Schlag keinen Nagel in die Wand

Brittani Sonnenberg erzählt die Geschichte der „Third Culture“

Von Michael KurzmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Kurzmeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kriegsteins sind eine internationale Familie. Durch den Beruf des Vaters zieht die Familie um, von Maryland nach Hamburg, von dort aus nach Schanghai und einige Jahre später nach Singapur. Jedes Zuhause ist also ein Zuhause auf Zeit, jede Integration nutzlos. Den Elten ist ihre Identität bewusst: Eline und Chris sind US-Amerikaner, im Ausland noch viel mehr als in der vermeintlichen Heimat. Den Töchtern Leah und Sophie fällt es dagegen schwer, zwischen Flughafenterminals und jährlichen Heimaturlauben eine eigene Herkunft zu finden. Der Roman „Heimflug“ behandelt dabei sehr klug den Versuch der Töchter, eine eigene Identität zu konstruieren. Man kann, wie für die Klappentexte solcher Titel stets nützlich, durchaus sagen, dass die Autorin aus eigener Erfahrung schreibt: Sonnenberg ist Deutsch-Amerikanerin, lebte in Asien, Europa und den USA und hält derzeit eine Gastdozentur für kreatives Schreiben an der University of Hongkong inne.

Die Kriegsteins sind keine Immigranten, sie sind das Extrem des Spektrums der Gastarbeiter. Sie sprechen die jeweilige Landessprache nicht, sie verlassen das Haus meist nur, um sich am Pool des American Club zu sonnen, die Töchter besuchen eine internationale Schule. Jedes Land und seine Bewohner dient dem Buch dabei als Staffage, es ist im Grunde gleichgültig, in welchen Teil der Erde Chris nun hinbeordert wurde, außer dem Wetter und den Flugstunden nach Atlanta ändert sich in der Konstellation wenig. Beide Töchter vermissen ihre alte Heimat und werden, um nicht doch im kulturellen Sog des Auslands unterzugehen, von den Eltern regelmäßig auf Heimaturlaub geschickt. Dort sind allerdings die, die höchstens für sechs Wochen im Jahr eingeflogen werden, fast so fremd wie am jeweiligen Wohnort, an die Realität der Dortgebliebenen können sie nicht anknüpfen.

Während die Eltern die US-Amerikanische Kultur verinnerlicht haben, sind die Töchter in ihrem Leben in einer Parralellgesellschaft gefangen. Natürlich können sie sich amerikanische Frühstücksflocken nach China liefen lassen – das tun sie auch – und natürlich sind amerikanische Medien mittlerweile in jedem Teil der Welt zu haben, solange sich ein Käufer findet, dennoch ist ihr kultureller Hintergrund gespalten. Beide leben das Leben der sogenannten Third Generation, jener dritten Einwanderergeneration, die sich nicht mehr auf das kulturelle Erbe der Großeltern beziehen kann, an ihrem Wohnort aber dennoch stets als fremd auffällt. So bleibt es bei kleinen Fluchten, etwa wenn die Töchter heimlich zum Flughafen fahren, in der Hoffnung sich mit der Kreditkarte der Mutter Flugtickets nach Atlanta kaufen zu können. Als Sophie beim Sport aufgrund eines Herzfehlers stirbt, wird die Groteske dieses Lebensstils deutlich. Ihr Begräbnis findet in den USA statt, die letzte Reise einer Heimatlosen lässt die Angehörigen ohne einen Ort der Trauer zurück. Danach zerstreut sich die Familie, die Eltern kehren in die Staaten zurück, Leah sehnt sich nach dem universalen Raum des Unterwegs zurück. Sophies Tod versucht die Familie in gemeinsamen Therapiesitzungen aufzuarbeiten, wobei die Tote selbst in einer unglücklich eingefügten Rolle als Geist teilnimmt. Schließlich erkennt der Vater in der Begegnung mit einem russischen Geschäftspartner, der ebenfalls eines seiner Kinder verloren hat, dass seine Familie den Trauerfall vergleichsweise gut verkraftet hat. Dieses merkwürdige Fazit schließt dabei die Geschichte um Sophies Tod ab.

Nun sind generationsübergreifende Familiengeschichten seit Jahren auf dem Büchermarkt sehr beliebt und inzwischen zu fast jeder Zeitspanne der neueren Geschichte in großer Zahl erhältlich. Was Sonnenbergs Buch etwas aus dieser Masse herausstehen lässt, ist die Zurückhaltung der Autorin, die ihren Figuren in Handlung und Ausdruck viel Raum lässt. Von beinahe unerträglichen Stellen, in denen die Heimwehkranken jungen Teenager die USA als das gelobte Land erinnern, bis zu peinlichen Belehrungen, welche die Collegestudentin Leah ihren Eltern über den Imperialismus erteilt – die Protagonisten handeln und sprechen glaubwürdig und mehrdimensional. So entgeht Sonnenberg der Gefahr, sich zu sehr auf eine Perspektive festzulegen und ihren Figuren keine Entwicklung zu ermöglichen. Auch gelungen ist das einführende Kapitel, welches die Autorin von Elises Elternhaus, welches inzwischen leer und kurz vor dem Abbruch steht, erzählen lässt. Natürlich ist und bleibt das Buch dabei ein klassischer Familienroman, der den meisten Traditionen und Klischees seines Genres treu bleibt, auch wenn die gute Erzählweise und das durchgängige Motiv der nicht existenten Heimat in den meisten Fällen eine dramatisierte Nabelschau verhindern.

Titelbild

Brittani Sonnenberg: Heimflug. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Patricia Klobusiczky.
Arche Verlag, Zürich 2014.
320 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783716027097

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