Gewalt als päpstliches Selbstverständnis

Gerd Althoffs Untersuchung zur klerikalen Legitimation von Gewalt im Hochmittelalter

Von Claudia SchopphoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schopphoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Althoffs Untersuchung überzeugt durch ihren klaren, gut strukturierten Aufbau. In zehn Kapiteln wird der Frage nach der Legitimation von Gewalt durch die Kirche über einen Zeitraum von dreihundert Jahren hinweg nachgegangen: von den Anfängen und ihrer (Neu)Definition durch Papst Gregor VII. sowie von der Sicht seiner Anhänger und Gegner ausgehend, entwickelt sie sich zu einem immer wiederkehrenden Thema, wie am Beispiel des ersten Kreuzzuges und der Haltung Papst Urbans II. zum Einsatz von Gewalt gegen Ungläubige deutlich wird, und dessen Relevanz zur Aufnahme in eine der wichtigsten mittelalterlichen Kirchenrechtssammlungen, das Decretum Gratiani, führt. Ein abschließender Ausblick befasst sich mit dem Nachleben des pontifikalen Anspruchs der Ausübung einer unbeschränkten Herrschaftsgewalt (potestas) im 12. und 13. Jahrhundert, welcher sich durch die inzwischen stattgefundene Verankerung in der kirchlichen Tradition als fortwährendes Instrument der Kritik gegenüber „ungehorsamen“ weltlichen Herrschern etablieren konnte.

Seinem Anspruch, einen in der bisherigen Forschung unberücksichtigt gebliebenen Aspekt im Hinblick auf die Legitimation einer theologischen Befürwortung vom bewaffneten Kampf von Christen zu eröffnen, wird Althoff durch seine lesenswerten Ausführungen vollkommen gerecht. In einem Exkurs zur Forschungslage auf dem Gebiet des hochmittelalterlichen Papsttums thematisiert er die Schwierigkeiten, die im 20. und 21. Jahrhundert aufgrund des politisch-religiösen Gehalts des Sujets sowie durch eine zu geringe kritische Distanz verhindert haben, eine objektivere historische Betrachtungsweise zu gewährleisten.

Mit seiner Arbeit greift Althoff eine bislang unberücksichtigt gebliebene Perspektive innerhalb des mittelalterlichen Suprematiestreits zwischen Papst- und Kaisertum auf, indem er sich eingehend mit der in diesem Kontext erhobenen Frage beschäftigt, ob es zulässig sei, dass die Kirche Gewalt ausübe. Gewalt wird hier vom Autor als Kraft verstanden, die von einem autorisierten Personenkreis legal ausgeübt werden darf und als Folge des Sündenfalls unverzichtbar erscheint; allerdings ist dem Klerus die aktive Ausübung von (Waffen)Gewalt untersagt, so dass er darauf angewiesen ist, diese an Dritte zu delegieren. Die Frage nach einer kirchlichen Gewaltausübung stellt sich unweigerlich durch den, im Zuge seiner Reformen von Papst Gregor VII. erhobenen neuartigen Anspruch, als Nachfolger Petri über die von Christus verliehene unveränderliche Generalvollmacht zu verfügen, die als alleinige Autorität keine anderen Ansprüche neben sich duldet und deshalb unbedingten Gehorsam verlangt (Hierokratie). Ein Zuwiderhandeln ist gemäß dieser Auffassung mit Ungehorsam gleichzusetzen und Ungehorsam gegen die päpstlichen Gebote wird als Häresie gedeutet, gegen die die Kirche vorgehen dürfe – auch mit Gewalt. Diese Theorie bietet sowohl Gregor als auch späteren Generationen von Päpsten ein Instrument, um alle diejenigen zu verfolgen, die sich Ungehorsam gegen den apostolischen Stuhl zuschulde kommen lassen.

Dieser Geltungsanspruch kollidiert zwangsläufig mit den Ambitionen von Adel und Klerus, die bei der Durchsetzung eigener oder fremder Ansprüche nach dem Konsensprinzip handeln, das heißt dass sich die betroffenen Parteien zur gemeinsamen Entscheidungsfindung beraten und sich nicht in der Rolle päpstlicher Befehlsempfänger und -vollstrecker sehen. Den Höhepunkt dieser Kollision stellt die als Investiturstreit bekannt gewordene Auseinandersetzung zwischen Gregor VII. und Kaiser Heinrich IV. dar.

Im Fokus steht bei Althoff die Legitimationsbasis des hier formulierten päpstlichen Gewaltverständnisses, mit deren Hilfe sowohl die Befürworter von Gewaltausübung, allen voran Bonizo von Sutri, dessen Ausspruch, dass diejenigen „selig zu preisen [seien], die Verfolgung ausübten um der Gerechtigkeit willen, sie seien denen gleich, die Verfolgung erlitten um der Gerechtigkeit willen“, für den Titel der vorliegenden Monographie verantwortlich zeichnet, als auch ihre Gegner die eigenen Argumente zu zementieren suchen. Sie wird hauptsächlich durch Belege aus dem Alten Testament gespeist, wobei in diesem Zusammenhang besonders die Bannideologie des Alten Testaments in den Vordergrund rückt, also Beispieltexte, die die gewaltsame Vernichtung aller Gott zuwiderhandelnden Personen und die Belohnung der menschlichen Werkzeuge dieser Vernichtung thematisieren. Dieses Bild beziehen Gregor VII. und seine Anhänger typologisch auf die eigene Situation und setzen es in konkreten Aufrufen (zunächst) zur Gewalt gegen Priester ein, denen gegenüber der Vorwurf, Unkeuschheit und Simonie begangen zu haben, erhoben wurde. An dieser Stelle lässt Althoff gezielt einzelne Stimmen von Befürwortern wie Gegnern Gregors zu Wort kommen, um die unterschiedlichen Positionen zum Thema eines christlich motivierten Gewalteinsatzes darzulegen. Dabei zeigt sich, dass beide Parteien in ihrer Auseinandersetzung aneinander vorbeireden, die Argumente der einen Seite nur mit den Gegenargumenten der anderen Seite konfrontiert werden, ohne dass dabei die bereits unterschiedliche Ausgangsposition (Bejahung von kirchlicher Gewaltausübung mithilfe des Gottesbildes des Alten Testaments versus Verneinung einer Gewaltausübung und Hinweis zur Friedenspflicht mithilfe des Christusbildes aus dem Neuen Testament) berücksichtigt wird.

Dass die Problematik einer Bejahung und Begründung von Gewalt durch die Kirche eine grundsätzliche Schwierigkeit darstellt, die auch außerhalb eines immer wieder aufflackernden Vorherrschaftsstreits zwischen klerikalen und säkularen Kräften eine Rolle spielt, lässt sich anhand weiterer ausgewählter Beispiele deutlich nachvollziehen. Untersucht werden dazu im Folgenden die Legitimation von Gewalt innerhalb der Predigtpropaganda Papst Urbans II. anlässlich des ersten Kreuzzuges sowie deren tatsächliche Umsetzung und die erstmalige juristische Thematisierung und Verankerung der Gewaltfrage im Decretum Gratiani von 1140 als Grundstein des sich entwickelnden Kirchenrechts, weil hier erstmalig eine systematische Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand erfolgt, die die Anwendung von Gewalt in bestimmten Fällen regelt.

In der Auseinandersetzung mit der ebenfalls in der Forschung vertretenen abschwächenden These, dass es sich bei der von kirchlicher Seite angesprochenen Gewalt doch eher um Gewaltrhetorik handele, die als bloße biblische Allegorie zu verstehen und nicht mit direkten Aufforderungen zu konkreter Gewaltanwendung gleichzusetzen sei, hält Althoff berechtigterweise das im Mittelalter verbreitete Modell des Vierfachen Schriftsinns und der Typologie dagegen: Gemäß dieser Art von interpretierender Übertragung biblischer Ereignisse in die eigene historische Realität war es durchaus möglich, dass verbale Gewalt unmittelbare aktive Gewaltausübung zur Folge hatte.

In Bezug auf die Frage nach der eingangs definierten Suprematie wird in Form eines Ausblicks auf das Verhältnis zwischen Welt und Kirche im 12. und 13. Jahrhundert veranschaulicht, dass die mit der Person Gregors VII. verknüpfte Auffassung, die höchste weltliche Instanz in Gestalt eines Königs/Kaisers schulde dem Papst als Inhaber der Binde- und Lösegewalt Gehorsam, auch noch in den darauf folgenden Jahrhunderten von Bedeutung war, wenngleich sie auch unter seinen Nachfolgern nicht mehr unbedingt mit der gleichen Rigorosität verfolgt wurde.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Gerd Althoff: »Selig sind, die Verfolgung ausüben«. Päpste und Gewalt im Hochmittelalter.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2013.
256 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783806227512

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