Öko-Terror

Sebastian Fitzek zieht Konsequenzen aus der Überbevölkerung und macht daraus in seinem Thriller „Noah“ ein heftiges Spektakel

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine der Initialzündungen der ökologischen Bewegung war die Publikation des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“; bereits im Jahr 1972 erschien die Studie, die sich zu einem Bestseller entwickelte und hohe Wellen schlug. Seitdem hat sich vieles verändert, und dennoch sind die Probleme nicht kleiner geworden: eine ständig wachsende Weltbevölkerung, das Wohlstandsgefälle zwischen Industrieländern und den sogenannten Entwicklungsländern, der massive Verbrauch begrenzter Ressourcen, das Machtgefälle zwischen den Armen und Reichen der Welt. Die Menschen in den Industrieländern leben in vergleichsweise geschützten Räumen, während an der Peripherie Stellvertreterkriege toben, Hunger und Seuchen immer noch immense Menschenopfer fordern.

Im Thriller von Sebastian Fitzek hat der Wegfall des Antagonismus zwischen den USA und der Sowjetunion die Suche nach neuen Konfliktfeldern angeheizt. Neben den Restbeständen aus den alten Zeiten des Kalten Kriegs und den neuen Terrordrohungen von islamistischen Fundamentalisten sind es vor allem ökologische Szenarien, die geeignete Plots bereithalten.

Kernelement dieser Szenarien ist die Ausrottung etwa der Hälfte der Weltbevölkerung, je nach Neigung entweder mit einem abgespeckten Darwin-Prinzip – es überlebt der Stärkere oder der widerstandsfähigste Organismus – oder mit einem Gerechtigkeitsprinzip – nach dem diejenigen sterben, die es verdient haben.

Das sind grundlegende und ziemlich gewaltige Projekte, denn – auch wenn sich Mensch und Natur schon ziemlich anstrengen in dieser Sache – so einfach sind drei, vier Milliarden Menschen eben nicht umgebracht. Das Grundmittel dafür ist allerdings schon recht verbreitet, um nicht zu sagen, in den Konzepten der Thriller-Schreiber ist ein solches Projekt nur mit einer grauenhaften und alles vernichtenden Krankheit möglich; Tod durch Ebola zum Beispiel, durch die Pest, die immer noch einen guten Ruf hat, oder durch irgendetwas anderes Apokalyptisches in der Art.

Ob das funktioniert, wissen wir nicht. Aber es könnte sein. Die Erfahrung der Pestepidemien im 14. Jahrhundert zeigt aber, dass der intensive Kontakt zwischen zuvor isolierten Bevölkerungen zu ziemlich grundsätzlichen Lösungen führen kann. Ein Drittel der europäischen Bevölkerung ging an der damaligen Pestepidemie zugrunde, nachdem Belagerer der Krim-Stadt Kaffa Pestleichen über die Mauer geworfen hatten, um die renitenten Verteidiger endlich in die Knie zu zwingen. Über den Seeweg kam die Pest anschließend anscheinend nach Südeuropa und breitete sich immer mehr in Richtung Norden aus.  Was im 14. Jahrhundert wenige Jahre dauerte und große Literatur initiierte, ist im 21. Jahrhundert allerdings schneller: die Globalisierung, die Intensität der sozialen Kontakte, die Schnelligkeit der Übertragungswege, all das lässt annehmen, dass eine echte Epidemie eines wirklich bösartigen Erregers heute schneller zum Erfolg führen würde. Nur einmal hypothetisch.

Sebastian Fitzek nun entwirft ein großartiges Szenario, in dem eine kleine, aber radikale und nicht minder reiche Gruppe von entschlossenen Öko-Aktivisten entscheidet, dass nur noch eine Radikalkur die Erde und damit die Menschheit retten kann.

Wenn freilich diese Aktivisten sonst meist irgendwo an der Peripherie angesiedelt sind – in Kopenhagen, Kreuzberg, der Bronx oder sonstwo – sind es in diesem Fall echte Entscheider, die sich zusammengerottet haben, um das Ende der Welt zu ihrem Vorteil herbeizuführen. Das lässt alte Verschwörungs- und Geheimbundtheorien herrliche Urständ feiern. Da werden eine Bilderberg-Konferenz und ein Room 17-Komitee herangeführt, da werden die Merkwürdigkeiten der Welt (Kondensstreifen und mehr) bemüht und eine konzertierte Aktion der Milliardäre dieser Welt soll all das über Jahrzehnte geplant und herbeigeführt haben. Da werden dem Flugzeugbenzin Stoffe zugesetzt, mit denen die Menschheit verseucht wird, Medienkampagnen werden inszeniert, um die Welt auf die große Seuche, die da kommen mag, vorzubereiten, und es werden Medikamente entwickelt, die am Ende genau das Gegenteil von dem bewirken sollen, wozu sie angeblich nutzen.

Selbstverständlich gibt es dazu einen Retter der Menschheit, der – wie es sich gehört – als gemischter Charakter seinen Feinden arg nahe ist. Wie nahe, das sei der Lektüre vorbehalten, aber immerhin nahe genug, dass hier Entscheidungen zu treffen sind, die als schwerwiegend zu gelten haben. Und selbstverständlich fängt der Held der Geschichte ganz unten an, dieses Mal – und da es sich um einen Berliner Autor handelt – in Berlin, im Berber-Milieu.

Noah – unser Held – erwacht und kann sich an nichts erinnern. Oscar, der ihn aus dem Müll liest und in seine Behausung bringt, pflegt ihn gesund und beschützt ihn in dem Milieu, in dem Noah sich offensichtlich nicht zu bewegen weiß. Dafür beweist er bei der schnell losstürmenden Erzählung ganz andere Qualitäten, scheint er doch ein routinierter und erstrangiger Nahkämpfer zu sein, der sich auch aus ausweglosen Situationen zu retten versteht. Killer ohne Gedächtnis, das gab es auch schon mal im Thriller-Berlin. Aber darauf kommt es nicht an, wenn es darum geht, die Welt zu retten, was dann auch geschieht – zumindest vorerst.

Fitzek selbst gibt in den Rahmentexten seines Romans viel von seinen Intentionen preis, die ihn zu diesem Roman bewegt haben, als traute er weder der Erzählung noch seinen Lesern. Das Thema scheint ihn zu bewegen, eben auch zu einer Geschichte, die in den Übertreibungen des Thrillers noch die wirkliche Botschaft transportieren will. Wir lernen also aus dem Fernsehen, wie wir lieben müssen, und aus dem Thriller wie die Welt wirklich funktioniert? Wenn das so ist, dann helfen auch keine Autorenkommentare.

Unabhängig davon ist „Noah“ ein routiniert geschriebenes Stück Reißbrettliteratur. Gut gemacht, eigentlich fehlerlos, kann der Roman kann im großen Konzert der Bestseller-Autoren durchaus mithalten, was man vor einigen Jahren von deutschen Autoren nicht hat sagen können.

Titelbild

Sebastian Fitzek: Noah. Thriller.
Bastei Lübbe, Köln 2013.
560 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783785724828

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