Der Partikelspieler

Zum neuen Gedichtband von Oskar Pastior

Von Ron WinklerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ron Winkler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man frage nicht zu tief. Oder man frage tiefer. Denn das, was Oskar Pastior in seinen Gedichten verfolgt, ist mit Alltagsrationalität nicht leicht zu begreifen. Seine Lyrik ist für Querleser, Schrägdenker, für konfliktbereite Phantasten, die aus den leisesten Zündfunken noch Bilder zu zaubern verstehen. Pastior ist ein Demiurg der Sprache aus Passion. Er versetzt die Poesie in oberflächenchaotische Zustände. Nicht eben viel schnippt der Autor in den Text, aber das Wenige ist voll grotesker Kontur. Ein Beispiel: "der eber schlägt im stundentakt / abstrakt vor schaumiger genese / des pudels der den löffel stahl".

Das Fragment stammt aus Oskar Pastiors neuestem Gedichtband. Pastior, der in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen seine lyrische Form als "diskontinuierliches Rumpsteak" bezeichnet hat, eröffnet mit "Villanella & Pantum" eine weitere Schnitzeljagd. Jünger und vor allem Dienstleser werden sich die Gültigkeit ihrer Analysen mühsam selbst zusammenstricken müssen.

Als Handreichung gegen die Mehrfachverschiebungen, den "permutativen Wucher" der Sprache, die "ohrenfällige Verwahrlosung" mancher Sequenzen ist dem Band ein Nachwort Pastiors beigegeben. Villanella und Pantum sind Randerscheinungen der Lyrik. Das italienische Hirtenliedchen zum einen, die in ihren Ursprüngen zunächst malaiische Gedichtform zum anderen haben eines gemeinsam: sie schütteln verschiedene Zeilen durch den gesamten Textkorpus. Im Ergebnis ist das, und hier ist dem Autor beizupflichten, "sehr starr mobil und offen sarkophag".

Pastiors Lyrik bietet Testreihen ins Vielsinnige. Das einzelne Gedicht wird zum Stellwerk kontrollierter Enthemmung - und sieht sich strukturell im nächsten wieder. Aus dieser Methode blickt der aufgegebene Autor. Die Literatur, einmal mit Wortmaterial ausgestattet, jongliert mit sich selbst.

Ein wenig gleicht die Anordnung dem Enzensbergerschen Poesieautomaten. Der Dichter hat durch einen mechanischen Filter Lyrik zu versuchen. Pastior ist darin geübt. Durch Silbenprellen und Silbenschmettern, manchmal auch scheinbar schlichtes Wortzeigen weichen übliche Formen des Sprechens auf. Er lockt die unterschiedlichsten Begriffssphären aufeinander. Wort und Bedeutung verlieren ihre Lexikonhaftung, reiben ihre Buchstabenschläuche aneinander, verlieren ihren Ein-Sinn. Pastior, der Perfektionist der äußeren Form, pflegt im Kern die semantische Anarchie. "Kaleidoskopial" flirren die Gedichte in ihren Versen, "wenn sie statt zu weichen greifen / weil sie statt zu grachten beulen / wenn sie statt zu passen juchten / weil sie statt zu kreuzen bunkern".

Da wird munter dekliniert und durchgekaut, immer charmant und oft ironisch: "ich griff beim gang durchs inventar / auch in den schrank mit dem herzgemüse / um zu vertilgen ihn mit haut und haar". Doch im fröhlichen Kollabieren der Zeichen und Syntagmen baut sich nicht eigentlich längere Spannung auf. Das Gedicht - "auf der Kippe zur konkreten Poesie", wie Pastior sagt - erscheint als Partikelstrom mit eher selten explosiven Zusammenstößen.

Von einem nichtavantgardistischen Standpunkt aus erscheint es wenig gewinnbringend, dass in den Verschiebungen das Aufkeimende durch das Rückläufige sofort wieder verzogen wird. Jede Andeutung hat ihren Abbruch. Pastiors Tour de Force im Sprachmöglichen muss sich den Vorwurf eines Innenritts gefallen lassen. Dennoch mag man sich ruhig in die Distorsionen begeben. Weil hier jedes Lesen eine andere Essenz aggregiert. Weil es trotz eines sperrigen Rahmens ganz wunderbare Sprachbewegungen gibt.

Titelbild

Oskar Pastior: Villanella & Pantum.
Carl Hanser Verlag, München 2000.
120 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3446199276

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