An der Front

Der französische Starreporter Albert Londres berichtet im Herbst 1914 von der Front. Ein nationales Bekenntnis ist zu besichtigen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Erste Weltkrieg hat dem Heroischen ein neues Gesicht gegeben, um nicht zu sagen, er hat es vollständig diskreditiert. In den Stahlgewittern, wie Ernst Jünger die Materialschlachten des Krieges genannt hat, besteht das Heldentum nur noch in dem Versuch zu überleben und zu überstehen. Das Heldische als heroische Tat gerinnt zum Widersinnigen, da es notgedrungen zum schnellen und vor allem banalen Tod führt. Der Held ist ein Anachronismus.

Und dennoch feiert das Heroische im Ersten Weltkrieg, der bei unseren Nachbarn immer noch als der Große Krieg gilt, bittere Urständ. Der Patriotismus will den Tod feiern und sieht in der Vernichtung von Menschenleben immer noch den Funken des Sinnhaften und des wirkungsvollen Opfers. Einen Tag, zwei Tage, ja neun Tage zu überstehen ist eine Heldentat, auch wenn sie sinnlos ist.

Alle Beteiligten haben, so scheint es, ihr Augusterlebnis, das angeblich auf deutscher Seite die Nation zusammenschmiedete, so dass sie die folgenden Jahre zu überstehen vermochte, ungebrochen und am liebsten unbesiegt im Feld. Und kaum jemand konnte sich anscheinend dem Sog entziehen, den dieser Krieg ausübte.

Am wenigsten die Schriftsteller, deren Abenteuer, wie wir wissen, ja bevorzugt im Kopf geschehen. Der Erste Weltkrieg ist eben auch ein Krieg der Literatur, eine hohe Zeit der Lyrik und nicht minder der patriotischen Reportage. Der haben sich nicht einmal die Meister ihres Faches entziehen können, und Albert Londres ist ein Meister seines Faches gewesen.

1884 in Vichy geboren, das nach 1940 eine traurige Berühmtheit erlangen sollte, machte sich Londres zu Beginn des Jahrhunderts bereits einen Namen als Reporter, wurde aber spätestens mit seinen Kriegsreportagen zu einem Star. Er schrieb in den Jahren bis 1932, seinem Todesjahr, eine Reihe großer Reportagen, die in den besten Blättern Frankreichs gedruckt wurden. Berühmt ist seine Reportage über die Bombardierung von Reims, die in dem nun bei Diaphanes erschienenen Band mit Kriegsreportagen abgedruckt ist: Barbarisch nennt er diese Tat, wie er insgesamt wenig Gutes an den Deutschen lässt, die sich Ende 1914 weit im Kernland Frankreichs festgesetzt hatten und erst 1918 zurückgedrängt wurden. Londres, der später unerhört vielseitige und irritierende Reportagen über China, die Perlentaucher in der Arabischen See und die Juden in Europa schrieb (eben in der Anderen Bibliothek erschienen), geriert sich in diesen Texten freilich als guter Franzose, als Verteidiger der altkontinentalen Kultur gegen die Hunnen, die aus dem Osten gen Frankreich drängen.

Das ist stilistisch immer noch gekonnt und voller präziser Beobachtungen. Zugleich aber geraten ihm die Kriegs- und Greuelmärchen der Kriegspropaganda in die Reportagen, die auf den Titelseiten von „Le Matin“ erschienen. Der vaterländisch geprägte Blick weiß denn von standhaften Bürgermeistern und wehrhaften Soldaten zu berichten, von begeisterten Freiwilligen und der Selbstverständlichkeit, mit der die Soldaten den Kampf suchen, wo sie oft genug den Tod finden. „Bei den Helden“ heißt denn auch eine der Reportagen, die Londres von der Front schickt, wo sich die Bombardements und die Sturmangriffe abwechseln.

Er verweist auf der Untaten der deutschen Soldaten, darauf wie sie hausen und eine jahrhundertealte Zivilisation mit Füßen treten, benennt ihre Unhöflichkeit und weiß sie doch aufgrund ihrer Zahl, ihrer Organisation und ihrer Waffen zu fürchten.

Zwar kennt auch Londres den fast freundschaftlichen Blick des Soldaten auf seinen Leidensgenossen. Aber Fraternisierung mit den Kriegsgefangenen? Das geht zu weit, eigentlich schon, sich zivilisiert mit ihnen zu unterhalten – was wie ein Echo auf Arnold Zweigs „Erziehung vor Verdun“ klingt, einen Roman, der erst lange nach Londres’ Reportagen erscheint. Dass es hier freilich nicht um Wahrheit geht, sondern um einen Kriegsdienst mit Feder, Schreibmaschine und Druckerschwärze, wird spätestens dann klar, wenn die bösen Deutschen ihre Leichenberge unzivilisiert verbrennen (möge das das letzte sein, was die deutschen Mütter von ihren jungen Söhnen mitbekommen), während die Franzosen dasselbe tun, um die Seuchengefahr einzudämmen. Londres will hier nicht erbauen, er will aufbauen, und zwar die Widerstandskraft der Franzosen gegen die deutsche Invasion. Das wird man akzeptieren müssen, wie man die kriegstreiberischen Texte der Gegenseite kennt. Die deutschen Zeitungen waren nicht weniger heroisch gestimmt als die französischen. Das kann man als Lehre aus diesem Band mitnehmen.

Im Gegensatz zu den nun in der „Anderen Bibliothek“ erschienenen Reportagen sind die „Frontdepeschen“ weniger unterhaltsam und beeindruckend als lehrreich: Auch die besten Schriftsteller sind vor diesem Krieg nicht gefeit gewesen. Wie sollten es die Normalzivilisten sein? Bleibt zu hoffen, dass wir heute immerhin genügsam genug sind, und uns nicht in ‚heroische‘ Taten fliehen müssen, wenn es einmal wieder darauf ankäme.

Titelbild

Albert Londres: Was sind neun Tage Schlacht? Frontdepeschen 1914.
Übersetzt aus dem Französischen von Heinz Jatho.
Diaphanes Verlag, Zürich 2014.
143 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783037344361

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