Gewachsene Unordnung oder zitierte Vielschichtigkeit?

Über die Graphic Novel „Mensch wie Gras wie“ von Dietmar Dath und Oliver Scheibler

Von Cédric PietteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Cédric Piette

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem die Biologin Elin Elwert aus Japan wieder zurück nach Deutschland gezogen ist, beschäftigt sie sich nicht mehr mit Versuchsmäusen, sondern mit Gräsern. Ihre einstige Jugendliebe Martin Riede, tatsächlich ein Homosexueller, begegnet ihr erneut. Hierauf entspinnt sich zwischen der Darstellung des Alltags, Berufs und von Traumsequenzen die Geschichte dieser Graphic Novel, in der es einerseits um Freundschaft und zwischenmenschliche Beziehungen und andererseits um Genetik geht.

Die in großen Panels angelegten Zeichnungen von Oliver Scheibler erinnern teils an Robert Crumb, auch wenn sie keineswegs nur Sexuelles thematisieren. Manchmal erinnern sie aber auch an Zeichnungen von Tomi Ungerer oder Friedrich Karl Waechter. Der eher einfach gehaltene Plot wird auf textlicher Ebene durch Zitate angereichert, unter anderem aus der Bibel, beispielsweise Psalm 103, Vers 15 und 16: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras / Er blüet wie eine Blume auff dem feld / Wenn der Wind darüber gehet / so ist sie nimmer da / und ir stete kennet sie nicht mehr“, oder auch dem Gedicht „Ich bin wie Leib dem Geist, wie Geist dem Leib dir“ August von Platens. In der Bilderwelt der Graphic Novel gibt es intermediale Verweise. So durchziehen etwa Markennamen wie „Hörzu“, „McDonald’s“, „Burger King“, „Pizza Hut“ oder „Langenscheidt“ diese Graphic Novel. Daneben lässt sich jedoch auch ein Poster von René Magrittes Bild „Der Verrat der Bilder“ mit dem Schriftzug: „Ceci n’est pas un pipe“, oder ein fiktiver Auszug aus Anne Wills gleichnamiger Talkshow in den Panels der Geschichte wiederfinden. Zudem wird „Mensch wie Gras wie“ von wiederkehrenden Motiven wie Spinnen und Spinnweben, dem japanischen Brettspiel Go, Gräsern und dem Querschnitt von Zellen durchzogen.

Jedoch ist die Graphic Novel von Dath und Scheibler neben diesen Realitätsbezügen voller Traumbilder. Es treten menschliche Wesen mit Tierköpfen auf, die in Elins Vorstellung für die Freunde Martins stehen.

Ob das stilistische Sammelsurium der Panels mit ihrem Überangebot von Speedlines, mit in lichtensteinscher Manier gerasterten Hintergründen, mit solchen, die nur Gras darstellen, oder anderen, die wiederum stark vereinfacht sind, und einem teilweise englischen Erzähltext dem Leser als eine herausragende Mannigfaltigkeit, als ein Abbild der Ambivalenz des heutigen Lebens oder aber als ein wirrer Wust erscheint, muss der Leser letztlich für sich selbst herausfinden. Erst bei einer erneuten Lektüre erkennt der Leser, dass die Abfolge der Panels maßgeblich durch die Erinnerungen der Protagonistin strukturiert sind.

Im vierzehnseitigen Essay mit dem Titel „Mach Mehrere aus mir“, der im Anhang des Bands zu lesen ist, setzt sich Dath in elf Kurzkapiteln mit dem Thema der Fiktion und den Schwierigkeiten einer Transformation von einer Kunstform in eine andere auseinander. Ebenfalls beschreibt er dort, was die Graphic Novel „Mensch wie Gras wie“ in ihrer Entstehung von klassischen Comicbooks unterscheidet. Hier bilde nämlich der Text die Grundlage, während er als Autor die späteren Umsetzungen des Zeichners beim Schreibprozess noch nicht vor Augen gehabt hatte – eine Innovation, die diesen Band so besonders macht.

Titelbild

Dietmar Dath / Oliver Scheibler: Mensch wie Gras wie.
Graphic Novel.
Verbrecher Verlag, Berlin 2014.
206 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783943167764

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