Raffiniertes Spiel mit dürftiger Handlung

Sandra Hoffmanns Roman „Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist“ enttäuscht

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Janek Bilinski ist alt und schwach, er liegt in einem Hospiz-Bett, verliert die Kontrolle über seine Blase, er muss gewaschen werden. Bilinski hat Schmerzen und Angst vor dem Tod. Mit dem neuen Roman von Sandra Hoffmann „Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist“ nähert sich der Leser dem Schicksal eines Mannes, der weiß, dass er sterben wird.

Bilinski erzählt der Krankenschwester Marita Trautwein, die eigentlich Medizin studiert und nachts neben seinem Bett wacht, aus seinem Leben. Er erzählt davon, wie seine Eltern und seine Schwester von deutschen Soldaten ermordet wurden und wie sie seinem Hund Izy das Rückgrat brachen. Er erzählt von seiner Verschleppung auf einen Bauernhof, wo er dann jahrelang als Zwangsarbeiter bleiben musste, bis ihn sein Onkel Stani fand und rettete. Er erzählt von seiner großen Liebe Paula und der unehelichen Tochter Hannah, die gar nicht weiß, dass es ihn gibt, obwohl sie seine Augen hat. Und dann umfängt Janek der Gedanke, dass sein Leben beendet sein könnte, wenn alles erzählt ist. Deswegen erzählt er immer weiter, auch wenn die Schwester sein Zimmer verlässt, nur „für sich, oder für seine Erinnerung“.

Unklar bleibt, was in der Erinnerung der Wahrheit entspricht – „wie es damals wirklich war, weiß er nicht mehr“. Bilinski versucht, sich zu konzentrieren und genau zu erkennen, was er erlebt hat. Erinnerungen tauchen auf, doch die Suche nach der Wirklichkeit hinter den Traumbildern ist quälend. Bereitwillig gibt er sich Träumen hin; er erfreut sich an ihnen, „weil sie wie ein weiteres Leben sind“. Und doch weiß er, dass er sterben wird und der Tod ihn um die Erinnerungen und Bilder bringen wird. „Aber wie geht das Nichts? Im Schlaf gibt es immerhin den Traum.“ So starrt er an die Zimmerdecke und lauscht seinem eigenen Atem, um sich zu vergewissern, dass er noch lebt. Er fragt sich, ob er den Tod überhaupt bemerken wird.

Seine Erinnerungen und die Gegenwart verschwimmen. Janek sieht nur manchmal, ob die Krankenschwester ihm noch zuhört. Ob er wach ist und spricht oder die Grenze zum Schlaf überschritten ist, wird immer unklarer, auch für den Leser. Bilder entstehen in den Bildern. Die Erzählperspektive droht zu wechseln, von der externen Fokalisierung driftet der Roman beinahe bis zum Inneren Monolog. Doch auch diese intelligente Komposition, das Verschwimmen der Erzählebenen auf dem Weg zu Janek Bilinskis Tod und gleichzeitig die angenehm leichte und klare Sprache Sandra Hoffmanns entschädigen nicht für die allzu dürftige Handlung des schmalen Romans. Das Mise en abyme mag ein raffiniertes Spiel Hoffmanns mit dem Leser sein, aber der Lesegenuss wird von etlichen Wiederholungen geschmälert.

Anstrengend ist jedoch die ständige Beobachtung der Krankenschwester und ihrer Haare. Geradezu fetischistisch starrt Bilinski auf die wippenden Haare, das Haargummi und das Mädchenlächeln Maritas. Er „sieht ihr zu, wie sie das Haar öffnet, wie sie mit der linken Hand durch die dicken glatten Strähnen fährt“. Anstrengend ist auch die penetrante Wiederholung der Gedanken Janeks an das, was in seinem Kopf passiert und sich fragt, ob er nur einen Film sieht oder er tatsächlich „die ganzen Schichten von Erfahrung und Erlebnis und Empfinden“ durchlebt hat. Es ist, als traue die Autorin dem Leser nicht zu, zu verstehen. Also wird noch einmal festgehalten, dass Glück und Unglück, Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte Janek am Leben halten. Als müsse es immer wieder gesagt werden, damit das raffinierte Spiel auch erkannt wird. Der Roman enttäuscht.

Es scheint, als habe Hoffmann versucht zu komponieren und dabei ein strenges, doch leider uninteressantes Gerüst erstellt: Man nehme die anrührende Geschichte eines sterbenden Alten, der dem Tode entgegensieht und nun aus seinem Leben erzählt. Fügt man eine gehörige Portion Nazi-Soldaten, Verschleppung und Zwangsarbeit hinzu, an die sich der Alte schaudernd erinnert, erhält die Geschichte Dramatik. Für das Herz dürfen auch eine verbotene Liebe und eine uneheliche Tochter nicht fehlen, die dann nach Jahrzehnten vom Sterbebett aus noch einmal kontaktiert wird. Das Ergebnis ist eine fahle Herzschmerz-Suppe mit in der Ferne wahrnehmbarem, seichtem Geruch nach Rosamunde Pilcher. Was Janek fehlen wird, wenn er tot ist, wird im Roman ganz genau festgehalten. Als müsse man den Leser darauf stoßen, damit es niemand vergisst. Zuvorderst wird er „die schöne Stimme der kleinen Schwester, ihre wutfunkelnden Augen“ und natürlich den „wippende[n] Pferdeschwanz“ vermissen. Wer jetzt noch seufzt, dem kann das Buch anempfohlen werden.

Titelbild

Sandra Hoffmann: Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
173 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446240285

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