Buddhistische Meister, deutsche Individualisten

Heinrich Detering, Maren Emisch und Pornsan Watanangura legen mit „Der Buddha in der deutschen Dichtung“ einen anregenden Sammelband vor

Von Nils GelkerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nils Gelker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine Frage: Gerade zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das westliche Bild von Hinduismus, Buddhismus und Daoismus entscheidend geprägt. Die Übertragungen religiöser Grundtexte ins Deutsche harrten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geradezu ihrer kreativen Ver- und Bearbeitungen durch kunstbegabte Multiplikatoren. Und nicht zuletzt die rege Schopenhauerrezeption (etwa bei Thomas Mann) vermittelte den Buddhismus, wenn auch indirekt, emphatisch.

Für literatur-, kultur- und religionswissenschaftliche Studien ist dies eine äußerst fruchtbare Konstellation, der sich „Der Buddha in der deutschen Dichtung. Zur Rezeption des Buddhismus in der frühen Moderne“ widmet, ein durch Heinrich Detering, Maren Ermisch und Pornsan Watanangura herausgegebener Sammelband. Wie bei dieser Publikationsform zu erwarten, liegt nach der Lektüre des Buchs kein pointiertes Ergebnis vor, vielmehr bieten die Beiträge ein relativ breites Spektrum an Untersuchungsgegenständen und Thesen. Literaturwissenschaftlichen Beiträgen wird dabei der größte Raum eingeräumt. Diesen vorangestellt ist allerdings eine Ouvertüre, die den Leser nicht nur in das grundsätzliche Forschungsvorhaben, sondern auch in die Geschichte des Forschungsgegenstandes (Peter Skilling: „Buddhistische Studien“) und in das Kunst- und Literaturkonzept des Buddhismus’ (Sompran Promta: „Literatur aus buddhistischer Perspektive“) einführt.

Ein großer Schwerpunkt wird dabei auf Meister-Schüler-Verhältnisse gelegt. Almut-Barbara Renger (Berlin) beschreibt etwa die Beziehung zwischen Rainer Maria Rilke und Auguste Rodin und deren literarische Auslese. Rilkes Suche nach einem „Meister“, der ihn nicht nur das Kunstschaffen, sondern auch das Leben lehrt, wird von Renger in der frühromantischen Tradition, aber auch im Zeitgeist verortet – schließlich haben auch George und Mallarmé jeweils „Jünger“ um sich geschart. Rilke bedient sich hier also durchaus eines inszenatorischen Musters. Die Briefe Rilkes an seinen „Meister“, die von Renger zitiert werden, triefen dabei vor höchsten Ausdrücken der Bewunderung; einer Bewunderung, die Rilke auf die Buddha-Statue in Rodins Garten überträgt. Sie zeugt ihm von „Stille und In-Sich-Ruhen, Sammlung und Konzentration, Gleichgewicht und Maß“. Es sind dies die hohen Werte des von Rilke angestrebten Künstlertums, die er in den Buddha-Gedichten der Sammlung „Neue Gedichte“ poetisch umsetzt. Renger verzichtet hier auf eine allzu detaillierte Analyse der Gedichte, ihr ausführlicher Text (der längste im Band) liefert dafür zahlreiche Informationen und Bilder zur „Pariser Exposition Universelles“ des Jahres 1900, auf der aufwändige asiatische Architektur und Kunst ausgestellt wurde – das ist auch gut so, immerhin war genau diese Ausstellung offensichtlich eine Inspirationsquelle nicht nur für Rodin.

Pornsan Watanangura (Bangkok) beleuchtet genauer, was sich hinter dem Begriff „Meister-Schüler-Verhältnis“ in brahmanistisch-buddhistischer Tradition verbirgt: Auf Seiten des Meisters ein Wissen, dessen mythisch-transzendentale Natur ihn von einem „Lehrer“ abgrenzt; der Schüler hingegen verpflichtet sich zur Lernbereitschaft, der eine gewisse Selbstermächtigung qua Wissensaneignung bereits eingeschrieben ist. Watanangura wendet diese Kategorien nun auf verschiedene Aspekte in Hermann Hesses „Siddharta“ und Karl Gjellerups „Der Pilger Kamanita“ an. Sowohl Siddharta als auch Kamanita gehen auf ihrem Weg zur Erleuchtung etwa eine Liebesbeziehung ein. Während diese in Hesses Text überwunden werden muss und so nur ex negativo aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten führt, ist die Liebe bei Gjellerup etwas, an dem Kamanita festhält – und die ihm überhaupt erst tiefe Einsicht in die Lehren des Buddha gewährt. Anhand dieser sehr schönen Versuchsanordnung (die auch bei der Lektüre ihres Textes über Strindberg besticht) arbeitet Watanangura heraus, wie beide Autoren die Meister-Schüler-Tradition mit einem europäischen Individualismus verbinden.

Genau diesem Aspekt widmet sich auch der dritte der dem Meister-Schüler-Problem verschriebenen Aufsätze. Eckart Goebel (New York) geht dem Individualismus der verschiedenen Schülerfiguren Hermann Hesses auf den Grund, wenn er sich dem Titel nach fragt: „Was ist ein Schüler?“. Die Ausgangsbemerkung, diese Schüler-Figuren seien „fraglos […] nach der paradigmatischen Geschichte des historischen Buddhas modelliert“, überzeugt dabei nicht völlig – der Rest von Goebels Argumentation dafür umso mehr. Auch wenn er der Existenzphilosophie insgesamt mehr Platz einräumt als dem Buddhismus, stellt der Aufsatz im Rahmen des Sammelbandes eine echte Bereicherung dar. Er zeigt die Individuation als tragendes Konzept zahlreicher Hesse-Figuren. Für das Verständnis von Hesses Buddhismus-Rezeption ist diese Grundlage unerlässlich. Immerhin wendet sich sein Siddharta im gleichnamigen Roman von dem historischen Siddharta Gautama, dem Buddha, ab. Er begründet dies mit der Notwendigkeit, einen individuellen Weg zur Erlösung zu finden.

Das Verhältnis Hesses zum Buddhismus ist also keineswegs unproblematisch. Dies zeigt Adrian Hsia in seinem Beitrag „Katholizismus und Protestantismus versus Hinduismus und Buddhismus“. Hesse hatte nicht nur eine Begegnung mit dem Buddhismus, sondern setzte sich zeitlebens mit vielen östlichen Religionen auseinander, die er sich, wie Hsia betont, selektiv aneignete und so seinen individuellen „Asiatismus“ erschuf. (Eine Nebenbemerkung sei hier erlaubt: Der chinesische Germanist Hsia ist leider bereits 2010 verstorben. Es ist schön zu lesen, wie die Diskussion um die daoistischen oder eben brahmanistischen Hintergründe in Hesses „Siddharta“ zwischen ihm und Watanangura in diesem Band weitergeführt wird – und es zeigt so auch, was Sammelbände Monografien voraus haben können, wenn die Autoren sich nicht scheuen, solche Diskussionspunkte in ihre Texte aufzunehmen.)

Mit dieser Verfahrensweise eines selektiven Synkretismus stand Hesse freilich nicht allein da. Heinrich Detering (Göttingen) stellt Ähnliches auch für Bertolt Brecht und Alfred Döblin fest – zwei Autoren, bei denen man im Gegensatz zu Hesse vielleicht nicht sofort an indische Religionen denkt. Deterings Analyse von Brechts Gedicht „Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus“ ist schlicht mustergültig – sie liefert die perfekte Vorlage, um Germanistikstudentinnen und -studenten zu zeigen, was man auch bei strukturell scheinbar einfachen Gedichten interpretierend herausholen kann. Dabei gelingt es Detering zu zeigen, dass Brecht hier nicht nur als didaktisierender Kommunist, sondern gleichfalls als echter Bewunderer des Buddhismus auftritt. Döblin hingegen formuliert, so Detering, einen „daoistischen Einspruch gegen Buddha“. Detering arbeitet auf der Grundlage des weitgehend unbekannten Aufsatzes „Buddho und die Natur“, den Döblin 1921 für „Die neue Rundschau“ verfasste. Der Text wird komplett abgedruckt, was für den Leser gleich doppelt komfortabel ist, da er sich nicht in den maßgeblichen „Ausgewählten Werken in Einzelbänden“ findet.

Mit Thomas Mann beschäftigen sich zwei Aufsätze, die in gewisser Weise zu den kleinen Enttäuschungen des Bandes gehören – Enttäuschungen auf höchstem Niveau, wohlgemerkt. Herbert Lehnert (Irvine) weckt mit dem Titel seines Textes „Der junge Thomas Mann, der Buddha und die Welteinheit“ vielleicht falsche Lesererwartungen. Manns Begegnungen mit dem Buddhismus werden nachvollzogen und ihre Bedeutung für sein Gesamtwerk herausgearbeitet. Dabei geht es nicht nur um den jungen Thomas Mann, vor allem aber bleibt unklar, was dies mit „Welteinheit“ zu tun hat. Der Leser wird also etwas verwirrt, trotzdem kann er erfahren, dass Manns Kenntnisse über den Buddha nicht ausschließlich durch Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche vermittelt wurden. Maximilian Harden (1861–1927) etwa schrieb in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“, in der Manns Erzählung „Die Hungernden“ erschienen war, über den Buddhismus. Auch besaß Mann ein Reclam-Heft mit dem Titel „Buddhas Leben und Wirken“, das Lehnert dankenswert zusammenfasst. Mann hat sich hier zumindest einzelner Wörter bedient, etwa des Namens „Amra“ für die Protagonisten seiner Erzählung „Luise“. Das Romanprojekt „Maya“ schob er schließlich seiner Figur Aschenbach zu, Lehnert zeigt aber, das konzeptionelle Elemente noch in den „Doktor Faustus“ Eingang fanden.

Dieter Borchmeyer (Graz) liefert eine präzise Analyse von Thomas Manns Erzählung „Die vertauschten Köpfe“ und zeigt dabei nicht nur die Feinheiten des Textes auf, sondern liefert auch eine akkurate Verortung in Manns Werk. Dabei legt Borchmeyer den Fokus aber so stark auf Thomas Manns Schopenhauer-Lektüren, dass der eigentlich Forschungsgegenstand des Bandes, der Buddhismus, über weite Strecken aus dem Blickfeld gerät. Der Beitrag erschien außerdem in sehr ähnlicher Form bereits im „Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft“ (54/2010), worauf der Autor selbst hinweist. Bei den Aufsätzen des hier rezensierten Sammelbandes handelt es sich allerdings ohnehin größtenteils um überarbeitete Übersetzungen aus dem 2009 erschienenen „On the Reception of Buddhism in German Philosophy and Literature“ (Bangkok University Press). Auch wenn Borchmeyers Aufsatz von bewundernswertem Kenntnisreichtum zeugt: Statt einer dritten Veröffentlichung hätte der Raum vielleicht einem neuem Text gewidmet werden können.

Insgesamt liegt mit „Der Buddha in der deutschen Dichtung“ ein äußerst anregendes Buch vor. Es bringt verschiedenste Forschungsbeiträge in einen sinnvollen Dialog – in dieser Form schaffen das längst nicht alle wissenschaftlichen Sammelbände. Wegen der nachvollziehbar angeordneten und durchweg leserfreundlich verfassten Texte, der schlichten, aber schicken Aufmachung und nicht zuletzt wegen des für den Göttinger Wallstein Verlag üblichen fairen Preises darf man den Titel auch interessierten Laien empfehlen. Und wer genau liest, findet vielleicht sogar eine Antwort auf die Frage, warum deutsche WissenschaftlerInnen eigentlich so viel mehr Fußnoten setzen, als ihre asiatischen Kollegen.

Titelbild

Heinrich Detering / Maren Ermisch / Pornsan Watanangura (Hg.): Der Buddha in der deutschen Dichtung. Zur Rezeption des Buddhismus in der frühen Moderne.
Wallstein Verlag, Göttingen 2014.
248 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835314146

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