„Das Scheitern der Volksfront“

Dirk Kemper zeigt, wie Walter Ulbricht das Engagement Heinrich Manns im Exil für eine Volksfront gegen Hitler vereinnahmte

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz vor seinem Tod im kalifornischen Santa Monica erreichte ihn aus dem so fernen Deutschland, genauer aus Ulbrichts DDR, eine ehrenvolle Mitteilung: Heinrich Mann sollte erster Präsident der neugegründeten Akademie der Künste in Berlin (Ost) werden. Er erklärte sein Einverständnis. Doch das Amt konnte er nicht mehr antreten. Gesundheitliche Gründe verhinderten die Schiffspassage nach Europa. Das bereits gebuchte Ticket auf der polnischen „Batory“ verfiel – und am 12. März 1950 starb Heinrich Mann.

Seine Ruhestätte fand er zunächst in Santa Monica. Aber Leonie Mann, die 1916 geborene Tochter aus der ersten Ehe Heinrich Manns mit der tschechischen Schauspielerin Maria (Mimi) Kanova, überführte die sterblichen Überreste ihres Vaters, der noch die 1936 erhaltene tschechoslowakische Staatsbürgerschaft besaß, aus den USA in die Tschechoslowakei. Nun bot sich für Walter Ulbricht die Chance zum Zugriff. 1961, zum 90. Geburtstag des Schriftstellers, inszenierte er einen imposanten Staatsakt zur Überführung der Urne Heinrich Manns nach Ostberlin. Hier liegt er seitdem – durchaus würdig – auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Nachbarschaft von Bertolt Brecht und Johannes R. Becher.

Ulbrichts Vereinnahmung des Schriftstellers in den Dienst der DDR, die im Übrigen die Wertschätzung Heinrich Manns im Westen Deutschlands lange belastete, war für den DDR-Führer von hoher symbolischer Bedeutung. Ließ sich doch mit ihm ein Repräsentant des bürgerlichen Intellektuellenmilieus vereinnahmen und als Bestätigung des die DDR-Identität begründenden Einheitsmythos nutzen. Ein solches Bündnis war Mitte der 1930er-Jahre bereits einmal gescheitert. Die Umstände dieses Scheiterns beleuchtet Dirk Kemper in seinem Band „Heinrich Mann und Walter Ulbricht: das Scheitern der Volksfront“. Die Volksfront im Kampf gegen die Nazis war für die KPD eine heikle Angelegenheit. Denn sie war es, die nur wenige Jahre zuvor in einer historischen Situation versagt und das Bündnis gegen Hitler verweigert hatte. Mit der kruden Sozialfaschismustheorie hatte man stattdessen die SPD zum Hauptfeind der Arbeiterklasse erklärt und so einen wirksamen Widerstand gegen die Machteroberung der Nazis verhindert, als er vielleicht noch möglich gewesen wäre.

Nach der sogenannten „Brüsseler Konferenz“ 1935 (tatsächlich fand sie in Moskau statt) hatte die Exil-KPD diesen Fehler eingestanden und schien bereit, sich an einer neuen Volksfront gegen das Hitler-Regime zu beteiligen. Es sei dahingestellt, wie aussichtsreich ein solches Bündnis in Nazi-Deutschland zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch hätte sein können – der Terrorapparat hatte längst alle Strukturen der ehemaligen Parteien zerschlagen.

Anders die Situation in Europa: in Spanien kämpfte ein internationales Volksfrontbündnis gegen den faschistischen General Franco. In Frankreich bildete sich eine Volksfrontregierung unter Léon Blum. Und für viele der politisch aktiven deutschen Exilanten stellte die Volksfront eine konkrete Hoffnung dar. Zu ihnen gehörte auch Heinrich Mann. 1935 initiierte er den „Lutetia Kreis“, einen nach dem gleichnamigen Pariser Hotel benannten Ausschuss zur Vorbereitung der Volksfront, in dem Kommunisten, Sozialdemokraten, Sozialisten, Vertreter bürgerlicher und religiöser Gruppierungen zusammenkamen.

1936 übernahm Mann die Leitung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront in Paris. Die KPD war ein wichtiger Partner und mit ihrem Vertreter Willi Münzenberg war sie auch ein aktiver und vor allem vertrauensvoller Partner. Doch Münzenberg wurde kaltgestellt und an seine Stelle rückte Walter Ulbricht, der gemeinsam mit Wilhelm Pieck an der Spitze der KPD stand. In der Folgezeit wird Ulbricht nun zunehmend zum Verhinderer der Volksfront. In langatmigen Mitteilungen, die in einem „dokumentarischen Anhang“ des Bandes mitgeliefert sind, zermürbt der KP-Stratege die vermeintlichen Volksfrontpartner durch strategische Winkelzüge und immer neuen Diffamierungen einzelner Personen. Für die Nichtkommunisten wurde die Zusammenarbeit zunehmend unmöglich. Die Volksfrontidee scheiterte. Für Heinrich Mann, so Kemper, war das besonders tragisch, denn das Bemühen um die Volksfront war Teil seines Selbstverständnisses als politischer Schriftsteller im Exil. Tatsächlich wurde Heinrich Mann im weiteren Verlauf des Exils zunehmend isoliert und konnte nie mehr die Bedeutung der frühen Exiljahre erlangen.

Derweil blieb die Frage, wer „schuld“ war am Scheitern der Volksfront, ein Politikum. Umso mehr, da sie auch eine Bedrohung für den Gründungsmythos der DDR war. Denn der beruhte eben auch auf der Einheitsidee, die in der DDR mit dem historisch  konsequenten Zusammenschluss von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei sowie der Einbindung der bürgerlichen Blockparteien endgültig verwirklicht schien. Deshalb achtete man im „Moskauer Sonderarchiv“, wo unter den dort zusammengeführten ,deutschen‘ Dokumenten und Akten auch solche zur Volksfrontfrage lagerten, sehr genau darauf, dass keine Hinweise auf Ulbrichts Obstruktionspolitik bekannt wurden.

Wie die im Detail aussah, das hatten Heinrich Mann, Max Braun und andere nichtkommunistische Mitglieder des Ausschusses in einem Brief an die „werten Freunde“ vom ZK der KPD vom 13. November 1937 sehr klar formuliert. Ihr Fazit ist aufschlussreich: „Die Frage des Kampfes gegen Hitler und die Herstellung der Einheits- und Volksfront ist nicht nur eine politische, sondern eine moralische Frage. Ohne eine sozialistische Moral und ohne die Wahrheit wird es nicht gelingen, die Demagogie der hitlerischen Luegen zu zerstören. Das aber setzt voraus, dass die Kommunistische Partei zunaechst Wahrheit und Ehrlichkeit auch im Verkehr mit ihren Volksfrontpartnern achtet.“

Der Titel vom Kempers Buch ist ein wenig irreführend: Eine spezielle Beziehung zwischen Heinrich Mann und Walter Ulbricht, die über die amts- und funktionsbedingten Kontakte während der Bemühungen zur Volksfront hinausgingen, belegen die seit den frühen 1990er-Jahren zugänglichen Akten des Moskauer Sonderarchivs nicht. Die ,offiziellen‘ Beziehungen zwischen dem engagierten Schriftsteller und dem taktierenden Funktionär lassen sich im dokumentarischen Anhang des Buches erlesen. Hier kann man stöbern. Und sich selbst einen Eindruck davon verschaffen, wie Walter Ulbrichts Verhinderungspolitik funktionierte und wie sie die nichtkommunistischen Volksfrontbefürworter allmählich zermürbte.

Titelbild

Dirk Kemper: Heinrich Mann und Walter Ulbricht: Das Scheitern der Volksfront.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2012.
266 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783770553501

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