Unerhörte Begebenheit

Eugene McCabes meisterhafte Novelle „Schwestern“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 „The Love of Sisters“ ist der Titel einer Novelle des irischen Schriftstellers und Dramatikers Eugene McCabe, die 2009 im Original erschienen ist und nun in der Übersetzung von Hans-Christian Oeser auf deutsch im Steidl Verlag vorliegt. Nach „Tod und Nachtigallen“ (2011) ist es McCabes zweites Buch bei Steidl. Der Originaltitel hat eine Doppeldeutigkeit, die man spätestens nach der Lektüre erkennt, wogegen der deutsche Titel „Schwestern“ ganz neutral und offen bleibt und letztlich das besondere Verhältnis von Schwestern oder Geschwistern nicht beinhaltet.

Wie dem auch sei, Tricia und Carmel hatten eine schwere und entbehrungsreiche Kindheit, da sie nach dem frühen Tod der Mutter einige Zeit bei ihrem trunksüchtigen und lieblosen Vater leben mussten, ehe Verwandte dem Leiden ein Ende machten und die Mädchen zu sich holten. Das alles spielt sich Anfang der 1950er-Jahre im ländlichen Irland ab. Bereits in den knappen Zeugnischarakteristika wird deutlich, dass Tricia die wilde und lebenslustige, die provozierende und risikofreudige der Schwestern ist, Carmel dagegen die introvertierte und schüchterne, die ruhige und besonnene. Sie ist aber auch diejenige, die ihre Gefühle nicht formulieren kann oder will, die solcherart Angebote seitens Tricia ablehnt. Folgerichtig ist, dass Carmel in ein Kloster geht, sich ganz dem demütigen und ritualisierten Leben der Nonnen verschreibt. Eugene McCabes Meisterschaft zeigt sich in vielen Szenen und Dialogen; die Schilderungen des Klosterlebens gehören jedoch zu den absoluten Glanzlichtern dieses Buches, dessen zeitlose Sprache und konsequente Konstruktion es aus dem Stand zu einem Klassiker der englischsprachigen Erzählkunst machen.

Die Demütigungen und Ungerechtigkeiten, die Carmel widerfahren, bleiben nicht ohne Folgen. Ihr wird klar, dass sie in dieser verlogenen Atmosphäre der Doppelmoral nicht bleiben kann. In einem Hals-über-Kopf-Entschluss bricht sie mit dem Kloster, ruft ihre Schwester an, sie abzuholen und beginnt ein neues Leben. Auch hier ist McCabe deutlich und konsequent, verkündet seine Meinung und Haltung in der Figur der Carmel klipp und klar. Anfangs lebt sie mit ihrer Schwester und deren Tochter Isabel, die sie liebt, zusammen, doch sie hat Pläne, möchte studieren. Als ein Verwandter, dessen Frau schwer krank ist, um Unterstützung im Haushalt und mit den Kindern bittet, ist die fromme junge Frau gern zur Stelle. Was nun folgt, kann, frei nach Goethe, als die unerhörte Begebenheit bezeichnet werden – in jedem Fall überschlagen sich die Ereignisse.

Ohne zu psychologisieren, zeigt der über 80-jährige McCabe, welche Porträts und Beziehungsgeflechte er zu zeichnen in der Lage ist. Ungläubig über die gegenseitigen Reaktionen der Schwestern, reibt sich der verwunderte Leser die Augen, stimmt jedoch bald ein in die offenbar unzerstörbaren Bande innerhalb der Familie und die aberwitzigen Mechanismen von Vergebung. Dass Carmel nun selbst in der tiefsten und von ihr selbst mit ausgelösten Doppelmoral steckt, kann oder will sie nicht sehen. Ohne jemals wirklich zu verurteilen, treibt Eugene McCabe seine kurze, aber enorm intensive Geschichte voran, lässt Raum für Fragen, Interpretationen und das Weiterleben der titelgebenden Schwestern. Hans-Christian Oeser, seit vielen Jahren ein ausgewiesener und ausgezeichneter Kenner und Übersetzer vor allem der irischen Literatur, hat „Schwestern“ eindrucksvoll übersetzt, und der Steidl Verlag, dessen hoch konzentrierte Beschäftigung im Bereich Belletristik nicht den Widerhall findet, wie die anderer Verlage hierzulande, hat daraus wieder einmal ein rundum schönes und gelungenes Buch gemacht.

Titelbild

Eugene McCabe: Schwestern. Eine Novelle.
Steidl Verlag, Göttingen 2014.
144 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783869307527

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