Die verlorene Stadt

Daniel Alarcón porträtiert in dem Erzählungsband „Stadt der Clowns“ seinen Geburtsort Lima

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn man an peruanische Literatur denkt, führt in erster Assoziation kein Weg an Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, an der in Lima geborenen Isabel Allende oder auch an Alonso Cueto vorbei. In jüngster Zeit ist dabei ein weiterer beachtenswerter Autor an ihre Seite getreten: der 1977 in Lima geborene Daniel Alarcón, der für seinen Debütroman „Lost City Radio“ 2009 mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet wurde. Mit „Stadt der Clowns“ ist nun ein Erzählungsband des in den USA aufgewachsenen Autors ins Deutsche übertragen worden, in dem er seinen Geburtsort Lima beleuchtet.

Eine Stadt, in der sich die Bettler als Clowns verkleiden, in der tote Hunde als Drohgebärde der Aufständischen die Straßenlaternen zieren und in der Plünderungen an der Tagesordnung sind, in der die sogenannten Piranha-Gangs durch die Straßen ziehen und an der Ampel wartende Autos im Beisein ihrer Besitzer plündern. „Die Plaza kochte über von den Ärmsten und ihren Feinden. Ein Mann in schmutziger Kleidung schlief mit dem Gesicht nach unten auf einem kümmerlichen Grasflecken unter einem Baum, während ein in Orange gekleideter Stadtwerker mit einem großen Palmwedel um ihn herumfegte. An der Ecke drängelten sich einige rotäugige Kinder gierig um eine Tüte Klebstoff. Eine Frau schob einen Karren mit Bananen die Straße rauf und runter, mit ihrer offenen Hand gab sie zu verstehen, dass es fünf für fünfzig Céntimos gebe.“ All das ist das Lima Daniel Alarcóns, „Lima in seiner ganzen Pracht“.

Armut und Gewalt beherrschen Alarcóns Erzählungen, seine Figuren leben in einem permanenten Ausnahmezustand, ihre Zeit ist „nicht die Zeit, in bürgerlichen Phantasien zu schwelgen“. Der Kampf um das tägliche Überleben ist ihnen allen gemein, ob aufgrund drückender Armut oder privater Katastrophen. „In dieser Stadt ist nichts sinnloser, als sich ein Leben vorzustellen. Morgen ist so ungewiss wie nächstes Jahr, und es gibt nichts, woran man sich festhalten könnte.“ So begleitet der zehnjährige Maico einen blinden Bettler auf seiner täglichen Tour und führt ihn an den haltenden Autos an einer Straßenkreuzung entlang – um dafür letztlich mit einigen wenigen Münzen entlohnt zu werden. Überhaupt ist die Blindheit ein zentrales Element in Alarcóns Erzählungen; immer wieder begegnet man Figuren, die mit Blindheit geschlagen sind – real und physisch, aber auch im metaphorischen Sinne.

Neben der Stadt sind es dabei zwei weitere Motive, die sich durch alle Erzählungen als verbindendes Moment ziehen: Politik und Familie. Wenn in der Erzählung „Peru, Lima, den 28. Juli 1979“ ein junger Mann sein Kunststudium abbricht, um sich der örtlichen Guerillatruppe anzuschließen, dann sehen wir den Ausnahmezustand plastisch vor uns: Statt zu Kultur und Kunst zwingt der alltägliche Kampf einen jeden zu Gewalt und Sprengstoff. Die Politik ist allgegenwärtig und für keinen der Stadtbewohner zu vermeiden. Sie trägt sich bis an den heimischen Küchentisch, bis in die privatesten Bereiche einer jeden Existenz; ein jeder muss hier lernen, warum „die Geschichte grausam und wahnsinnig war; warum Blut vergossen werden muss“. Doch Alarcón rettet sich zuletzt nicht einfach in Fatalismus, sondern kreiert vielmehr immer auch den berühmten Silberstreif am Horizont. „Er lebte noch“ – das Schlussstatement von „Krieg bei Kerzenschein“ wird so zur Grundstimmung des gesamten Bandes, dessen Figuren stets arm, verloren und von Problemen bedrängt, doch zugleich auch nie ohne ein Fünkchen Hoffnung sind.

Mittels dieser Doppelstruktur wird „Stadt der Clowns“ so etwas wie eine groteske Liebeserklärung an ein „schönes, geschändetes Lima, unglücklich und immun gegen Veränderung“. Durch das Lavieren zwischen Verzweiflung und Zuversicht, zwischen Niedergang und Hoffnung erschafft Daniel Alarcón eine ganz eigene Stimmung, die durch die bizarren Figuren und Szenen, die diese Welt beherrschen – und dabei keinesfalls artifiziell-irreal wirken – noch verstärkt wird. Letztlich überträgt sich dieses Flair ungebrochen auch auf den Leser, die „Stadt der Clowns“ hinterlässt eine melancholische Schwere, die sich auf eigentümliche Weise mit hoffnungsfrohem Mut und dem optimistischen Blick in die Zukunft paart. So erscheint Alarcóns Lima „im Geist und in der Tat“ – und das im literarisch besten Sinne – eben als eine „Stadt der Clowns“.

Titelbild

Daniel Alarcón: Stadt der Clowns. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Friederike Meltendorf.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2012.
188 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132451

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