanzende Flächen, die Kuppen der wellgepappten, weggewellten… wollt ihr ewig wellen, willig wippen… ihr umkräuselnden, umhergekräuselt-daher-gekrault-kommenden, lendenumspülenden Wogen“, abschrecken lassen, sondern etwas Durchhaltevermögen beweisen. Es lohnt sich, die Geschichte des erfolglosen Drehbuchautors Marc, der sich gerade an einer Folge für den neuen „Kommissar Hock“ die Zähne ausbeißt, sowie von dem „Chintzwesen“ Jill, die er in einem Lauenburger Café kennen lernt, bis zum Ende zu verfolgen.

Doch worum geht es dem Autor Carsten Klook überhaupt? Frei nach dem Motto „Nicht überall, wo Liebesgeschichte draufsteht, ist auch wirklich nur Liebesgeschichte drin“ hält er eine ganze Palette von Roman-Genres bereit. Immer wieder nimmt er seine Leser bei der Hand und führt sie behutsam und mit direkten Verweisen unterstützend auf die richtige Spur. Auf den ersten Blick scheint es, als versuche Marc, ein Krimi-Drehbuch zu schreiben. Klook überführt ihn jedoch bei der „Dekonstruktion seines Möchtegernkrimis“. Zuweilen scheinen sich die Stimmen von Autor Carsten Klook und Drehbuchautor Marc sogar zu überlagern. Während Marc Kritik an den „sterbenslangweiligen Fernsehkrimis“ übt, wirkt dies wie ein Unterton zu Klooks Kritik an der aktuellen Medienwelt, die ihren Bildungsauftrag bedenkenlos den verspielten Teletubbies überträgt.

In seinem postmodernen Roman scheinen dem Autor keine Grenzen gesetzt zu sein. Immer wieder verstrickt er sich in neue Wortspiele und Assoziationsketten wie „Till Lauenspiegel“. Oder aber er lässt Marc sich fragen, in welche Richtung er seine Protagonisten wohl „schicken würde. Chicken-Würde McNuggets, dachte Marc im Traum und bekam Hunger“. Klook spielt mit dem Leser, der in den konstruierten und anschließend dekonstruierten Krimi-Klischees seine eigene Erwartungshaltung entdeckt und sich dabei auf die eigenen Füße getreten fühlt. Wer weiß schließlich nicht, dass immer derjenige der Täter ist, den „man am wenigsten dafür hielt“ und dass zu jedem guten Krimi eine rasante Verfolgungsjagd gehört? Rücksichtslos bricht Klook mit den Konventionen, wenn er zwischen „die buntesten und schillerndsten Keramiktiere, […] Teller und Tassen“ völlig unerwartete „Brokatkissenschlacht-Fetzen“ und „Skalps“ setzt. Er bricht jedoch nicht nur mit gängigen Sprachbildern, sondern auch mit Phrasen, und so malte sich Jill ein Bild nicht vor dem inneren Auge, sondern „vor dem inneren Ohr aus“.

Seinen Protagonist Marc lässt er immer mehr in seine eigene Traumwelt abgleiten, sodass im Endeffekt weder er selbst, noch der Leser so ganz genau weiß, was nun der fiktionalen Realität entspricht oder gänzlich dem Reich der Fantasie angehört. Zeitweilig scheinen Marcs Figuren wie Frankensteins Monster zum Leben zu erwachen und versuchen ihrem Erfinder zu schaden, indem sie sein Skript löschen. Durch einen kurzzeitigen Perspektivenwechsel, in dem Klook von einer Ich-Erzählung zu einer neutralen Erzählsituation springt, wird Marc vom Subjekt zum Objekt seiner Erzählung. In einer anderen Szene beschreibt Marc den Verlauf einer typischen Tatort-Szene, und somit werden sowohl er als auch der Leser zu einem außenstehenden Betrachter.

Doch was bezweckt Carsten Klook mit seinem neuen Roman? Möchte er die Geduld und das Wohlwollen seiner Leser testen? Immer wieder reißt er sie durch verwirrende Sätze aus ihrem Lesefluss und scheint diesen durch seine Kommentare und direkten Hinweise zu leiten oder gar zu manipulieren. Selbst vor dem Layout macht der Autor keinen Halt und tobt sich in ihm aus wie auf einer Spielwiese.

Er setzt verwirrende Fußnoten, die an die Labyrinth-Struktur des Romans „House of leaves“ von Mark Z. Danielewski erinnern, und die Kapitelüberschriften rutschen gegen Ende des Textes von der Kopf- in die Fußzeile. Auch diese Modifizierung des Layouts dient dem Bruch mit den Erwartungen des Lesers. Jorge Bucay sagte einmal: „Kindern erzählt man Märchen zum Einschlafen – Erwachsenen, damit sie aufwachen!“ Der Leser wird durch diese Neuerung im Aufbau wachgerüttelt. Am Ende wird er jedoch feststellen, dass Klook bis zum Ende seiner (Meta-)Erzählung seinem Prinzip treu geblieben ist. Doch was bewirken seine und Marcs so genannten Word-Splatter-Moves? Wozu dienen sie?

Viktor Šklovskij bezeichnete Kunst als ein Verfahren zur Entautomatisierung der Wahrnehmung. Ob Carsten Klook mit seinem Roman diesen Zweck verfolgte, können wir nicht wissen. Dennoch kann der immer wieder aufschreckende und aufgeschreckte Leser konstatieren, dass Klook dies auf jeden Fall gelungen ist, wenn es ihm denn um diese besondere Form der Aufmerksamkeit gegangen sein sollte. Kurz: Carsten Klooks Roman „Stadt unter“ ist ein amüsanter Genuss für Freunde des raffinierten Wortspiels in jeglicher Façon sowie der experimentellen Prosa.

Titelbild

Carsten Klook: Stadt unter.
Textem Verlag, Hamburg 2011.
177 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783941613645

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