Der alternde Revolutionär

Marcelo Ferroni erzählt in „Anleitung zum Guerillakrieg“ von der letzten Mission Che Guevaras

Von Tobias GunstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Gunst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn des Jahres 1966 treffen sich in La Paz zwei Agenten, ein Mann mit dem Decknamen Mercy und eine argentinische Frau deutscher Abstammung, die sich Laura nennt, aber eigentlich Tania heißt. Sie sind die Vorhut der sogenannten Ejército de Liberación Nacional (Nationale Befreiungsarmee Boliviens), eine marxistisch orientierte Guerillabewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die marxistische Revolution nach Lateinamerika zu tragen. Nach etwa einem halben Jahr intensiver Vorbereitungen trifft sich die gesamte Guerillaarmee im November 1966 auf einem abgelegenen Landgut nahe des Dschungels, ihr Anführer ist auch endlich eingetroffen: es ist Che Guevara. Er führt eine Truppe von 44 Kämpfern an, darunter die Ostdeutsche Tania (eigentlich Tamara Burke), einige Kubaner, ein paar Bolivianer und ein Brasilianer, João Batista, die aus dem bolivianischen Dschungel heraus versuchen, die bewaffnete Revolution zu organisieren.

Es war Che Guevaras letzte Mission: nach nicht einmal einem Jahr war die Guerilla-Armee von bolivianischen Militärs und US-amerikanischen Agenten aufgespürt und aufgerieben worden, Guevara selbst wurde im bolivianischen Hochland in dem Dorf La Higuera hingerichtet. Tania und die meisten anderen Guerillos waren bereits zuvor erschossen oder gefangengenommen worden, nur wenigen gelang die Flucht. Che hat das Abenteuer in Bolivien in seinem sogenannten „Bolivianischen Tagebuch“ festgehalten, das nach seinem Tod veröffentlicht wurde. 

Über die letzten beiden Jahre in Guevaras Leben und seine bolivianische Mission hat nun der brasilianische Journalist Marcelo Ferroni einen Roman geschrieben: „Anleitung zum Guerillakrieg“, der in der Suhrkamp-Nova-Reihe, einer Reihe für Krimis und Thriller, in einer Übersetzung von Nicolai von Schweder-Schreiner erschienen ist.

Gerade das Bolivien-Kapitel war in Guevaras Leben immer ein Anlass für Spekulationen: warum nach dem Kongo-Debakel die Idee, nun eine bolivianische Miliz aufzubauen? Es gibt Vermutungen, dass Fidel Castro sich des inzwischen für ihn wertlos gewordenen Revolutionärs entledigen wollte und ihn deshalb nach Südamerika schickte. Möglicherweise war es auch Ches eigener Wunsch, nachdem er Kenntnis von den zum Teil extremen ökonomischen Abhängigkeitsverhältnissen erlangt hatte, in denen die bolivianischen Indigenen lebten, andere vermuten einfach eine Unfähigkeit zum Stillsitzen hinter dem Aktionismus des Revolutionärs. Fraglich ist auch, warum die Aktion insgesamt so stümperhaft geplant war: es fehlte an Unterstützung durch die wichtigen bolivianischen kommunistischen Parteien und Gruppen, lediglich vereinzelt schlossen sich Bolivianer der Bewegung an, schließlich war die Gruppe, die Che um sich geschart hatte, zu großen Teilen aus jungen und unerfahrenen Guerilleros zusammengesetzt. Die Mission endet also wie sie enden muss, in der Katastrophe. Doch Ernesto Guevaras Tod wird wiederum zum Mythos verklärt: offizielle Verlautbarungen unmittelbar nach dem Tod des Commandante behaupten, er sei im Kampf gefallen, Fotos des aufgebahrten Leichnams werden veröffentlicht, doch schnell wird klar, dass das eine Lüge ist. Che wurde Opfer von politischer Ränkespiele: die CIA und das bolivianische Militär haben ihn in Gefangenschaft ermordet, in einem kleinen Andendorf, knapp 100 Einwohner, ohne ein offizielles Verhör oder eine Verhandlung. Ein CIA-Agent, der Exil-Kubaner Felix Rodriguez (der noch am Leben ist), ist an der Ermordung des Gefangenen beteiligt, auch hochrangige bolivianische Militärs sind vor Ort, die Weisung kommt vom bolivianischen Präsidenten höchstselbst. Die Leiche wird schnellstmöglich per Hubschrauber abtransportiert und in Vallegrande heimlich begraben – vorher werden Che die Hände abgetrennt, um einen Beweis für seine Identität zu haben. Tatsächlich wurden die Überreste erst 1997 entdeckt und nach Kuba überführt, wo sie in einem Staatsbegräbnis endgültig beigesetzt wurden.

Sowohl der Tod wie das Schlusskapitel des Lebens des Revolutionärs bieten also Stoff zur Legendenbildung. Ferroni hat für seinen Roman die erst kürzlich veröffentlichten CIA-Verhörprotokolle des einzigen Brasilianers in der Guerilla, João Batista, ausgewertet und versucht, die dortigen Angaben zu verweben mit den bereits aus den Tagebüchern, aber auch zahlreichen Berichten und Memoiren bekannten Tatsachen. Herausgekommen ist ein wunderbarer „Tatsachenroman“, wenn man so möchte: eine, obgleich das Ende bekannt ist, ungeheuer spannende und temporeich erzählte, zeitweise ironische Agentengeschichte, der niemals die Ernsthaftigkeit abhanden kommt, die dem Gegenstand gebührt.  

Meisterhaft gelingt es Ferroni, die bereits bekannten Fakten zu ergänzen mit den neu gewonnenen Informationen. Dadurch wird der Alltag der Guerilleros im Dschungel und die gesamte Mission in ihrer ungeheuren Absurdität fassbar. Zunächst ist es die etwas chaotische Liebesaffäre zwischen Tania und dem Agenten Mercy, auf die Joãos Bericht erstmals ein Licht wirft und die ganz wunderbar vor Augen führt, dass trotz aller Vorsicht, aller Decknamen und Geheimidentitäten, immer noch Menschen hinter den Agenten stecken. Tania und Mercy lieben sich ein wenig, gehen sich offenbar aber auch furchtbar auf die Nerven und streiten sich durchgehend. Der als Fahrer angestellte João wundert sich – und schließt sich den Revolutionären trotzdem an. Mit Hilfe bolivianischer Kommunisten gelingt es den Organisatoren schließlich, ein Landgut als Basis zu erwerben, das allerdings strategisch völlig ungünstig liegt, von allen Kommunikations- und Versorgungswegen abgeschnitten ist und sich weit weg von potentiellen indigenen Unterstützern befindet. Als Che im November 1966 dann endlich eintrifft und sich die Guerilla im Basislager zusammenfindet, kann die Revolution eigentlich beginnen – und dann geschieht: gar nichts.

Guevara schwingt ein paar auswendig gelernte Reden über die Revolution, liegt ansonsten in seiner Hängematte und schreibt oder liest. Der Revolutionär ist alt geworden, daran lässt Ferronis Roman keinen Zweifel: asthmatisch und übergewichtig, leicht reizbar und lethargisch tritt Che Guevara auf, um dann zeitweise mit flammenden Reden für die kommunistische Sache und gegen Unterdrückung und Ausbeutung seine Guerilleros zu begeistern. Die sind allerdings kaum weniger schwierig. Ab und zu dürfen Spähtrupps durch den Dschungel marschieren, ansonsten sind die jungen Revolutionäre mit Eifersüchteleien und Streitigkeiten beschäftigt:

„Pacho jammert wie ein Klageweib, Marcos habe ihn mit einer Machete geschnitten, zum Glück habe er ihm nicht den Arm abgehackt, seine Stimme überschlägt sich, er hebt den betroffenen Arm, aber es ist kein Blut zu sehen. Bei seiner Rückkehr nennt Marcos ihn eine Schwuchtel, aber vor den Augen des Commandante fasst Pacho seinen Mut zusammen und wehrt sich. Als Guevara endlich einschreitet, bekommen sie kein Abendessen und müssen sich eine seiner langen Reden anhören, während der er sie beide als ,Comemierdas auf Stöckelschuhen’ bezeichnet und verlangt, dass sie sich die Hand geben.“

Ein bisschen wirkt das Ganze wie im Kindergarten, keiner weiß so recht, was eigentlich zu tun ist. Aus den Erinnerungen eines Guerilleros, Coco, zitiert der Roman: „Es gab einfach nichts zu tun. Ich hatte von der Revolution geträumt und bin mitten in diesem Drecksloch aufgewacht.“ Guevara behauptet, man sei hier zu Ausbildungszwecken, einer fragt, „was für eine Ausbildung das sei, bei der man ziellos durch die Gegend laufe, ohne zu wissen, wo man sei. Guevara läuft rot an, wird laut, damit alle es hören können und erklärt mit erhobenem Zeigefinger, die Übung sei noch nicht zu Ende.“ Alles wirkt ein wenig absurd, aus einem Erkundungsmarsch, der eigentlich auf 20 Tage angelegt war, werden plötzlich zwei Monate, die Guerilla verirrt sich im Dschungel, leidet Hunger und einige werden krank. Als sie zurückkommen, ist im Basislager inzwischen auch die Vorhut um Tania eingetroffen, die eigentlich den Nachschub der Truppe organisieren sollte, aber im März 1967 aufgeflogen ist: auf einem belebten Marktplatz hatten die Agenten ein Fahrzeug mit wichtigen Dokumenten unbewacht stehen lassen, das von den Militärs gefunden wurde, woraufhin die gesamte Planung der Guerilla offenlag. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf: das Militär beginnt die Guerilleros zu suchen, deren stümperhafte Tarnung macht es ihnen leicht, es kommt zu ersten Scharmützeln, die Gruppe muss sich trennen, der Funkkontakt zwischen Ches Gruppe und der Nachhut reißt schon bald ab und schließlich verlieren beide Gruppen Mann um Mann, entweder durch Krankheiten, Fahnenflucht oder Schüsse der Soldaten. Ab hier erzählt der Roman gleichberechtigt vom Schicksal der Guerilleros und der Bemühungen des bolivianischen Militärs, die vermeintlichen Terroristen zu finden. Es ist genau dieser harte Schnitt, der dem Text seine Faszination verleiht: die Kontrastierung der sympathischen, leicht tölpelhaften Revolutionäre mit der vehementen, brutalen Reaktion der Militärs. Sofort kommt Hilfe aus den USA, Major Ralph Shelton wird eingeflogen, der innerhalb von 6 Monaten eine Task Force bilden soll, um die kommunistischen Guerilleros wirksam zu bekämpfen. Der ehemalige Nationalsozialist Klaus Barbie, der als ‚Schlächter von Lyon’ bekannt gewordene Exildeutsche, wird hinzugezogen, genauso einige Exilkubaner, die ihr Leben dem Kampf gegen Castro und Che verschrieben haben. Aus dem langweiligen Alltag im Dschungel wird eine Jagd, aus der Groteske wird eine Tragödie, die Ferroni bis zum bitteren Ende erzählt.

Das Buch ist bei aller Ironie und allem Humor aber niemals eine Abrechnung mit einer Idee oder ein Lächerlich-Machen der Vision von Guevara, es zeigt im Gegenteil, wie eine solch fanatische Idee leerlaufen, sich selbst vernichten und schließlich zum Untergang führen kann.

Che Guevara ist bis heute eine Legende, er ist eine Gallionsfigur der Linken und in Kuba extrem populär. Es gibt zahllose Biografien, es gibt Filme über ihn und zahlreiche Erinnerungen, Memoiren, Autobiografien von Leuten, die ihn gekannt, mit ihm gekämpft, mit ihm gelitten haben wollen. Durch all diese Informationen hat sich ein harter Kern von Fakten ergeben, die über Guevara bekannt sind, und doch bleibt um dieses Kernland herum ein ganzer Wust von Gerüchten, Legenden, Unwahrheiten, Lügen und Behauptungen, die letztgültig weder zu belegen noch zu dementieren sind. Ernesto Guevara ist damit genau das, was man als modernen Mythos bezeichnen kann: eine Figur, um die sich bestimmte Erzählungen ranken, in denen er mal eine Haupt-, mal eine Nebenrolle spielt, die einen gemeinsamen Kern und zahlreiche Akzidenzien haben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit hinzugedichtet wurden. Als moderner Mythos erfüllt er eine bestimmte Funktion für alle, die sich an diesem Mythos beteiligen: für Altlinke und Kommunisten ist Che nach wie vor ein Symbol für den Befreiungskampf und die Revolution im Dienste der antikapitalistischen Sache und der Menschlichkeit, für Kuba und vor allem die Castros ein Nationalheld, mit dem die kubanische Revolution und die Machtübernahme nach der Batista-Diktatur wie mit keinem zweiten verknüpft ist, für die USA und vor allem die CIA ist Che das Feindbild des ideologisch verbrämten kommunistischen Terroristen. All diese Versionen mögen so viel Dichtung wie Wahrheit in sich tragen, Tatsache ist, dass es sich in allen Fällen um Konstrukte handelt, um fiktionalisierte Versionen eines tatsächlich geführten Lebens.

Kritiker Fidel Castros, darunter auch ehemalige Weggefährten Ches, wie der Kubaner Huber Matos, sind überzeugt davon, dass die Castro-Brüder Guevaras Leben propagandistisch instrumentalisiert haben: „Che war ein Instrument Castros, zu Lebzeiten und auch nach seinem Tod – bis zum heutigen Tag. Für mich geht Guevara als große Lüge in die Geschichte ein.“ (Huber Matos in einem Interview 2009). Einzelne seiner Tagebücher sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht oder zumindest im Nachhinein überarbeitet, die Berichte über ihn subjektiv gefärbt und die Abhörprotokolle ehemaliger Kampfgenossen mit ziemlicher Sicherheit von den Geheimdiensten, allen voran der CIA, entsprechend geglättet.  

Ferronis als „Roman“ gekennzeichnetes Buch gibt nicht vor, die wahre Geschichte zu erzählen, so es die überhaupt gibt. Aber es erzählt die Geschichte vom Ende Che Guevaras in Bolivien sehr ausgewogen, humorvoll und gleichzeitig ernst, und immer mit einem gewissen Respekt seinen Figuren gegenüber. Ferroni enthält sich jeglichen Kommentars zur Ideologie, weder der einen noch der anderen Seite, und das ist die Stärke des Romans: indem er ideologiefrei erzählt, macht er aus den Revolutionären Menschen und lässt den Leser über sie lachen, genauso wie er ihr Schicksal bemitleidet. Herausgekommen ist ein informativer, spannender und mitreißender Roman, der radikal entmythisierend wirkt und gar nicht erst versucht, den Konstruktcharakter seines Gegenstandes zu verschleiern. Vielleicht tut er dem Mythos Guevara gerade damit den größten Gefallen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Marcelo Ferroni: Anleitung zum Guerrillakrieg. Ein Che-Guevara-Roman.
Übersetzt aus dem brasilianischen Portugiesisch von Nicolai von Schweder-Schreiner.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
228 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783518463734

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