Landlust demontiert

Daniel Mezger lässt in seinem Debütroman Großstädter „Land spielen“

Von Dorothea HansRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Hans

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Daniel Mezger ist ein Schweizer Mulittalent. Der 1978 im Kanton Glarus geborene und nun in Zürich lebende Allrounder ist Schriftsteller, Schauspieler und Musiker. Seine Theaterstücke machten ihn bekannt. 2007 wird er zum Nachwuchsdramatiker des Jahres nominiert. 2010 folgt die Nominierung für den Bachmannpreis. Zwei Jahre später erscheint sein Romandebüt „Land spielen“.

Eine junge Familie zieht aufs Land. Vater, Mutter und drei Kinder. Die Städter sind sich einig, dort wieder das zu finden, was ihnen in der Stadt abging: Familienglück. Idylle. Gemeinschaftsgefühl. Sie wollen eine Einheit bilden. Einen Neubeginn wagen. Heimat finden. Sie sehen sich als Team, wollen wieder eins werden. Und gleich zu Beginn des Romans wird klar gestellt: „Wir sind wir. Wir sind zu fünft. Wir sind der Größe nach: Moritz, Vera, Ralf, Fabian, Ada. Wir werden fünfeinhalb. Fünf reicht.“ Die Aussage, man genüge sich selbst, wird im Verlauf des Romans zum Mantra der Familie.

Mezger greift in seinem Debüt ein Thema auf, welches die jungen Großstadtfamilien von Schwabing bis zum Prenzlauer Berg regelmäßig umtreibt: aufs Land ziehen. Den Kindern eine bessere Kindheit ´bieten. Ein Stück Bullerbü. Mehr Platz. Zurück zu sich selbst finden. Sich auf das Wesentliche konzentrieren. Mit dem Ortswechsel kann alles besser werden. Einfacher. Ewig lockt die „Landlust“-Idylle, Erfüllung zwischen Gemüsebeet und selbstgekochter Marmelade. Eigene Hühner und Ziegen als Beweis für die sinnerfüllte, nachhaltige und ökologisch korrekte Selbstversorger- Existenz. Viele träumen davon, wenige tun es. Mezgers Familie wagt den großen Schritt. Die Eltern packen ihre drei Kinder und nur das Allernötigste. Sie beziehen ein kleines marodes Holzhaus noch außerhalb des Dorfes. Von nun an gilt: „Wir brauchen das Auto nicht mehr, brauchen die Stadt nicht mehr, brauchen keine Freunde, wir leben jetzt auf dem Land“.

Die Stadtflüchtlinge sprechen zu Beginn des Romans aus einem Mund. Mit dieser Erzählperspektive gelingt Daniel Mezger ein kunstvoller Handgriff. Die kollektive Sprechweise macht deutlich, dass alle gefälligst das Gleiche wollen sollen. Eine Art selbstauferlegte Indoktrinierung: „Wir wollen wir sein. Das war die Regel Nummer eins. Wir wollen wir bleiben, wollen unter uns bleiben.“ Schnell ist klar, dass hier nicht alle an einem Strang ziehen. Das Familienmotto „Wir gegen den Rest der Welt“ wurde den Kindern übergestülpt. Doch die Ankündigung eines unerwünschten halben Familienmitgliedes lässt erahnen, dass auch bei den Eltern keine Einheit besteht. Es stellt sich die Frage, auf wessen Mist die Land-Idee eigentlich gewachsen ist. An dieser Stelle tritt Vater Moritz als Individuum hervor. Die drei Kinder sind dem Kleinkindalter entwachsen, er dürfte sich eigentlich auf ein bisschen mehr Ruhe freuen. Stattdessen kriselt es in der Ehe, Unruhe treibt ihn: „Wo war das neue Projekt, was soll man tun im Leben, geht es jetzt immer so weiter, genau so?“ Doch statt Trennung taucht plötzlich ein neues Wort auf, es ist von einem gemeinsamen Neuanfang die Rede.

Aus dem vermeintlichen Wir-Gefühl braut sich eine explosive Stimmung zusammen. Genährt von den zahlreichen Ernüchterungen, die die tapsigen Städter auf dem Dorf erfahren. Die frisch gepflanzte Hecke muss verrückt werden, da der Abstand zum angrenzenden Feld zu gering ist. „Unser Reich ist nun verkleinert, aber es ist unser Reich, ist immer noch groß genug, um Land zu spielen.“ Die Familie will spielen, kennt aber die Regeln nicht. Doch verlieren wollen sie auf gar keinen Fall, der Einsatz ist zu hoch. Solange Mitspieler und Zuschauer da sind, wird weitergespielt. Und auch wenn ein alter Freund aus der Stadt die Umkehr vorschlägt, ist es dafür schon zu spät. Es muss funktionieren, es ist die letzte Chance. Das Spiel hält der Realität nicht stand. Anstatt Annäherung findet Entfremdung innerhalb der Familie statt. Jeder ist mit seinem eigenen Frust allein.

Die Kinder erfahren an der Dorfschule erst Ablehnung, dann Gehässigkeit. Aus argwöhnischen Fragen „Warum wollt ihr Tiere, wenn ihr keine Bauern seid?“ werden handfeste Prügeleien und Mobbing. Die Eltern finden sich in unbefriedigenden und schlecht bezahlten Jobs wieder, Moritz als Gemeindeschreiber, Vera als Altenpflegerin. Einzig das Lehrerehepaar des Dorfes und der Pfarrer bieten sich als Freunde an. Doch gerade der „Bewundernswerteste“ der Familie und Antreiber des Neubeginns Moritz, bricht mit den Regeln und verliebt sich in die Frau des Lehrers. Das Desaster nimmt seinen Lauf. Auch bei den Kindern. Der Pausenhof wird zum Martyrium, erotische Gefühle, anfangs harmlos und verworren, brechen auf, konzentrieren sich und werden so zur Bedrohung. Als der zweite Sohn schließlich spurlos verschwindet, ist das Landspiel an seinem unheilvollen Höhepunkt angelangt.

Mezgers große Leistung ist es, dem Leser die Desillusionierung des Familientraumes mit so einfachen wie innovativen Mitteln vorzuführen. Das kollektive Sprechen der Akteure beschwört mantrisch den Spielplan. Das spätere Ausbrechen einzelner Sprecher wird symbolisch. Im Umgang mit der Sprache liegt seine eigentliche Stärke. Sein Verdienst ist es aber auch, den Leser an den Momenten des Städters auf dem Dorf teilhaben zu lassen. Der Leser geht mit Moritz und Vera zusammen in die Dorfkneipe. Er spürt die neugierigen und gleichzeitig abweisenden Blicke der Dörfler, als stünde er selbst dort, um Anschluss zu suchen. Mezger lässt den Leser in jeder einzelnen Situation daran teilhaben, wie es sich anfühlt, wie es aussieht, wenn ungeschickte Städter ein Haus renovieren, so schlecht, wie es eben nur Städter können. Wenn Sie versuchen, die Wiese mit der Sense zu mähen und sich dabei den Blicken des fachkundigen Dorfpublikums am Rande des Zauns aussetzen müssen.

Mezger schafft es, Situationen ebenso traurig wie humorvoll stehen zu lassen. Was den Leser wiederum die Leiden der Familie mitertragen lässt. Der Roman behält sich seine Leichtigkeit auch in den zunehmenden Konflikten bei. Wenn die Familie auseinanderdriftet, die Individuen mit einer eigenen Stimme die beschworenen Spielregeln durchbrechen, bleibt in Mezgers Erzählfluss eine humorige Leichtigkeit. Er experimentiert mit der Sprache, beobachtet aufs Schärfste, geht seinen Figuren so nahe, dass es keinerlei Erklärung bedarf oder dass je eine Überflüssigkeit erwähnt wird. Seine klare Sprache benennt die Dinge wie sie sind und behält sich dabei einen großartigen und stillen Humor. Eine detaillierte Sozialstudie von einem der auszog, um das Glück zu machen, und dessen Desillusionierung von Mezger einzigartig inszeniert ist, so dass man sie mit großer Spannung bis zum Ende verfolgt.

Titelbild

Daniel Mezger: Land spielen.
Salis Verlag, Zürich 2012.
318 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783905801712

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