Ein kompakter Blick auf Wagner und seine Werke

Laurenz Lütteken gibt ein neues Wagner-Handbuch heraus

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus dem recht unübersichtlichen Wust der Neuerscheinungen zum Wagner-Jahr werden die meisten bestenfalls die Nachwirkung eines Strohfeuers haben. Einige wenige jedoch werden die Feierlichkeiten überdauern und auch dann noch Bestand haben, wenn das Jubiläum des Meisters lange vorüber ist. Zu diesen Beständigen zählt zweifellos das vorliegende Wagner-Handbuch, das auf den ersten Blick in Konkurrenz zum ebenfalls neu erschienenen „Wagner-Lexikon“ zu stehen scheint, sich auf den zweiten allein schon wegen seines Konzeptes aber durchaus neben diesem behaupten kann. Und noch einem Vergleich muss sich das neue Handbuch stellen – dem zum ‚alten‘, dem vor einem Vierteljahrhundert von Ulrich Müller und Peter Wapnewski herausgegebenen Wagner-Handbuch, das zwar nach wie vor seinen festen Platz in den einschlägigen Regalen hat, das aber, und gerade hier positioniert sich das neue, gerade in Bezug auf die Forschung einer Aktualisierung bedurfte.

Auf gut 500 Seiten sind 63 Beiträge von 52 Wagner-Forschern vor allem der jüngeren Generation versammelt; herausgekommen ist eine „geordnete Sammlung von Darstellungen“, mit dem Ziel, „das Wissen über Wagner und seine Werke zusammenzufassen“, wie der Herausgeber, der Zürcher Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken, in seinem Vorwort schreibt. Verzichtet wird dabei ganz bewusst auf die Darstellung der Rezeptionsgeschichte – Wagner und seine Werke sind also das Thema dieses Handbuches, nicht aber sein Wirken. Dass die dazu notwendigen Grenzziehungen nicht immer zufriedenstellend gelingen können, muss zugunsten des Gesamtkonzeptes in Kauf genommen werden. Entsprechend marginal wird die Rezeption vor allem des 20. Jahrhunderts dargestellt: als kleiner Teil des Kapitels „Interpretation und Rezeption“, dessen Beiträge sich fast ausschließlich mit dem 19. Jahrhundert befassen.

Eine knapp 20-seitige Zeittafel stellt gleich zu Beginn die wichtigsten Daten aus Wagners Biografie in einen kulturgeschichtlichen Kontext: Der Vorzug eines solchen Konzeptes – die Einbettung individueller Lebensdaten in einen größeren Zusammenhang – ist gleichzeitig auch sein Nachteil, spätestens dann, wenn das Vorhandensein bestimmter Rahmendaten in Frage gestellt beziehungsweise das Fehlen anderer moniert wird. Der vorliegenden Zeittafel muss man demgegenüber zugute halten, dass sich der zeit- und kulturgeschichtliche Kontext vor allem anhand von Daten aus der Musikgeschichte entfaltet; rein historische Daten beschränken sich zumeist auf einschneidende Ereignisse, von denen einige auch direkten Einfluss auf Wagner hatten. Ob dies allerdings auch für die anekdotisch anmutende Kartoffelkrankheit gilt, sei dahingestellt.

Dafür ist das Verhältnis zwischen Wagner und seinen Werken mit 28 beziehungsweise 29 Beiträgen auch quantitativ ausgewogen: rund 200 Seiten befassen sich mit dem Meister, etwa ebenso viele mit seinem Schaffen. Die Überleitung zwischen beiden Schwerpunktbereichen bilden vier Beiträge, die unter dem Oberbegriff „Schaffensprozess“ Grundlegendes zu Wagners Kompositionstechnik im engeren und weiteren Sinne vermitteln.

Die vier Kapitel zur Annäherung an die Person Richard Wagners skizzieren zunächst seine Lebenswelten, angefangen von den Schauplätzen über Beiträge zum Dirigenten und seinen Dirigaten bis hin zu Briefen und (Cosimas) Tagebüchern sowie den politischen und gesellschaftlichen Kontexten, in denen der Meister agierte. Das umfangreichste Kapitel dieses Teils ist Wagners „Schriften und Ästhetik“ gewidmet. Dem entspricht auf der Werke-Seite die umfassende Darstellung der Bühnenwerke, die ergänzt wird von Instrumental- und Vokalwerken, Schauspielmusik und schließlich Bearbeitungen und Fragmenten. Gerade dieses vollständige Werkverzeichnis macht das Handbuch zu einem wertvollen und ergiebigen Nachschlagewerk, das selbst Kennern noch Einiges zu bieten hat. Lobend zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang auch die sehr sorgfältig erstellten Register – eines verzeichnet Werke und Schriften, ein zweites die Personen.

Dass bei der Fülle der beleuchteten Aspekte und Perspektiven bei weitem nicht alle tiefgründigen Gedanken und Betrachtungen auf den 500 Seiten Platz finden, ist verständlich und verzeihlich – bei Bedarf steht nun wahrlich genug weiterführende Literatur zur Verfügung.

Alles in allem hat der Herausgeber ein kompaktes und gleichzeitig umfassendes Nachschlagewerk zu Person und Œuvre vorgelegt, das auch den Neuerungen seit Müller/Wapnewski Rechnung trägt und deshalb eine Bereicherung ist für jeden, der sich etwas intensiver mit Wagner und/oder seinen Werken beschäftigen möchte.

Titelbild

Laurenz Lütteken (Hg.): Wagner-Handbuch.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2012.
512 Seiten, 69,95 EUR.
ISBN-13: 9783476024282

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch