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Zu Andreas Durys Roman „Ich und Ben“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein Roman. Und es ist ein Bericht. Lakonisch und nahezu ohne Wertung beschreibt Andreas Dury das Verhältnis zwischen einem Vater und seinem Sohn Ben. Protagonist ist ein durch das Leben stolpernder Ich-Erzähler, der in dreizehn Kapiteln Blitzlichter auf die Zeit wirft, die er mit seinem Sohn verbringt. Diese fragmentarische Sicht auf das Leben der beiden Hauptpersonen bestimmt den Erzählduktus und definiert gleichzeitig die Schwierigkeit für den Leser, sich ein Bild zu machen und sich eine Meinung zu bilden über diesen Vater und seinen Sohn. Daher überträgt sich während der Lektüre das Gefühl der Unsicherheit, dass man auch in dem Umgang von Vater und Sohn miteinander spürt. Letztendlich trifft dies aber genau den Punkt, den Andreas Dury scheinbar vermitteln möchte – die Unsicherheit und Labilität der Beziehung zwischen Vater und Sohn.

Der Ich-Erzähler ist unsicher, stellt seine eigenen Fähigkeiten in Frage: „Ich konnte froh sein, wenn ich 1500 Mark im Monat zusammenbekam. Meistens war es weniger. Wie sollte ich Ben jemals etwas bieten können?“ Trotzdem versucht der Erzähler seinen Sohn für sich zu gewinnen und bemüht sich um ihn. Was allerdings wenig zur Sprache kommt, ist die emotionale Befindlichkeit des Vaters. Diese drückt sich nur in den Gedanken und Bedenken seinem Sohn gegenüber aus. Das Pendant dazu sind in dieser Sprachlosigkeit die wenigen Kommunikationssituationen mit seinem Sohn, von dem er mit zunehmendem Alter immer weniger weiß. Deutlich wird dies in den pointiert ausgewählten Erzählsituationen, die nahezu ohne Zusammenhang aneinandergereiht sind – vermeintlich zufällig, wie das Leben so spielt, ohne „entwicklungspsychologischen“ Plan.

Das Verhältnis des Ich-Erzählers zu seinem Sohn wird mit zunehmendem Alter problematisch. Andreas Dury schildert dies in eindringlichen Situationen, fast in kleinen Prosaminiaturen: „Ich gab ihm sein Geschenk. Er war überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet. Ich wollte etwas sagen wegen der hundert Mark, aber dann ließ ich es bleiben. Ich hatte Angst vor seinen Lügen. Stattdessen ging ich mit ihm ins Bad und zeigte ihm, wie man sich rasiert.“ Aber seine Mühen bei der Erziehung seines Sohnes, seine Wünsche und Hoffnungen, die wortlos bleiben, aber die Folie für sein Handeln sind, werden enttäuscht, als sein Sohn wegen gewalttätigem Verhalten kurz vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag eine Gefängnishaft antreten muss. Zum Ende des Romans findet der Ich-Erzähler bittere Worte, die seine Bindung an seinen Sohn deutlich machen: „Als sie Ben abgeholt hatten, war es mir vorgekommen, als würde ein Teil von mir selbst verschwinden.“

Andreas Dury hat einen irritierenden Roman über das Verhältnis zwischen Vater und Sohn geschrieben, der gerade wegen seiner zurückhaltenden Bewertung der Situationen und Handlungen der Protagonisten eine unvorhersehbare Spannung aufbaut und weder dem Ich-Erzähler noch dem Leser Lösungen zur Verfügung stellt. Letztendlich ist die Aussichtslosigkeit, die Situation zum Guten zu wenden und das orientierungslose Getaumel der Personen durch ihr eigenes Leben das zentrale Thema des Romans – von Andreas Dury trefflich in Szene gesetzt.

Titelbild

Andreas Dury: Ich und Ben.
Conte-Verlag, Saarbrücken 2012.
190 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783941657632

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