Ganz normale Nazis

Der Band „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus“ erzählt nüchtern die „Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den letzten Jahren, darauf verweisen auch die Autoren des vorliegenden Bandes in ihrer Einleitung, erlebte die „Unternehmensgeschichtsschreibung“ einen Paradigmenwechsel. War sie noch bis in die 1970-er Jahre geprägt vom feierlichem Festschriftsgestus, der die Geschichte des Unternehmens als stolze Erfolgsgeschichte erzählte, in der zumeist mit nur wenigen Sätzen die ,dunklen‘ Jahre verdrängt wurden, begannen nun zunächst lokale Geschichtsinitiativen und engagierte historische Laien im Rahmen der historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit ,vor Ort‘ auch die Rolle der heimischen Unternehmen zu untersuchen. Oft gegen den Widerstand derjenigen, die entweder selber noch dabei waren oder im Namen der Familien- und Unternehmensehre ihre Väter und Großväter (wie auch die Mütter und Großmütter) meinten verteidigen zu müssen. In den Blick gerieten die Verstrickungen der Unternehmen und der sie repräsentierenden Menschen mit der Naziherrschaft. Wie profitierten sie vom Naziregime? War womöglich der Erfolg der Unternehmen in der Wirtschaftswunderzeit und danach erkauft mit schuldhaften Verstrickungen? Spätestens der blamable Streit um die Ausgestaltung des Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft, der nun 1989 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks endlich auch den ehemaligen Zwangsarbeitern aus diesen Ländern zugute kommen sollte, machte den Wirtschaftsführern klar, dass eine Verweigerungshaltung gegen die Aufarbeitung der eigenen Geschichte und Verantwortung eine geschäftsschädigende „Skandalisierung von außen“ mit beträchtlichem Imageschaden bedeuten konnte. Eine offensive Beschäftigung mit der eigenen Verantwortung schien da der bessere Weg. „Der Generationswechsel in den Führungsetagen und Familien“, so schreiben die Autoren, „begünstigte diese Einsicht“. Gute Zeiten also für sachkundige HistorikerInnen mit dem Schwerpunkt Unternehmensgeschichte.

Auch die Bielefelder Firma „Dr. Oetker“ beauftragte renommierte Historiker, in diesem Falle die Münchner Wissenschaftler Jürgen Finger, Sven Keller und Andreas Wirsching, letzterer ist Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, mit der Aufarbeitung der Nazigeschichte. Man öffnete die Archive und die Autoren sind voll des Lobes über die Freiheiten des Forschens – als ob man dergleichen betonen müsste). Das Ergebnis liegt nun im C. H. Beck Verlag vor: „Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945.“

„Dr. Oetker“ ist ein klingender Name in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Trotzdem erregte das Unternehmen im Hinblick auf seine Vergangenheit im Nationalsozialismus eher marginale Aufmerksamkeit. Im Mittelpunkt standen die ,großen‘ Unternehmen und Familien der Schwerindustrie: solche wie Flick, die Quandts oder Krupp. Dabei gab es in Bielefeld schon seit 1968 im Gefolge der Studentenunruhen jener Zeit sehr konkrete Nachfragen: Es ging um das „Richard-Kaselowsky-Haus – Kunsthalle der Stadt Bielefeld“. Das Haus ging auf eine Stiftung des Firmenchefs Rudolf August Oetkers aus den 1950er-Jahren zurück. Nun, 1968, sollte die Kunsthalle eröffnet werden und den Namen seines ,Ziehvaters‘ Richard Kaselowsky tragen. Das erregte Widerstand: sollte wirklich ein städtisches Museum den Namen eines Mannes tragen, der unter anderem als Mitglied des Freundeskreises Reichsführer-SS mit dem NS-Regime verbandelt war? Es kam zu einer westfälisch-praktischen Lösung, die drei Jahrzehnte hielt: Man erwähnte einfach den Namen nicht mehr. Als aber 1998 die Sache wieder akut wurde, entschied der Stadtrat: das Haus heißt seitdem offiziell „Kunsthalle Bielefeld“. Der 2007 in Hamburg verstorbene Stifter reagierte verärgert und zog seine Unterstützung samt Leihgaben an das Haus zurück.

Mit dieser Episode aus der Provinz – durchaus aufschlussreich im Hinblick auf die Schwierigkeiten einer sachlichen Aufarbeitung der Nazivergangenheit – setzt auch die vorliegende Darstellung der Oetker-Geschichte ein. In deren Mittelpunkt steht nun tatsächlich Richard Kaselowsky. Denn er war es, der das Familienunternehmen seit 1916 leitete. In diesem Jahr war der eigentliche Nachfolger des Firmengründers August Oetker, sein Sohn Rudolf Oetker im Ersten Weltkrieg gefallen. Ein tragischer Verlust für das Familienunternehmen – umso mehr, da der nächste Erbe Rudolf August Oetker gerade erst geboren war. Richard Kaselowsky, aus einer vermögenden Bielefelder Familie stammend und ein Jugendfreund Rudolf Oetkers war die Rettung. Er heiratete die Witwe Rudolfs, Ida Oetker, und übernahm die Leitung des Unternehmens. Mit einem zentralen Ziel: der Übergabe des Unternehmens an den ,natürlichen‘ Erben Rudolf August Oetker. Kaselowsky hatte also zwei Aufgaben: die Leitung der Firma und die Vorbereitung seines Ziehsohns auf die Übernahme der Firma. Bis zu seinem Tod, der ihn während eines Bombenangriffes auf Bielefeld 1944 ereilte, hielt sich Kaselowsky an diese Aufgabenstellung.

Eine verblüffende Konstellation, die viel aussagt über die starke Bindungskraft des Selbstverständnisses der Bielefelder Firma als Familienunternehmen. Gerne hätte man über die im Hintergrund wirkende Dynamik der Familienstruktur und der dort dominierenden Figuren etwas mehr erfahren, die Darstellung konzentriert sich aber auf eine zunehmend spezifizierter – und damit für nicht spezialisierte LeserInnen zuweilen auch etwas langatmig anmutender – ausgeführte Firmengeschichte.

Und die profitierte unter Kaselowskys Führung seit 1933 ganz selbstverständlich von den neuen Machthabern. Auch wenn Kaselowsky, wie die Autoren an verschiedenen Stellen ausführen, kein fanatischer Nationalsozialist war. „Bürgerlich, rechts im Sinne von konservativ und national denkend, ohne extreme Ansichten“, aber gerade deshalb in jederlei Hinsicht anschlussfähig an die Nazis. Als Unternehmensführer verstand er sich in der Tradition des patriarchalisch geführten Unternehmens: Man gewährte ,seinen‘ ArbeiterInnen – zuweilen durchaus großzügig – soziale Vorteile. Vor allem, um sicherzustellen, dass sie keine Rechte in Anspruch nehmen konnten. Das passte bestens zum nationalsozialistisch-völkischem Ideal der „sozialen Fürsorge“ in der „Volksgemeinschaft“. Mit dem Modell der „sozialen Betriebsarbeit“, das bereits in den 1920er-Jahren konzipiert worden war, erlangte „Dr. Oetker“ den Status eines „NS-Musterbetriebs“.

Parallel dazu festigte Richard Kaselowsky seine Verbindungen zur NS-Elite. Wahrscheinlich seit 1937, so rekonstruieren die Autoren, war Kaselowsky Mitglied des „Freundeskreis-Reichsführer-SS“, einem Kreis ausgewählter Wirtschaftsvertreter, Ministerialbürokraten und höheren SS-Führern. „Abgesehen vom offensichtlichen Reputationsgewinn ist die Bewertung der Freundeskreis-Mitgliedschaft Kaselowskys schwierig“, schreiben die Autoren. Warum? Weil Kaselowsky in diesem Kreis doch eher selten mit Heinrich Himmler direkt zusammentraf? Aber nicht davon, ob Kaselowsky in diesem Kreis Himmler getroffen hat oder nicht, hängt die Bewertung ab. Es ist gerade der „Reputationsgewinn“, der die Mitgliedschaft in diesem Freundeskreis attraktiv machte. Darum ging es dem ,Typus‘ Kaselowsky, der so sich vollständig integrierte in das Machtsystem der Nazis.

Nach Kaselowsky plötzlichem Tod 1944 übernahm Rudolf August Oetker das Unternehmen. Er war ebenso gut vorbereitet wie in das untergehende Nazireich integriert. Nach einer kurzen Phase der Internierung durch die britischen Besatzer nach dem Krieg war er bald wieder in Amt und Würden und konnte mit „Dr. Oetker“ ins Wirtschaftswunder starten.

Titelbild

Andreas Wirsching / Jürgen Finger / Sven Keller: Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
624 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406645457

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